Medizin
USA: Zunehmende Mortalitätslücke in konservativen Bundesstaaten
Freitag, 17. Juni 2022
Boston – Die Politik hat in den USA offenbar Auswirkungen auf die Lebenserwartung der Bevölkerung.
Nach einer Studie im Britischen Ärzteblatt (BMJ, 2022; DOI: 10.1136/bmj-2021-069308) ist es zwischen 2001 und 2019 in Bezirken, deren Bevölkerung mehrheitlich für den demokratischen Kandidaten stimmte, zu einem stärkeren Rückgang der Mortalität gekommen. Die zunehmende Mortalitätslücke betraf größtenteils die Bevölkerungsgruppe der „weißen“ Amerikaner, in der die Republikaner ihre Stammwähler haben.
Dass sich politische Entscheidungen ungünstig auf die Gesundheit der Bevölkerung auswirken können, hatte sich zuletzt in der COVID-19-Pandemie gezeigt. In den demokratisch regierten Bundesstaaten im Nordosten (New York, New Jersey, Massachusetts), die im Jahr 2020 frühzeitig einen Lockdown einführten und 2021 die Bevölkerung zu Impfungen und zum Tragen von Masken motivierten, war die Übersterblichkeit deutlich geringer als in konservativen Hochburgen wie Florida und Georgia (JAMA, 2022; DOI: 10.1001/jama.2022.3785).
Nach der jetzt von Haider Warraich vom Brigham and Women’s Hospital in Boston vorgestellten Analyse hat sich die politische Ausrichtung bereits früher auf die Sterblichkeit in der Bevölkerung ausgewirkt.
Während im Jahr 2001, als George W. Bush seine ersten Präsidentschaft antrat, die Sterblichkeit der Bevölkerung in den „roten“ demokratisch wählenden und den „blauen“ republikanischen Bezirken noch gleich hoch war, hat sie sich seither unterschiedlich entwickelt. In den „roten“ Bezirken ist die altersadjustierte Mortalitätsrate (AAMR) um 22 % von 850 Todesfällen auf 664 pro 100.000 Einwohner im Jahr 2019 gesunken. In den republikanischen Bezirken fiel der Rückgang der AAMR mit 11 % von 867 auf 771 pro 100.000 Einwohner deutlich schwächer aus. Die Mortalitätslücke hat sich damit innerhalb von weniger als 2 Jahrzehnten von 16,7 auf 107,1 mehr als versechsfacht.
Einen gewissen „Knickpunkt“ gab es 2009 und 2010. Er fällt annähernd mit dem „Affordable Care Act" (ACA) der Obama-Administration von 2010 zusammen, der der ärmeren Bevölkerung den Zugang zu einer Krankenversicherung erleichtert hat. Die Reform wurde allerdings von vielen republikanischen Staaten torpediert. Dort wurde die Option, die Leistungen von Medicaid auszuweiten, häufig nicht in Anspruch genommen.
Die Studie kann einen kausalen Zusammenhang nicht beweisen. Den größten Anteil an der zunehmenden Mortalitätslücke zwischen republikanischen und demokratischen Bezirken hatten jedoch Herzerkrankungen (Unterschied in der AAMR 27,6), Krebs (17,3) und chronische Erkrankungen der unteren Atemwege (8,3), in denen eine medizinische Versorgung günstige Auswirkungen auf die Sterblichkeit hat.
Die AAMR hat sich aber auch bei unbeabsichtigten Verletzungen (3,3) und Selbstmorden (3,0) vergrößert. Hier liegt die Vermutung nahe, dass sich liberalere Waffengesetze in blauen Bundesstaaten ungünstig ausgewirkt haben. Zu Todesfällen kommt es nicht nur bei Amokläufen, die für Schlagzeilen in den Medien sorgen. Die meisten Tötungsdelikte sind Einzeltaten. Waffenverletzungen sind in den USA bei Jugendlichen zur häufigsten Todesursache geworden.
Paradoxerweise sind die „weißen“ US-Amerikaner (europäischer Herkunft) am stärkten betroffen. Die Mortalitätslücke ist hier von 24,7 auf 101,3 gestiegen. Bei Afroamerikanern hat sich die Mortalität in republikanischen und demokratischen Bezirken ähnlich entwickelt. Die Sterblichkeit ist in dieser Gruppe jedoch nach wie vor höher als bei den „weißen“ Amerikanern. © rme/aerzteblatt.de

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