Politik
Keine Mitnahmeeffekte: Impfgeschehen ohne Corona rückläufig
Dienstag, 14. Juni 2022
Berlin – Die Coronaimpfkampagne hatte kaum Mitnahmeeffekte auf andere Schutzimpfungen in Deutschland. Rechnet man die Vakzine gegen COVID-19 heraus, hat das Impfgeschehen in Deutschland vergangenes Jahr deutlich abgenommen. Das geht aus aktuellen Zahlen des Marktforschungsunternehmens IQVIA hervor.
Das Impfgeschehen in Deutschland hat sich im vergangenen Jahr auf komplexe Weise verändert: 112 Millionen Impfdosen wurden 2021 verabreicht – und damit 87 Prozent mehr als noch im Vorjahr. Mit 58 Millionen Dosen waren mehr als die Hälfte von ihnen laut IQVIA Coronaimpfstoffe.
Insgesamt dienten mehr als 80 Prozent der verabreichten Impfstoffe der Immunisierung gegen verschiedene virale Infektionen. In dieser Gruppe sorgte die Coronaimpfkampagne für eine Mengensteigerung von 144 Prozent.
Doch im Detail gehen die Zahlen deutlich weiter auseinander: Klammert man die COVID-19-Impfstoffe aus der Betrachtung aus und schaut auf die Entwicklung der übrigen Impfstoffe im Segment der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), so geht das Volumen laut IQVIA nämlich insgesamt um sieben Prozent zurück.
Am stärksten war der Rückgang bei bakteriellen Impfstoffen mit einem Minus von 22 Prozent und in dieser Gruppe vor allem der bei Pneumokokkenimpfungen. Sie wurden zu 26 Prozent weniger verimpft als im Vorjahr.
Allerdings tragen zwei Faktoren wesentlich dazu bei: Das hohe Vorjahresniveau und Lieferengpässe im vergangenen Jahr. Bereits im März 2020, ganz zu Beginn der Pandemie, hatte der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) speziell für die Gruppe der über 60-Jährigen Pneumokokkenimpfungen gegen eine bakterielle Lungenentzündung empfohlen und damit einen Ansturm verursacht.
Entsprechend gingen die Zahlen damals nach oben – allerdings flauten die Pneumokokkenimpfungen nach diesem Frühjahrshoch relativ schnell wieder ab, auch aufgrund erheblicher Lieferengpässe.
Wie im Vorjahr waren 2021 auch die Grippeimpfungen rückläufig. Zwar habe es in beiden Jahren die üblichen Peaks ab Kalenderwoche 35 gegeben. Allerdings waren im Herbst 2021 rund zehn Prozent weniger Grippeimpfungen verabreicht worden als noch im Vorjahr – bei rasant steigenden Inzidenz-Zahlen. Am Ende lag ein Minus von 0,4 Prozent, also faktisch eine Stagnation.
„Das zeigt zweierlei: zum einen, dass das Bewusstsein für die Gefahr zu Beginn der Pandemie gestiegen ist. Zum anderen, dass sich im zweiten Jahr möglicherweise die Einschätzung der Gefährdung infolge unter anderem von Kontaktbeschränkungen verändert hat“, schlussfolgert IQVIA.
Besonders hoch war die Abnahme des Impfgeschehens auch bei den Mehrfachimpfstoffen mit einem Minus von elf Prozent. Hier hatte sich das Volumen entsprechender Vakzine mit Tetanus-Komponente um knapp neun Prozent reduziert, Mehrfachimpfstoffe mit Masern-Mumps-Röteln-Komponente (MMR) verloren sogar um 18 Prozent nach Menge.
Die Anwendung viraler Impfstoffe außerhalb von COVID-19-Vakzinen ist insgesamt um drei Prozent zurückgegangen. Unter den Teilgruppen gibt es den größten Rückgang bei FSME- und HPV-Vakzinen mit jeweils zwölf Prozent. Zugenommen haben hingegen Varizellen-Impfungen um vier Prozent, aber auch Vakzinen gegen Rotaviren mit einem Plus von drei Prozent.
Nach den Debatten um mögliche Nebenwirkungen und entsprechenden Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) hat der Coronaimpfstoff von Astrazeneca bis zum vergangenen Herbst seine Rolle in der Impfkampagne komplett eingebüßt.
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Eine besondere Entwicklung hat der Absatz der Masernimpfstoffe in den vergangenen beiden Jahren gezeigt: Denn mit Inkrafttreten des Masernschutzgesetzes am 1. März 2020 wurde eine Impfpflicht wiedereingeführt. Alle Kinder ab Vollendung des ersten Lebensjahres müssen seitdem bei Eintritt in Schule oder Kindergarten eine Masernimpfung vorweisen.
Daraufhin stieg die Nachfrage nach MMR-Impfstoffen stark an, war aber nicht nachhaltig. 2021 zeigen sich mit Ausnahme von Februar und April durchweg Rückgänge gegenüber den Vergleichsmonaten 2020. Mittlerweile liegt die Zahl der Masernimpfungen wieder auf dem Niveau von 2019.
Aktuell sind demnach 74 Prozent der Kinder im Alter von zwei Jahren gegen Masern geimpft, allerdings mit großen regionalen Unterschieden: Sind in Hamburg 81 Prozent der Kinder geimpft, sind es in Sachsen gerade einmal 25 Prozent.
Müsste man unter allen betrachteten Impfstoffen einen großen Verlierer ausmachen, wäre die Wahl im Jahr 2021 wohl klar: Vaxzevria. Der Medienrummel um potenziell tödliche Sinusvenenthrombosen und andere schwere Nebenwirkungen hat seine Spuren hinterlassen, der COVID-19-Impfstoff von Astrazeneca spielt keine Rolle mehr in der Impfkampagne. Bereits zur Jahresmitte hatte der Anteil von Vaxzevria an allen Coronaimpfungen nur noch zehn Prozent betragen und fiel dann kontinuierlich. Seit November 2021 liegt er bei null Prozent.
Umgekehrt stellt es sich beim Impfstoff von Moderna dar: Er wurde aufgrund von Engpässen noch um die Jahresmitte faktisch gar nicht verimpft und machte dann im Winter einen enormen Sprung auf einen Anteil von 45 Prozent im Dezember 2021. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Moderna meist für die Boosterimpfungen verwendet wird – und die seit November 2021 den Großteil der verabreichten Impfungen ausmachen. © lau/aerzteblatt.de

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