Politik
Digitalisierung: Gesundheitsminister machen Druck
Freitag, 24. Juni 2022
Berlin – Die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) ruft die Bundesregierung auf, bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens einen Gang höher zu schalten. In einem gestern verabschiedeten Beschluss fordern sie nicht nur, Sektorengrenzen zu überwinden und die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung zu stärken, sondern auch, bei der elektronischen Patientenakte (ePA) auf die Ärzteschaft zu hören.
Die Bundesregierung soll die vom 126. Deutschen Ärztetag geforderte Opt-out-Lösung für die ePA prüfen, „da nur eine gefüllte Akte es den Patientinnen und Patienten ermöglicht, im Bedarfsfall auf relevante Inhalte zuzugreifen – und damit informierte, selbstbestimmte Entscheidungen über den weiteren Umgang mit der eigenen Gesundheit zu treffen“, heißt es im Beschluss.
Tatsächlich hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bereits vor dem Deutschen Ärztetag angekündigt, sich noch dieses Jahr mit einem eigenen Gesetzentwurf der Einführung einer Opt-out-Lösung für die ePA zu widmen, da er darin ebenfalls den einzigen Weg zu einer flächendecekenden Anwendung sehe.
Die digitale Gesundheitskompetenz der Bürger, Patienten und aller im Gesundheitswesen Tätigen müsse gefördert und gestärkt werden. Das sei „die elementare Voraussetzung, das Potential der Digitalisierung in Gänze auszuschöpfen“. Dazu gehöre auch, Patienten stärker in die Kommunikation einzubinden und deutlich intensiver über die bestehenden digitalen Gesundheitsanwendungen zu informieren.
Dadurch könnten auch die Hausärztinnen und Hausärzte von Informations- und Beratungsgesprächen entlastet werden. Außerdem bitten die Gesundheitsministerinnen und -minister das Bundesgesundheitsministerium, die Gründe für die geringe Inanspruchnahme digitaler Anwendungen wie der ePA zu evaluieren.
Mehr Strategie benötigt
Überhaupt: Die Minister und Senatoren wollen mehr Systematik in die Digitalisierung bringen. Sie „sehen den Bedarf einer von Bund, Ländern und Selbstverwaltung gemeinsam erarbeiteten E-Health-Strategie, um die Rahmenbedingungen für die digitale Transformation des deutschen Gesundheitswesens zu definieren“.
Sie bitten die Bund-Länder-AG „Digitalisierung im Gesundheitswesen“ deshalb mit ihrem Beschluss, die Ausarbeitung einer nationalen E-Health-Strategie zu begleiten und als etablierte Austauschplattform zwischen Bund und Ländern zur Verfügung zu stehen.
Indirekte Kritik an der Digitalisierungspolitik des BMG übt die GMK in ihrem Beschluss mit Blick auf die Einführung der Anwendungen der Telematikinfrastruktur. „Ausschließlich vollständig funktionsfähige, ausreichend leistungsfähige und qualitätsgesicherte Anwendungen dürfen in einem flächendeckenden Roll-out-Prozess die Praxen erreichen“, greifen sie damit ebenfalls – und zwar fast wortgenau – Forderungen der Ärzteschaft auf.
Sie bitten deshalb das BMG, zu prüfen, wie die weitere Entwicklung der TI mit ihren Anwendungen besser auf die Versorgung und die Perspektive der Nutzer ausgerichtet werden kann. Außerdem bekräftigen sie die Notwendigkeit, „Sektorengrenzen durch digitale Lösungen für Versorgungs- und Unterstützungsangebote zu überwinden und innovative, regionale Versorgungslösungen unter Berücksichtigung örtlicher Besonderheiten zu schaffen“, wozu weitere konkrete Schritte nötig seien.
Wie abgeschlagen Deutschland bei der Digitalisierung ist, haben die vergangenen beiden Jahre verdeutlicht. Die Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Digitalisierung als Element der Pandemiebekämpfung hätten gezeigt, „dass das deutsche Gesundheitswesen noch erhebliche Anstrengungen benötigt, um resilient und zukunftsfest zu werden“.
Das gilt auch in finanzieller Hinsicht: Die Auswirkungen der Pandemie würden erfordern, das erhebliche wirtschaftliche Nutzenpotential der Digitalisierung im Gesundheitswesen zu heben. Die GMK bekräftige deshalb die Forderungen zur Verbesserung der Datenerhebung und Datenverarbeitung zur Pandemievorbereitung auf Herbst und Winter 2022 und 2023 aus der 11. Stellungnahme des Expertenrates der Bundesregierung zu COVID-19.
Zwar gebe es bereits funktionierende Strukturen und Meldesysteme wie das DIVI-Meldesystem der Intensivbelegung und das GrippeWeb zur Abfrage von Krankheitsinformationen in der Bevölkerung. Insgesamt jedoch seien weitere dringende Maßnahmen zur verbesserten Datenerhebung und Digitalisierung erforderlich.
Die Minister und Senatoren bitten deshalb das BMG, umgehend ein Konzept zur Umsetzung der Forderungen aus der 4. und 11. Stellungnahme des Expertenrates der Bundesregierung zur COVID-19 Pandemie vorzulegen und mit den Ländern zu beraten.
Immerhin beim Blick nach Brüssel zeigte sich die GMK zufrieden: Die Minister und Senatoren begrüßen in ihrem Beschluss, dass die Europäische Kommission im Mai einen europäischen Raum für Gesundheitsdaten auf den Weg gebracht hat.
Damit finde ein grundlegender Umbruch im digitalen Wandel der Gesundheitsversorgung innerhalb Europas statt: „Zukünftig sollen die Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt gestellt werden und soll ihnen die vollständige Kontrolle ihrer Daten mit dem Ziel, eine bessere Gesundheitsversorgung in der gesamten EU zu erreichen, gegeben werden.“ © lau/aerzteblatt.de

Interessanter Ansatz, eine ePA gegen die Ärzte etablieren zu wollen.
Ohne dass die Ärzte die ePA aus eigenem Antrieb heraus nutzen WOLLEN, bleibt die ePA ein Scheinriese. Und warum sollten Ärzte eine ePA nutzen wollen wenn für sie, die Ärzte, damit hohe Nutzenverluste verbunden sind? Und wenn die Ärzte mit der Nutzung unkalkulierbare Datenschutzrisiken eingehen? Und wenn die Ärzte unkalkulierbare Haftungsrisiken eingehen? Und warum sollten die Ärzte eine ePA überhaupt nutzen wollen, wenn sie niemals sicher sein können, dass die darin enthaltenen Daten vollständig, aktuell und wahr sind?
Solange diese Punkte nicht geklärt sind, bleibt die ePA eine Totgeburt.

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