Politik
Widerspruchslösung bei Organspende rückt erneut ins Blickfeld
Freitag, 3. Juni 2022
Berlin – Die Organspende in Deutschland könnte bald wieder auf der Tagesordnung der Politik stehen. Grund sind schlechte Zahlen aus dem ersten Quartal. Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) gab es deutlich weniger Spender und Spenden.
Den Meldungen der DSO zufolge hat es von Januar bis April dieses Jahres 239 postmortale Organspender gegeben. Das sind rund 26 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum (324). 2020 waren es 330. Die Anzahl der postmortal gespendeten Organe ging um 25 Prozent zurück. Zwischen Januar und April des laufenden Jahres waren es 750 (Vorjahreszeitraum 1.004, 2020: 1.038).
Sie sei über die Zahlen des 1. Quartals „geschockt“, sagte Sabine Dittmar, Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) gestern Abend beim Parlamentarischen Sommerfest des Marburger Bundes (MB) in Berlin. Das sei etwas, das „uns größte Sorgen“ machen muss. Als Parlamentarierin würde sie sich einen neuen Vorstoß bei dem Thema wünschen.
Ähnlich äußerte sich gestern Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Er wolle einen neuen Anlauf für die Widerspruchslösung starten, die vor rund zwei Jahren im Bundestag gescheitert war, sagte der SPD-Politiker ARD-Hauptstadtstudio dem kurz vor dem Tag der Organspende morgen. „Es hat sich keine Verbesserung für die Menschen ergeben, die ein Organ benötigen“, begründete er.
„Wir brauchen aus meiner Sicht unbedingt einen neuen Anlauf für die Widerspruchslösung. Wir bekommen das Problem sonst nicht gelöst.“ Mit einer Widerspruchslösung würden alle Menschen automatisch zu Organspendern, sofern sie dem nicht ausdrücklich widersprechen.
Susanne Johna, 1. Vorsitzende des Marburger Bundes, mahnte einen Blick in andere Länder an, von denen man lernen könne. Man wisse zudem, dass die deutsche Bevölkerung, wenn sie gefragt werde, dem Thema eigentlich positiv gegenüberstehe. „Dann müssen wir das auch so regeln, dass es erfolgreich für die Menschen klappt, die dringend auf ein Organ warten“, erklärte Johna beim Parlamentarischen Sommerfest.
Widerspruchslösung war gescheitert
Der Bundestag hatte im Januar 2020 das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende auf der Tagesordnung. Zuvor hatten die Abgeordneten in einer Orientierungsdebatte und über verschiedene Gesetzentwürfe intensiv beraten.
Einer der Entwürfe, den Lauterbach und Dittmar mit eingebracht hatten, sah eine Widerspruchslösung vor. Doch dafür gab es keine Mehrheit im Parlament. In Deutschland darf damit weiterhin nur derjenige Organspender sein, der einer Spende zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt hat.
Statt einer Widerspruchslösung wurde damals die erweiterte Zustimmungslösung beschlossen. Diese sah auch vor, dass zum März 2022 ein Onlineorganspenderegister starten sollte. Doch der Start des Registers verzögert sich. Lauterbach begründet das mit technischen Problemen sowie auch mit der Pandemie. Generell sei das Gesetz kompliziert und sehr schwer umzusetzen.
Das sei aber nicht der Grund, warum die Organspenden zurückgegangen seien, betonte der Minister. „Die Spenden gehen zurück, weil die Bereitschaft zur Spende zwar da ist – aber es wird nicht registriert. Eine Widerspruchslösung würde das beheben.“
Lauterbach forderte den Bundestag auf, sich erneut mit der Widerspruchslösung zu beschäftigen. „Die Widerspruchslösung ist eine ethische Frage, die das Parlament beantworten muss. Ich selbst bin ein klarer Befürworter, aber das Parlament muss das beschließen. Ich glaube, wir werden dafür auch eine Mehrheit finden.“
Lebendspende als ein Baustein
Auch die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr mahnte, das Thema Organspende erneut auf die Agenda zu setzen, um für eine höhere Spendenzahl zu sorgen. Sie sprach sich erneut auch für einen Ausbau der Lebendspenden aus.
„Die Spenderzahlen sind besorgniserregend. Gegenwärtig sterben Patienten auf den Wartelisten und das, obwohl es vielleicht jemanden gäbe, der ihnen altruistisch, also aus uneigennützigen Motiven, eine Niere oder einen Teil der Leber spenden würde“, sagte sie. Die jüngsten Entscheidungen des Bundestages zur Organspende nach dem Tod gelte es zu respektieren, die Suche nach anderweitigen Lösungen dürfe jedoch nicht eingestellt werden.
Der Rechtsrahmen für Organspenden von lebenden Personen an spendenbedürftige Patienten ist in Deutschland eng gesteckt. Die rechtspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion brachte erneut die Möglichkeit von Überkreuzspenden oder Poolspenden ins Gespräch. Aus ihrer Sicht müsse man dafür „endlich den Rahmen“ schaffen.
„Wenn sich beispielsweise zwei Paare helfen, durch gegenseitige Spende an den jeweils anderen Partner einem geliebten Menschen das Überleben zu ermöglichen, sollte diese Möglichkeit diskutiert werden“, sagte sie. Auch bei mehr Personen in Form einer „Poolspende“ sei dies denkbar.
Bundesweit stehen nach Angaben der DSO derzeit rund 8.500 schwer kranke Menschen auf der Warteliste für ein neues Organ. Bei jährlich hunderten Patienten verschlechtert sich der Gesundheitszustand so dramatisch, dass eine Transplantation nicht mehr möglich ist oder sie während der Wartezeit sterben, weil nicht rechtzeitig ein passendes Organ gefunden wurde. So starben im vergangenen 86 Herzpatienten und 407 Nierenpatienten, die auf der Warteliste standen.
Allein rund 6.600 Menschen benötigen eine neue Niere. Das sind viermal so viele Patienten, wie Transplantate im Jahresverlauf nach Deutschland vermittelt werden konnten. Insgesamt sind sogar hunderttausend Menschen auf die Dialyse angewiesen.
Zum Teil lassen sich diese Patienten gar nicht mehr auf die Warteliste setzen, weil sie keine Hoffnung haben, überhaupt eine postmortale Organspende zu erhalten. Rund 850 Menschen warten zudem auf eine Leber und mehr als 700 auf ein neues Herz. © may/dpa/afp/kna/aerzteblatt.de

@tomcat8 Überstrapazierte Moralattribute

Widerspruchslösung brauchen wir nicht
"In allen Medien wird darüber diskutiert, ob man sich für oder gegen Organspende entscheiden soll. Vergessen wird eine dritte Möglichkeit, die von den meisten Menschen in Deutschland praktiziert wird.
Zuerst entscheidet man sich gegen die Organspende. Wenn man jedoch selbst betroffen ist, entscheidet man sich für die Organspende. Also dafür und gleichzeitig dagegen. Ist das nicht genial?
Ich habe mich jetzt auch für die dritte Möglichkeit entschieden. Schließlich kann es nicht falsch sein, sich so zu verhalten, wie der überwiegende Teil der Mitbürger. Und diese Regelung stört ja auch niemanden."
Wer Organe nimmt, aber nicht bereit ist selbst zu spenden ist rücksichtslos und verhält sich unsozial.

Widerspruchs"lösung" ist keine Lösung

Widerspruchs"lösung" ist falsch
Nein, eine Widerspruchslösung öffnet Missbrauch Tür und Tor. Stattdessen Entscheidungslösung: Krankenkassen informieren Bürger:innen regelmäßig neutral, ebenso Ärzt:innen, und im Idealfall dokumentieren aller Bürger:innen ihre Entscheidung auf ihrem Organspendeausweis, Ein Ja oder Nein muss eindeutig sein und beachtet werden.

Schande für Deutschland

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