Politik
Lauterbachs Sieben-Punkte-Plan in der Sommerwelle
Freitag, 17. Juni 2022
Berlin – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ruft dazu auf, eine vierte Impfung gegen COVID-19 in Betracht zu ziehen und sich dabei am persönlichen Risiko zu orientieren. Für den Herbst kündigte er einen Sieben-Punkte-Plan samt neuer Impfkampagne an.
Die Lage ist ernst, aber gut in den Griff zu bekommen – so sieht Lauterbach nach eigenen Angaben die aktuelle Situation. „Es ist betrüblich, dass wir eine Sommerwelle haben, aber es gibt auch Licht am Ende des Tunnels“, sagte er heute in Berlin.
Zwar gebe es derzeit weiter eine deutlich messbare Übersterblichkeit bei 50 bis 130 Todesfällen pro Tag. „Das ist keine Kleinigkeit“, betonte der Minister. Allerdings sei die derzeitige Welle kein Grund zur Panik. „Wir sind nicht existenziell gefährdet.“
Auch sei die Beschleunigung des Infektionsgeschehens nicht überraschend gekommen. Daten aus Südafrika hätten schon seit Längerem ersichtlich gemacht, dass sich die Omikron-Sublinien BA.4 und BA.5 anders als andere Varianten auch bei wärmeren Temperaturen schnell ausbreiten. Wer von einer Infektion mit der Sublinie BA.2 genesen sei, habe nach aktuellem Wissensstand wahrscheinlich einen guten Schutz vor einem schweren Verlauf bei einer Ansteckung mit BA.4 oder BA.5.
Es seien deshalb in der momentanen Situation keine kurzfristigen Maßnahmen geplant. Bei den aktuellen Zahlen könne der selbstverantwortliche Schutz des Einzelnen ausreichen. Beim Tragen von Mund-Nasen-Schutz setze er deshalb weiter auf Freiwilligkeit. „Das ist eine Bitte, die ich an die Bevölkerung stelle“, sagte er. Insbesondere in Innenräumen solle man auf die Maske achten.
Lauterbach erwartet nach eigenen Angaben schon bald einen entscheidenden Durchbruch in der Impfstoffentwicklung: „Ich gehe persönlich davon aus, dass wir in den kommenden Monaten, in einem halben Jahr, in einem Jahr Impfstoffe haben werden, die auch die Infektion selbst verhindern“, erklärte er. Er habe sich mit den entsprechenden Studien vertraut gemacht und denke da beispielsweise an Sprühimpfstoffe. „Corona wäre dann eine Krankheit wie jede andere Infektionskrankheit“, sagte Lauterbach.
Vierte Impfung nach individuellem Bedarf
Schon jetzt empfehle er allerdings, auch eine vierte Impfung in Erwägung zu ziehen. Er selbst sei auch zum vierten Mal geimpft, da er berufsbedingt sehr viele Kontakte habe. Eine generelle Empfehlung könne er aber nicht aussprechen. „Das ist immer ein Thema zwischen Arzt und Patient“, bei dem viele individuelle Faktoren wie die Exposition durch Kontakte oder auch Vorerkrankungen abgewogen werden müssen. „Man muss es immer davon abhängig machen, in welcher konkreten Situation man ist.“
Die Ständige Impfkommission (STIKO) hatte heute vorerst keine generelle Empfehlung für eine zweite Auffrischungsimpfung ausgesprochen. Sie gilt weiterhin nur für Menschen über 70 Jahre, Personal in medizinischen Einrichtungen und Pflegeeinrichtungen sowie immunsupprimierte Menschen.
Besondere Bedeutung werde die nächste Auffrischungsimpfung im Herbst bekommen, wenn Impfstoffe zur Verfügung stehen, die an die neuen Varianten angepasst sind. Er bereite deshalb schon eine neue Impfkampagne vor, um Impflücken zu schließen, und sei dazu bereits mit Biontech und Moderna in Gesprächen bezüglich der Beschaffung und Lagerung der angepassten Impfstoffe.
Er gehe davon aus, dass dann drei Impfstofflinien zum Einsatz kommen werden: die Wuhan-Linie, ein Omikron-Impfstoff von Biontech sowie ein bivalenter Impfstoff von Moderna. Dabei setze er auf eine „redundante Beschaffung“, um allen Impfwilligen den jeweils richtigen Impfstoff anbieten zu können. „Wir werden dann Impfstoffe verwerfen müssen, das ist klar“, räumte Lauterbach ein. Doch das wäre besser als Engpässe.
Keine Schuld an schlechter Impfquote
Was er hingegen nicht plane, sei eine neue Initiative zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. Mehrere Gesundheitsminister hatten in den vergangenen Tagen erklärt, einen neuen Anlauf starten zu wollen. Lauterbach will sich daran nicht beteiligen. Kritik an der stagnierenden Impfquote in Deutschland wies er ebenfalls zurück: „Man kann es nicht als Niederlage der Politik anrechnen, wenn ein Teil der Bevölkerung die Impfung nicht will.“
Die Impfkampagne ist der erste Punkt eines Sieben-Punkte-Plans, den Lauterbach vorstellte. Als zweites arbeite er an einem neuen Testkonzept, schließlich laufe das bisherige Ende Juni aus. Derzeit liefen Verhandlungen zur weiteren Finanzierung von Bürgertests, bei denen noch geklärt werden müsse, wer sie kostenfrei erhalte und wie Missbrauch verhindert werden kann. Bereits in den kommenden Tagen werde er das Konzept der Öffentlichkeit vorstellen.
Als drittes werde er sich Arzneimitteln gegen COVID-19 widmen: Bei nachgewiesenermaßen wirksamen Medikamenten wie Paxlovid gebe es nach wie vor deutliche Defizite in der Nutzung. „Sie werden gekauft, liegen vor, aber werden viel zu selten eingesetzt“, erklärte Lauterbach.
Die Gründe seien vielschichtig und würden von mangelndem Wissen über deren Verordnungsmöglichkeiten bis zur Unterschätzung ihres Nutzens reichen. Er habe deshalb den Expertenrat gebeten, ein Konzept zu erarbeiten, um die Anwendung zu fördern.
Vierter Punkt ist der Schutz vulnerabler Gruppen. Hier müsse künftig mehr getan und besonders Bewohnerinnen und Bewohner von Alten- und Pflegeheimen beispielsweise durch bessere Hygienekonzepte geschützt werden.
Bis September soll der fünfte Punkt umgesetzt werden: Voraussichtlich über das Deutsche Elektronische Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz (DEMIS) sollen dann tagesaktuell digital vermeldete Zahlen zu COVID-19-Patienten in Krankenhäusern und speziell auf den Intensivstationen verfügbar sein. „Es kann nicht sein, dass wir diese Informationen händisch eingeben müssen“, erklärte Lauterbach.
Als sechstes will das Bundesgesundheitsministerium (BMG) sich nur unterstützend einbringen, nämlich bei der Erarbeitung von Hygiene-, Impf- und Testkonzepten für Schulen und Kindertagesstätten. „Das ist in der Zuständigkeit der Länder und die wollen das auch machen“, räumte er ein. Das BMG wolle den Landesministerien dennoch zur Hilfe kommen. Ziel müsse es sein, Schließungen und Ausfälle soweit es möglich ist, zu vermeiden.
Noch im Juli soll der siebte Punkt abgehakt sein: Bis dahin will Lauterbach einen Entwurf für ein reformiertes Infektionsschutzgesetz vorlegen. Das jetzige Gesetz läuft am 23. September aus. Er sei bereits in engem Austausch mit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) zu den Eckpunkten des Gesetzentwurfs. „Wir werden uns noch vor der parlamentarischen Sommerpause einigen“, kündigte Lauterbach an. Eine Abstimmung werde dann nach der Sommerpause angestrebt.
Arbeit an Reformen geht weiter
Lauterbach erklärte, dass sonstige gesundheitspolitische Vorhaben von diesem Plan nicht beeinträchtigt würden. Vor Kurzem hatte er einen „gesundheitspolitischen Zwischenspurt“ für die Zeit bis zur nächsten Infektionswelle angekündigt, der unter anderem Entwürfe für die Einführung neuer Versorgungsmodelle wie Gesundheitskioske oder das Opt-out-Verfahren bei der elektronischen Patientenakte beinhaltet.
Das BMG arbeite derzeit an einem Gesetzentwurf mit Eckpunkten zur Einführung von Gesundheitskiosken und Community Health Centers, an einem Pflegeentlastungsgesetz samt Personalbemessungsinstrumenten sowie weiterhin an einem Gesetz zur Stabilisierung der GKV-Finanzen, für das er schon seit Wochen mit Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) im Austausch stehe.
Außerdem arbeite er gemeinsam mit der jüngst vorgestellten Krankenhauskommission an einem Entwurf für ein Gesetz, mit dem die Vergütung von Kinder- und Geburtshilfekliniken sowie die Notfallversorgung neu organisiert werden sollen. Die Kommission werde in den nächsten vierzehn Tagen ihre Vorschläge vorlegen. „Wir sind bei all diesen Gesetzen an der Arbeit“, betonte Lauterbach. © lau/aerzteblatt.de

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