Politik
Ampelkoalition streicht Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche
Freitag, 24. Juni 2022
Berlin – Der Bundestag hat die Aufhebung des umstrittenen Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche beschlossen. Eine große Mehrheit der Abgeordneten stimmte heute im Plenum für den Regierungsentwurf zur Streichung des entsprechenden Gesetzesparagrafen 219a aus dem Strafgesetzbuch. Die Fraktionen von Union und AfD stimmten dagegen, Enthaltungen gab es nicht.
Paragraf 219a regelte bislang, dass für Schwangerschaftsabbrüche nicht geworben werden darf – führte aber in der Vergangenheit immer wieder dazu, dass Ärzte nicht ausführlich über Schwangerschaftsabbrüche informieren konnten, ohne Strafverfolgung zu riskieren. Das soll sich nun ändern. Den Medizinern wird im beschlossenen Regierungsentwurf ein Informationsrecht zugestanden.
Neben der Streichung von 219a sieht der Bundestagsbeschluss vor, dass Urteile gegen Ärzte, die seit dem 3. Oktober 1990 auf Basis des Paragrafen ergangen sind, aufgehoben werden. Das betrifft etwa die Gießener Allgemeinmedizinerin Kristina Hänel, die 2017 auf der Grundlage von 219a verurteilt worden war und seit Jahren für die Abschaffung des Paragrafen kämpft. Sie saß zusammen mit Kollegen heute im Bundestag auf der Besuchertribüne.
Damit künftig „anstößige“ und unangemessene Werbung für Schwangerschaftsabbrüche verboten bleibt, sieht der abgesegnete Regierungsentwurf vor, das Heilmittelwerbegesetz zu erweitern. So würden auch Schwangerschaftsabbrüche ohne Krankheitsbezug neu von dem Gesetz erfasst, das bislang in anderen Bereichen irreführende Werbung von Medizinprodukten regelt. Das Gesetz muss formal noch den Bundesrat passieren, es kann aber ohne Zustimmung der Länderkammer in Kraft treten.
Information, nicht Werbung
„Es ist höchste Zeit", sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) heute in der abschließenden Debatte im Bundestag. Jede Verurteilung nach dem Strafrechtsparagrafen 219a sei „eine Verurteilung zu viel“. Wenn eine Frau sich mit der schwierigen Frage eines möglichen Schwangerschaftsabbruchs befasse, suche sie heutzutage „in aller Regel“ zunächst im Internet nach Informationen, erläuterte er.
Dort könne „jeder Troll und jeder Verschwörungstheoretiker“ Dinge zu dem Thema verbreiten – hochqualifizierten Ärztinnen und Ärzten hingegen sei es verboten. „Das ist absurd, das ist aus der Zeit gefallen, das ist ungerecht und deshalb beenden wir diesen Zustand.“
Er erläuterte zudem, er wolle Kritikern zwei Sorgen nehmen. So werde immer wieder geäußert, dass das Gesetz das Schutzkonzept für das ungeborene Lebens nicht beachte. Das sei nicht der Fall. Dieser Schutz sei im Strafrechtsparagrafen 218 verankert – die beiden Paragrafen müsse man „streng auseinanderhalten“.
„Kommerzialisierende und banalisierende Werbung“ für Abbrüche werde es auch weiterhin nicht geben, betonte der Justizminister weiter. Dem stehe das ärztliche Berufsrecht entgegen, zudem habe man das Heilmittelwerbegesetz ergänzt. „Es ist Zeit für mehr Vertrauen in Ärztinnen und Ärzte und es ist Zeit für mehr Informationsfreiheit für Frauen“, resümierte Buschmann.
Bundesfrauenministerin Lisa Paus (Grüne) sagte, heute sei „ein großartiger Tag für die Ärztinnen und Ärzte, aber vor allen Dingen für alle Frauen in diesem Land“. Es sei beim Paragrafen 219a nie um Werbung gegangen. „Ungewollt schwangere Frauen suchten vielmehr Rat und Ärztinnen und Ärzte wollten aufklären“, hätten dies aber nicht so tun können, wie sie wollten.
Ungewollt Schwangere könnten sich von nun an darauf verlassen, dass sie „sachkundig beraten und gut unterstützt werden“, erklärte die Ministerin. „Ein Schwangerschaftsabbruch sollte kein Straftatbestand sein, sondern eine Gesundheitsleistung“, betonte sie.
Mit der Abschaffung „endet endlich die jahrzehntelange Stigmatisierung und Kriminalisierung von Ärztinnen und Ärzten“, lobte Paus. Es sei auch ein Signal an die Ärzte, nun aufzuklären, wie sie es für richtig hielten. Paus regte auch an, Folgerichtig im Studium Methoden eines Abbruches zu vermitteln. Frauenärztliche Versorgung sei „mehr als Ultraschalll, Kreißsaal und Krebskonrolle“, sagte sie.
Dank an Wegbereitung
Ulle Schauws (Grüne) dankte wie viele Redner heute dem Engagement der Ärztinnen und Ärzte, die sich in den vergangenen Jahren für die Frauen in Notsituationen eingesetzt haben. Sie erinnerte an eine Petition für die Streichung des Paragrafen 219a, die die Allgemeinmedizinerin Kristina Hänel beim Bundestag vor Jahren eingereicht hatte.
„4,5 Jahre und einen Regierungswechsel später lösen wir heute ein, worauf viele seit langem warten“, sagte Schauws. Man streiche den Paragrafen 219a ersatzlos. „Schluss mit der Kriminalisierung von Ärztinnen und Ärzten, die wie Verbrecher vor Gericht stehen mussten.“
Dirk Wiese, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, sprach von einem wichtigen Schritt für mehr Rechtssicherheit für Ärzte. Er habe Respekt für die Ärztinnen und Ärzte, die sich in den vergangenen Jahren für einen ungehinderten Zugang für Frauen zu Informationen zum Schwangerschaftsabbruch eingesetzt hätten. Der heutige Tag sei auch ihr Verdienst.
Katrin Helling-Plahr, rechtspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, stellte heute wie Buschmann klar, dass die Abschaffung des Paragrafen 219a keine Abkehr vom Lebensschutzkonzept bedeute. Es sei aber „geradezu aus der Zeit gefallen“, dass man ein mit Strafe bedrohtes Informationsverbot habe und dieses „auch noch Ärztinnen und Ärzte in die Zange“ nehme, die geeignet seien, zu informieren. Es sei „gut, dass 219a endlich fällt“.
Sonja Eichwede, rechtspolitische Sprecherin der SPD im Bundestag, dankte den Ärztinnen und Ärzten. Es sei wichtig, dass deren Kriminalisierung „endlich beendet wird“. Sie stellte klar, dass man im Schwangerschaftskonfliktgesetz aufgenommen habe, dass Ärzte informieren können. Man habe erfahren, dass einige Länder an Berufsordnungen gearbeitet hätten, das zu untergraben. Der Union warf sie vor, sachlicher Information und Werbung zu vermischen. Das sei nicht zeitgemäß.
Heidi Reichinnek (Linke) bezeichnete den 219a als Schikane von Schwangeren und Ärztinnen. „Das 219a endlich verschwindet ist längst überfälliger Schritt“, sagte sie. Reichinnek bezeichnete die Regelungen in Paragraf 218 Strafgesetzbuch, der Abbrüche grundsätzlich unter Strafe stellt, aber als weiterhin problematisch. „Wir müssen nach 219a auch endlich 218 abschaffen.“
aerzteblatt.de
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Union und AfD äußerten sich heute empört über die Abschaffung des Gesetzesparagrafen. Abgeordnete beider Fraktionen betonten immer wieder, dass sich Frauen auch jetzt schon ausführlich über Schwangerschaftsabbrüche informieren könnten und dass die Rechte des ungeborenen Lebens nicht zu kurz kommen dürften.
Es gehe der Ampelkoalition vor allem darum, „ein Erfolgserlebnis zusammen zu produzieren“ aus Gründen der „Gruppendynamik“, sagte die Vorsitzende des Rechtsausschusses, Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU). Zwar könne jeder die schwierige Lage einer ungewollt schwangeren Frau nachvollziehen.
„Aber wir denken eben auch an das Lebensrecht des Kindes – und das ist der maßgebliche Unterschied, den ich sehe zwischen uns“, sagte Winkelmeier-Becker an die Koalitionsfraktionen gerichtet. Die Union wolle daher an der geltenden Reglung festhalten.
Die Streichung von 219a ermögliche „proaktive Werbung im Internet“, warnte die CDU-Politikerin. Damit werde suggeriert, dass es bei einem Abbruch „um eine ganz normale ärztliche Behandlung geht“, was nicht der Fall sei.
Susanne Hierl (CDU) sagte, es sei „heute kein großartiger Tag für alle Frauen“. „Ich weise dasvon mir.“ Es gelte konkurrierende Rechtsgüter im Auge zu behalten. Frrauen und ihr Recht auf Selbstbestimmung und das Recht des ungeborenen Kindes auf Leben. Schutzbedürftigkeit sei abzuwägen.
Thomas Seitz (AfD) war der Ampelkoalition vor, sie plane eigentlich die Abschaffung der Strafrechtlichkeit für alle Schwangerschaftsabbrüche. Man müsse sich die Frage stellen, wie das Lebensschutzkonzept verbessert werden könne und nicht, wie man es zerschlage. „Niemals hat Deutschland eine Willkommenskultur für ungeborene Kinder dringender gebraucht als unter dieser Regierung.“
Erste Reaktionen
In ersten Reaktionen zeigten sich zwei Ärztekammern heute erfreut. „Endlich hat sich der Gesetzgeber dazu durchgerungen, den Paragrafen 219a zu streichen“, sagte Pedram Emami, Präsident der Ärztekammer Hamburg. „Das war überfällig.“
Die Streichung stärke die Selbstbestimmung der Frauen und gebe Ärztinnen und Ärzten Rechtssicherheit, sagte der Präsident der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz, Günther Matheis. „Es muss möglich sein dürfen, betroffenen Frauen in schwierigen persönlichen Situationen sachgerechte Informationen zu geben“.
Der 126. Deutsche Ärztetag in Bremen hatte zuletzt mit großer Mehrheit seine bisherige Beschlusslage geändert und die von Bundesjustizminister Marco Buschmann angestrebte Streichung des Paragrafen 219a Strafgesetzbuch begrüßt.
Die Ärzteschaft hält ebenso wie Buschmann den derzeitigen Rechtszustand für „unhaltbar“, dem zufolge Ärzte für die sachliche medizinische Information über von ihnen angewandte Methoden zum Schwangerschaftsabbruch der Strafverfolgung aussetzt werden können.
Alexandra Linder, Vorsitzende des Bundesverband Lebensrecht, erklärte heute hingegen, Abtreibungsideologen hätten heute ihr erstes Etappenziel zur vollständigen Legalisierung der Abbrüche in Deutschland erreicht. © may/afp/dpa/aerzteblatt.de

Paragraf 219a
Mf+kG, Ihr Dr. med. Thomas G. Schätzler, Facharzt für Allgemeinmedizin in Dortmund

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