Politik
Cannabisfreigabe: Lauterbach will Eckpunkte im Herbst vorlegen
Donnerstag, 30. Juni 2022
Berlin – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will bis zum Herbst Eckpunkte für die geplante Cannabisfreigabe vorlegen. Das erklärte er heute in Berlin beim Abschluss des Konsultationsprozesses zur Vorbereitung des Gesetzgebungsprozesses.
Seit Mitte Juni hatten in vier digitalen Expertenanhörungen mehr als 200 Fachleute aus Suchtmedizin, Suchthilfe, Rechtswissenschaften, Wirtschaft und Verbänden sowie Vertreterinnen und Vertreter von Ländern, Kommunen, Bundesministerien und Bundesbehörden über das geplante Gesetzesvorhaben diskutiert.
Der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, Burkhardt Blienert (SPD), hat heute seinen Konsultationsprozess mit der fünften und letzten Anhörung beendet. Der Fokus des Kongresses lag auf Erfahrungen anderer Länder und ihrem Umgang mit einer Cannabislegalisierung oder -entkriminalisierung.
„Die Ampelregierung will die kontrollierte Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken. Dafür haben wir einen aufwendigen Konsultationsprozess vorgeschaltet“, erklärte Lauterbach zur Eröffnung. Er kündigte an, im Herbst ein Eckpunktepapier präsentieren zu wollen, das auf der Grundlage der erfolgten Konsultationen nun erarbeitet wird.
„Ende des Jahres wollen wir einen Referentenentwurf vorlegen, so dass wir mit dem Gesetzgebungsverfahren nächstes Jahr durchstarten können“, kündigte er weiter an. Für die geplante Freigabe sei das Prinzip „Safety First“ entscheidend.
Cannabis solle mit der geplanten Freigabe nicht verharmlost werden, sondern das Vorhaben müsse von guten neuen Regelungen bezüglich Anbau, Produktion, Verkauf, aber auch Jugendschutz, Straßenverkehrsrecht und Strafrecht begleitet werden, so Lauterbach: „Das Vorhaben ist alles andere als trivial.“ Trotzdem sei die geplante Freigabe wichtig, denn der derzeitige repressive Umgang mit Cannabis sei gescheitert, betonte Lauterbach.
50 Prozent der jungen Erwachsenen konsumieren Cannabis
In Deutschland würden Lauterbach zufolge rund vier Millionen Menschen Cannabis nutzen. Bei den 18- bis 25-Jährigen seien es sogar rund 50 Prozent. Im Hinblick auf andere Länder, in denen Cannabis legal ist, sei der Konsum nach der Freigabe aber nicht angestiegen.
Gefährlich seien insbesondere die großen Schwankungen hinsichtlich der Reinheit der Cannabisprodukte auf dem Schwarzmarkt. Verunreinigungen und beigemischte Substanzen könnten gesundheitlich schwerwiegende Folgen nach sich ziehen oder sogar dazu führen, dass die Konsumenten auch von anderen Drogen abhängig werden, erläuterte Lauterbach.
Der Bundesdrogenbeauftragte Blienert zeigte sich zufrieden mit den erfolgten Konsultationen. „Ich bin sehr dankbar, dass sich so viele fachkompetente Menschen mit ihren unterschiedlichen Meinungen zum Thema Cannabis sehr sachlich und produktiv über die Kernpunkte und die zentralen Fragen auf dem Weg zur kontrollierten Cannabisabgabe ausgetauscht haben. All diese Ergebnisse werden wir jetzt zusammenfassen und auswerten.“ Er sei zudem froh, dass endlich auch über Entstigmatisierung geredet wird.
Blienert betonte auch das Thema Jugendschutz, das mit der Freigabe mitgedacht werden muss. In einer entsprechenden Diskussionsrunde erklärte Gabriele Sauermann von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), dass die Cannabisdebatte „aus der Schmuddelecke“ rauskommen müsse und das Thema endlich offen in Familien und Schulen besprochen werden sollte.
Präventionsmaßnahmen müssten zudem in der Lebenswelt der Teenager stattfinden, also auch im Freizeitbereich. Der Geschäftsführer des Deutschen Hanfverbandes, Georg Wurth, betonte, dass zudem nicht die Polizei die Aufklärung an den Schulen übernehmen sollte. „Das trägt nicht zum offenen Gespräch und zur Glaubwürdigkeit bei“, sagte Wurth.
Auch in anderen Ländern wird das Thema Jugendschutz groß geschrieben. In Malta gab es etwa schon einige Jahre vor der Legalisierung Präventionsprogramme, berichtete Mariella Dimech von der maltesischen Cannabisbehörde. Malta hatte Ende vergangenen Jahres als erstes EU-Land den Besitz von bis zu sieben Gramm Cannabis für Erwachsene und damit den Konsum legalisiert.
Jugendschutz in Colorado: Kein Cannabis in Obstform
Im US-Bundesstaat Colorado wird ein großer Fokus daraufgelegt, die Cannabisprodukte möglichst wenig attraktiv für Minderjährige zu gestalten. So dürfen sie etwa nicht wie beispielsweise Gummibärchen in Form von Menschen, Tieren oder Früchten verkauft werden, erklärte Dominique Mendiola, Senior Director der „Marijuana Enforcement Division“ in Colorado.
Außerdem gilt in Colorado, wo Cannabis schon 2012 freigegeben wurde, eine Obergrenze von 10mg THC für jede Einzelportion sowie maximal 100mg pro Produkt. Außerdem gebe es Verkaufslimits. Obergrenzen der THC-Konzentration gebe es in Colorado allerdings nicht, so Mendiola.
Gegen eine Obergrenze für den deutschen Kontext sprach sich auch Wurth aus. „Wenn es eine THC-Obergrenze gibt, dann wird der Schwarzmarkt weiter bedient“, so der Vertreter der Hanf-Lobby. Er plädiere für möglichst wenige Einschränkungen bei den verkauften Cannabis-Produkten.
Einig waren sich die Experten darin, dass die Qualität des freigegebenen Cannabis sichergestellt werden müsste. Auch hier gab Mendiola einen Einblick der Vorgehensweise in Colorado. Der Fokus liege auf umfänglicher Überwachung der Anbau- und Produktionsanlagen als auch der Cannabis-Produkte selbst.
Das fertige Genusscannabis müsste etwa mit einer Nummer, die sich auf die jeweilige Ernte bezieht, versehen sein, erläuterte Mendiola. Allerdings dürfen in Colorado Cannabispflanzen auch in limitierter Anzahl für den persönlichen Gebrauch angebaut werden, ähnlich ist es auch beispielsweise in Südafrika geregelt. In Südafrika hat das dortige Verfassungsgericht 2018 den privaten Konsum von Cannabis für legal erklärt.
Zufriedenheit in Kanada
Einschränkungen bei Produktkategorien hatte auch Kanada verhängt. Als der Ahornstaat als erste große Industrienation landesweit den Freizeitgebaruch legalisierte, ging die Regierung stufenweise vor, erklärte John Clare, Leiter der Abteilung „Cannabis und Betäubungsmittel“ des kanadischen Gesundheitsministeriums.
So seien in einem ersten Schritt ab Oktober 2018 lediglich getrocknete Blüten, Öle und Samen zum Anbau freigegeben worden. Erst nach der Ausarbeitung eingehender gesetzlicher Vorschriften seien andere Produktkategorien wie Edibles oder Extrakte unter Auflagen erlaubt worden.
Die Cannabisfreigabe sei in Kanada ähnlich abgelaufen wie in Deutschland, nämlich zu Beginn mit einem ausführlichen Konsultationsprozess. „Legalisierung ist kein Ereignis, sondern ein Prozess“, sagte Clare.
Die bisherige Evaluation der Cannabisfreigabe zeige, dass wesentliche Ziele erreicht wurden, während unerwünschte Nebeneffekte blieben. So sei neben: So sei die Prävalenz des Cannabiskonsums seit der Legalisierung nicht wesentlich gestiegen, auch nicht in der Altersgruppe der 16- bis 19-Jährigen.
Auch Hochrisikoverhalten wie täglicher oder beinahe täglicher Konsum habe nicht zugenommen. Der Schwarzmarkt wiederum sei zwar nicht umgehend ausgetrocknet worden, der Trend sei jedoch eindeutig: Seine Rolle nähme kontinuierlich ab.
„Sowohl Umfragen als auch Marktdaten zeigen, dass es eine substanzielle Verschiebung vom illegalen in den legalen Markt gibt“, erklärte Clare. Im ersten Quartal 2022 seien 66,7 Prozent des konsumierten Cannabis über den legalen Markt erworben worden. Knapp die Hälfte der Konsumenten würde ausschließlich im legalen Markt kaufen, nur 14 Prozent ausschließlich auf dem Schwarzmarkt.
Werbeverbot kontraproduktiv?
Dabei setzt Kanada bei der Bekämpfung des Schwarzmarkts weiterhin auf teils strikte Regulierung, inklusive eines Werbeverbots für Cannabis. Ob das auch hierzulande der richtige Weg ist, ist umstritten. „Ein komplettes Werbeverbot hat einen Nachteil für den legalen Bereich, der sich gegen den Schwarzmarkt durchsetzen will“, erklärte Justus Haucap, Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie.
Man wolle Konsumentenströme kanalisieren, deshalb werde man ein Minimum an Werbung benötigen – allein schon, damit die Konsumenten informiert werden, wo sie qualitativ hochwertige und sichere Produkte erwerben können. DHS-Vertreterin Sauermann hingegen setzt sich vor allem aus Jugendschutzgründen für ein komplettes Werbeverbot, auch in den sozialen Medien ein.
Die wahrscheinlich wichtigste Stellschraube zur Austrocknung des Schwarzmarktes ist hingegen die Besteuerung: Cannabis muss teuer genug sein, um den Konsum nicht zu befeuern, aber gleichzeitig so günstig, dass Konsumenten nicht aus Kostengründen auf dem Schwarzmarkt einkaufen.
„Der Markt ist wahrscheinlich bereit, ein Stück über den Schwarzmarktpreis zu gehen“, sagte Dirk Heitepriem, Vizepräsident des Branchenverbandes Cannabiswirtschaft. Der schlägt vor, auf Grundlage des psychoaktiven Wirkstoffs THC zu besteuern: 10 Euro pro 1000 mg THC. Welches Besteuerungsmodell die Bundesregierung schließlich wählen wird, bei der Entscheidung dieser Frage sollte ebenjener Konsultationsprozess behilflich sein. © cmk/lau/aerzteblatt.de

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