Medizin
Frühkindliche Erfahrungen können Gehirn irreversibel prägen
Montag, 4. Juli 2022
Hamburg – Ungünstige Erfahrungen in den ersten Lebensmonaten und -jahren wie Blindheit oder Gewalt können die Entwicklung des menschlichen Gehirns beeinträchtigen. Ein Forschungsteam der Universität Hamburg unter der Leitung der Psychologin und Neurowissenschaftlerin Brigitte Röder hat jetzt untersucht, ob sich die Hirnstruktur wieder erholen kann, wenn die Ursachen der Beeinträchtigungen beseitigt werden. Die Ergebnisse sind im Fachmagazin Cerebral Cortex erschienen (2022; DOI: 10.1093/cercor/bhac197).
Für die Studie hat die Hamburger Arbeitsgruppe zusammen mit dem LV Prasad Eye Institute in Hyderabad (Indien) 21 Menschen untersucht, die aufgrund von beidseitigem Grauen Star teilweise mehrere Jahre nach der Geburt blind waren und deren Augenlicht dann durch eine Operation wiederhergestellt werden konnte.
Als Kontrollgruppen dienten 27 normal sehende Personen, zusätzlich 10 Personen mit dauerhafter angeborener Blindheit und weitere 11 sehende Personen, bei denen der Graue Star erst spät aufgetreten und erfolgreich behandelt worden war.
Von allen Teilnehmenden, die zum Zeitpunkt der Studie zwischen sechs und 36 Jahren alt waren, wurden mit Hilfe eines Kernspintomographen Bilder des Gehirns aufgenommen, aus denen die Forscher anschließend für jede Person ein 3D-Modell des Gehirns rekonstruierten. In diesem Modell haben sie gemessen, wie dick und wie groß die Oberfläche der Hirnrinde in den visuellen Arealen des Gehirns war.
Personen mit angeborenem Katarakt hatten eine geringere Fläche und eine höhere Dicke der visuellen Rinde als normal sehende Kontrollpersonen. Diese Ergebnisse entsprachen denen von kongenital dauerhaft blinden Personen.
„Entscheidend ist, dass die strukturellen Hirnveränderungen bei Personen, bei denen der angeborene Katarakt aufgehoben wurde, mit einer geringeren Sehschärfe nach der Operation einhergingen“, berichten die Forscher. Bei Personen mit spätem Katarakt, die ihre Sehkraft wiedererlangten, wurden keine signifikanten Veränderungen der visuellen Kortexstruktur festgestellt.
In der normalen Entwicklung wird die Hirnrinde ab einem Alter von ein bis zwei Jahren dünner, während ihre Oberfläche bis in die Pubertät zunimmt. Beide strukturellen Veränderungen sind laut den Forschern wichtig für die vollständige Reifung neuronaler Netzwerke.
„Die Studie zeigt, dass frühkindliche Erfahrungen die Hirnstruktur langanhaltend und offenbar nicht reversibel verändern können“, sagte Cordula Hölig, Autorin der Studie. Die Forscher vermuten, dass auch andere extreme frühkindliche Erfahrungen – zum Beispiel Vernachlässigung – die Hirnstruktur irreversibel schädigen können. © hil/aerzteblatt.de
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