Medizin
Endokrine Disruptoren: Pränatale Exposition könnte Leber bereits im Kindesalter schädigen
Donnerstag, 7. Juli 2022
New York – Die zunehmende Verbreitung von endokrinen Disruptoren in Gegenständen des täglichen Bedarfs könnte die Entwicklung von Leberschäden im Kindesalter fördern. Zu diesem Ergebnis kommt eine Exposomstudie in JAMA Network Open (2022; DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2022.20176), die die pränatale Exposition mit 45 Schadstoffen mit erhöhten Serumkonzentrationen von Zytokeratin-18, einem Marker für Leberschädigungen, im Alter von 8 Jahren in Verbindung bringt.
Die nicht-alkoholische Fettleber, eine der häufigsten Erkrankungen von Erwachsenen weltweit, wird zunehmend bereits im Kindesalter diagnostiziert. Die Prävalenz wird mit 6 bis 10 % bei Kindern im Allgemeinen und mit 34 % bei adipösen Kindern angegeben.
Neben der Adipositas werden auch Umweltchemikalien als Auslöser vermutet. Als bedenklich wird eine große Gruppe von Molekülen eingestuft, die im Körper eine hormonartige Wirkung haben und deshalb bereits in kleinster Menge schädlich sein könnten.
Zu diesen endokrinen Disruptoren gehören zahlreiche Pestizide, Kunststoffe, Flammschutzmittel und toxische Metalle. Beispiele sind per- und polyfluorierte Alkylverbindungen („PFAS“), die chemisch nicht abbaubar sind und sich deshalb in der Umwelt immer stärker anreichern.
Das bekannteste Beispiel ist Polytetrafluorethylen oder „Teflon“. Andere PFAS sind in Lebensmittelverpackungen enthalten. Auch polybromierte Diphenylether, die als Flammschutzmittel in Möbeln und Säuglingsprodukten verwendet werden, können im menschlichen Körper eine hormonartige Wirkung haben.
Das europäische „Human Early-Life Exposome“-Projekt (HELIX) untersucht derzeit die Auswirkungen von 45 Umweltschadstoffen, die allgemein (in Abgrenzung zum Genom) als Exposom bezeichnet werden, auf die Gesundheit von Kindern. An 6 Kohorten in Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Litauen, Norwegen und Spanien wurden zwischen 2003 bis 2010 bei 1.108 schwangeren Frauen insgesamt 45 Chemikalien im Blut oder Urin bestimmt.
Bei den Kindern wurde im Alter von im Mittel 8,2 Jahren die Plasmakonzentration von Zytokeratin (CK)-18 bestimmt. CK-18 ist ein Leberprotein, dessen Fragmente bei einem Untergang der Leberzellen ins Blut freigesetzt werden. Ein Anstieg von CK-18 ist damit ein allgemeiner Marker für eine Leberschädigung, dessen häufigste Form eine NAFL ist.
Wie ein Team um Damaskini Valvi von der Icahn School of Medicine in New York jetzt berichtet, war für verschiedene endokrine Disruptoren eine Assoziation nachweisbar. So stieg die Wahrscheinlichkeit einer Leberschädigung mit dem Quartil der Exposition mit chlororganischen Pestiziden um 44 % (Odds Ratio 1,44; 95-%-Konfidenzintervall 1,21 bis 1,71).
Für polybromierte Diphenylether betrug die Odds Ratio 1,57 (1,34-1,84), für Perfluoralkyl-Verbindungen 1,73 (1,45-2,09) und für Metalle 2,21 (1,65-3,02). Eine vermehrte Exposition mit Phthalaten mit hohem Molekulargewicht war dagegen mit einer verminderten Rate von CK-18-Anstiegen verbunden (Odds Ratio 0,74; 0,60–0,91). Das gleiche traf auf Phenole zu (Odds Ratio 0,66; 0,54-0,78).
Die Studie wirft für Valvi ein Schlaglicht auf eine mögliche pränatale Schädigung der Leberentwicklung durch häufige Umweltchemikalien. Für die Kinder ist es jedoch nur der erste Kontakt mit diesen Substanzen. Nach der Geburt sind sie über Spielsachen, Haushaltsgegenstände und Nahrungsmittel weiter exponiert. Dies könnte die gefundenen Assoziationen beeinflusst haben.
Zu den Einschränkungen gehört auch, dass mit der zunehmenden Zahl der getesteten Substanzen die Gefahr von Zufallsergebnissen steigt. Die Bestimmung von CK-18 könnte auch ein ungenauer Marker für die Leberschädigung der Kinder sein, deren Folgen sich derzeit noch nicht abschätzen lassen.
© rme/aerzteblatt.de
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