NewsÄrzteschaft„Der größte Unterschied ist der Zugang, das ist einzigartig in der Welt“
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Ärzteschaft

„Der größte Unterschied ist der Zugang, das ist einzigartig in der Welt“

Mittwoch, 1. Juni 2022

Frankfurt am Main – Der Krieg in der Ukraine hat den Blick auf den Bürgerkrieg in Syrien weitgehend ver­drängt. Die Anzahl der syrischen Ärzte, die nach Deutschland geflüchtet sind, ist mittlerweile groß. Vor zwei Wochen hat sich die Syrische Gesellschaft für Ärzte und Apothe­ker in Deutschland (SyGAAD) gegründet. Über die Gründe sprach das Deutsche Ärzteblatt mit Präsident der SyGAAD, Faisal Shehadeh.

Fünf Fragen an Faisal Shehadeh, Syrische Gesellschaft für Ärzte und Apotheker in Deutschland

DÄ: Herr Shehadeh, wie kam es zur Gründung der Syrischen Gesell­schaft für Ärzte und Apotheker in Deutschland?
Faisal Shehadeh: Das ist eine lange Geschichte. Deutschland gilt schon seit vielen Jahren als beliebtes Ziel syrischer Mediziner. Neben den USA und England haben sich viele Ärztinnen und Ärzte dazu entschieden, nach Deutschland zu gehen. Schon seit Jahrzenten arbeiten syrische Ärzte im deutschen Gesund­heitssystem und sind dadurch ein Teil des Systems geworden.

Der Krieg in Syrien, der 2011 ausgebrochen ist, hat diese Tendenz natürlich verschärft. Deutschland ist aber zugleich auch ein Land, in dem es viele Auflagen gibt, die oft zwischen den einzelnen Bundes­ländern variieren. Es ist deshalb am Anfang nicht leicht für einen Ausländer, sich hier zurecht zu finden.

Ich bin im Jahr 2006 nach der Beendigung meines Studiums der Humanmedizin an der Universität Aleppo nach Deutschland gekommen. Ich wollte einige Jahre hierbleiben und Erfahrungen sammeln und danach wieder in mein Heimatland zurückkehren. Wegen des Krieges war das jedoch nicht möglich.

Schon vor dem Beginn des Krieges habe ich im Jahr 2009 zusammen mit anderen syrischen Ärztinnen und Ärzten, die bereits in Deutschland gelebt und gearbeitet haben, eine Facebookgruppe gegründet, um auslän­dischen Medizinern in Deutschland bei der Integration zu helfen. Damit hat alles begonnen.

In der Facebookgruppe wollten wir vor allem unsere Erfahrungen austauschen, die wir in der neuen Gesell­schaft gemacht haben. Und wir wollten über die zahlreichen Probleme diskutieren, die wir lösen müssen, bevor wir in Deutschland arbeiten durften. Die Gruppe ist schnell größer geworden. Mittlerweile haben wir etwa 64.000 Mitglieder.

Vor ein paar Jahren hatten wir dann die Idee, eine offizielle Gesellschaft zu gründen, um noch effektiver zu sein und um uns von der virtuellen Welt im Netz zu trennen. Deutschland ist ja das Land der Vereine. Wenn man in Deutschland lebt, merkt man schnell, dass die Vernetzung in Vereinen eine der Kernideen der deutschen Gesellschaft ist. Das ist ein guter Ansatz, finde ich.

Schon vor drei Jahren haben wir SyGAAD beim Amtsgericht in Hanau angemeldet. Eigentlich wollten wir unsere Gründungsversammlung im März 2020 durchführen. Doch wegen der Coronapandemie mussten wir sie bis zum 14. Mai dieses Jahres verschieben.

DÄ: Was sind die Ziele von SyGAAD?
Shehadeh: Drei Ziele haben wir von vornherein festgelegt: die Vernetzung syrischer Kolleginnen und Kolle­gen, die Unterstützung der neu in Deutschland ankom­menden Kolleginnen und Kollegen und der Austausch unserer Erfahrungen.

Es gibt einige spezifische Probleme, die nur syrische Ärztinnen und Ärzte haben, die in Deutschland arbeiten wollen. Manche Probleme haben mit dem deutschen Gesundheitssystem und mit der Integration ausländi­scher Ärzte zu tun, andere mit Syrien und dem Krieg.

Seit 2015 dürfen die syrischen Absolventen ihre akademischen Unterlagen bei der deutschen Botschaft in Beirut nicht mehr legalisieren lassen. Gründe dafür sind uns mindestens unklar.

Dies führt dazu, dass unsere medizinischen Zeugnisse bei den Approbationsbe­hörden sowie bei den Ärzte­kammern bundesweit nicht mehr anerkannt werden können. Das Anerkennungsverfahren ist in der Regel mühsam und kompliziert.

Erstens verlangt die Approbationsbehörde in vielen Bundesländern eine Einstellungszusage im gleichen Land, was für einen ausländischen Arzt ohne Approbation gar nicht einfach ist. Zweitens: Die Bearbeitung der Anträge dauert meistens mehrere Monate.

Drittens: In vielen Bundesländern müssen nun die Zeugnisse bei der zentralen Prüfungsstelle in Bonn, der Gutachtenstelle für Gesundheitsberufe, kurz GfG, geprüft werden. Dies führt zu einer zusätzlichen Verzögerung von mindestens drei bis vier weiteren Monaten.

Letztendlich muss der syrische Arzt oder die syrische Ärztin noch drei bis sechs Monate auf einen Termin für die Fachsprachprüfung warten. Das heißt, er oder sie muss nach der Einwanderung nach Deutschland lange Wartezeiten aushalten, bis eine provisorische Berufserlaubnis erteilt wird.

Das Leben müssen die Kolleginnen und Kollegen in dieser Zeit selbst finanzieren, ohne arbeiten zu dürfen. Das ist für viele ein großes Problem. Manche Bundeslän­der erteilen syrischen Ärztinnen und Ärzten trotz dieser Prüfung keine Berufserlaub­nis. Es werden auf diese Weise quasi alle Syrer in diesen Ländern bestraft, nur, weil sie ihr Medizinstudium in Syrien abgeschlossen haben. Das ist für uns nicht nach­voll­ziehbar. Hier muss sich dringend etwas ändern.

Ist die Berufserlaubnis erteilt, dürfen die syrischen Ärztinnen und Ärzte so lange nur unter Aufsicht arbeiten, bis sie ihre Approbation erhalten haben. Bis zum Prüfungs­termin kann es allerdings noch einmal eine lange Zeit dauern, in der Regel zwölf bis 24 Monate. Währenddessen arbeitet man zwar als Arzt, aber diese Zeit wird nicht im Rahmen der fachärztlichen Weiterbildung anerkannt. Für die Betroffenen kann das einen Zeitverlust von mehreren Jahren bedeuten.

DÄ: Wie fühlen Sie sich in Deutschland und von der deutschen Ärzteschaft aufgenommen?
Shehadeh: Persönlich fühle ich mich in Deutschland sehr gut aufgenommen und willkommen. Ich arbeite als Oberarzt an der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie im Klinikum Hanau, einem Krankenhaus mit 787 Betten. In unserer Abteilung herrscht ein sehr gutes Arbeitsklima. Auch von vielen anderen syrischen Ärztin­nen und Ärzten weiß ich, dass sie sich in Deutschland bestens aufgehoben fühlen.

Im Rahmen der Gründung unserer Gesellschaft haben wir zudem Hilfe von der deutschen Ärzteschaft erhal­ten, zum Beispiel vom Marburger Bund (MB). Bei unserer Gründungsversammlung waren der 2. Vorsitzende und der Geschäftsführer des MB, Andreas Botzlar und Armin Ehl, unsere Gäste.

DÄ: Wie bewerten Sie das deutsche Gesundheitssystem? Und was unterscheidet das deutsche vom syrischen System?
Shehadeh: Der größte Unterschied ist der Zugang. In Deutschland haben mehr als 99 Prozent der Bevölkerung einen direkten Zugang zu einer flächendeckenden und sehr guten Versorgung in allen Krankenhäusern und Arztpraxen. Das ist einzigartig in der Welt.

In Syrien gibt es ein System, das in eine staatliche und eine private Versorgung getrennt ist. Wir haben ge­nauso gutes und leidenschaftlich arbeitendes Personal wie in Deutschland, aber es gibt höhere Hürden beim Zugang. Und in Deutschland ist die technische und finanzielle Ausstattung des Systems besser.

DÄ: Was wünschen Sie sich vom deutschen Staat und von der deutschen Ärzteschaft?
Shehadeh: Wir möchten ausländischen Ärztinnen und Ärzten dabei helfen, dass sie zügig in Deutschland arbeiten können. Deshalb wünschen wir uns zunächst, dass die bürokratischen Hürden abgebaut werden, die uns heute davon abhalten. Wir möchten ja auch deshalb schnell mit dem Arbeiten beginnen, um dem Land helfen zu können, das uns aufgenommen hat.

Dabei möchten wir darauf hinweisen, dass die Überkomplexität des Systems in Deutschland ein Problem darstellt – sowohl für uns als auch am Ende für die Patientenversorgung. Wir sind aber ja natürlich auch ein Teil des deutschen Gesundheitssystems. Und als solcher möchten wir dazu beitragen, die Probleme des deutschen Systems zu beheben, zum Beispiel im Bereich der Digitalisierung.

Die schlechte Digitalisierung raubt uns jeden Tag Zeit, die uns in der Patienten­versorgung fehlt. Viele von uns setzen sich deshalb berufspolitisch im Marburger Bund oder in den Fachgesellschaften ein. Insofern wollen wir uns künftig auch im Rahmen von SyGAAD politisch engagieren. © fos/aerzteblatt.de

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