Politik
Coronaschutzmaßnahmen: Minister präsentieren Vorschlag für den Herbst
Mittwoch, 3. August 2022
Berlin – Zum Schutz vor einer Herbst-Coronawelle sollen die Bundesländer ab Oktober wieder Maskenpflichten verhängen dürfen. Das sieht eine Einigung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) und des Bundesjustizministeriums (BMJ) unter Beteiligung des Bundeskanzleramtes für das Infektionsschutzgesetz vor.
Bundesweit soll mit dem angepassten Gesetz ab dem 1. Oktober 2022 eine FFP2-Maskenpflicht im Fern- und Flugverkehr sowie neu eine Masken- und Testpflicht in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen gelten. Diese Regelungen nannte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) heute Maßnahmen zur „allgemeinen Vorsorge“.
Die Länder sollen selbst entscheiden, ob sie darüber hinaus in öffentlich zugänglichen Innenräumen oder im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) FFP2-Masken vorschreiben. Bei Kultur- und Sportveranstaltungen und in Restaurants soll es allerdings Ausnahmen für tagesaktuell getestete, frisch geimpfte und frisch genesene Menschen geben.
Der Status „frisch genesen“ beziehe sich auf eine Infektion in den vergangenen 90 Tagen, erläuterte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Frisch geimpft heiße zudem: Mindestens drei verabreichte Impfdosen und die letzte Impfung dürfe höchstens drei Monate her sein.
Die Länder sollen auch die Möglichkeit bekommen, Tests in Schulen, Kitas und Einrichtungen zur Unterbringung von Asylbewerbern vorzuschreiben. Eine Maskenpflicht in der Schule ist nur vorgesehen, wenn sonst kein geregelter Präsenzunterricht möglich wäre – und auch dann nur ab dem fünften Schuljahr.
Befürchtet ein Land, dass sein Gesundheitssystem oder andere kritische Infrastruktur zusammenbricht, können weitergehende Maßnahmen als die der allgemeinen Vorsorge ergriffen werden. Dafür sollen Indikatoren wie Abwassermonitoring, Sieben-Tage-Inzidenz der Neuinfektionen und Hospitalisierung, RKI-Surveillance-Systeme und stationäre Versorgungskapazitäten hinzugezogen werden.
In diesem Fall sollen FFP2-Maskenpflichten ohne Ausnahmen gelten, auch etwa bei Veranstaltungen draußen, wenn etwa Mindestabstände nicht eingehalten werden können. Dann soll es auch keine Ausnahmen für Getestete, Genesene und Geimpfte geben.
In dieser verschärften Situation können auch wieder Mindestabstandsgebote von 1,5 Metern sowie Personenobergrenzen bei Veranstaltungen in öffentlich zugänglichen Innenräumen eingeführt werden.
Diese zusätzlichen Maßnahmen, Buschmann nannte sie „Schneeketten“, die auf die Basismaßnahmen (Winterreifen) aufgespannt werden könnten, müssen aber per Landtagsbeschluss von den Ländern festgelegt werden. Die geplanten Maßnahmen sollen über den Herbst und Winter vom 1. Oktober 2022 bis zum 7. April 2023 gelten.
Lockdowns und Schulschließungen nicht mehr eingeplant
Schul- oder Betriebsschließungen sowie Lockdowns sollen aber nicht mehr möglich sein, betonte Buschmann. Er erklärte: „Vorbereitet sein – Verhältnismäßigkeit wahren – vulnerable Personen schützen: An diesen drei V orientiert sich unser Coronaschutzkonzept für die Zeit ab Oktober. Wir nehmen die Pandemie weiter ernst. Und vor allem nehmen wir die Grundrechte ernst.“
Auch im Herbst und Winter gelte: Freiheitseinschränkungen dürfe es nur geben, wenn sie erforderlich seien. „Lockdowns und Ausgangssperren erteilt unser Konzept deshalb eine Absage. Stattdessen setzen wir auf Maßnahmen, die wirksam sind und zugleich zumutbar“, sagte Buschmann. Auch 2G- oder 3G-Regelungen soll es nicht erneut geben.
Lauterbach betonte die Notwendigkeit der Schutzmaßnahmen: „Wir werden sehr viele Fälle haben, aber sie werden nicht so tödlich verlaufen wie die Delta-Fälle“. Außerdem werde es bald vier neue COVID-19-Impfstoffe geben, kündigte der Minister an.
Dazu gehören zwei BA.1-Wuhan-bivalente Impfstoffe von Biontech und von Moderna und zwei BA.5-bivalente Impfstoffe von Biontech und von Moderna. „Diese Impfstoffe sollen frühestens am 9. September ihre Zulassung erhalten. Mit diesen Impfstoffen sei ein besserer Immunschutz möglich“, so Lauterbach.
Er sagte weiter: „Wir wissen, dass wir mit Paxlovid ein Medikament haben, mit der wir Sterblichkeit deutlich senken können. Damit sind wir insgesamt in einer viel besseren Situation als im letzten Herbst.“ Trotzdem brenne die Kerze von beiden Seiten – einerseits werde sich immer mehr Personal in den kritischen Infrastrukturen und im Gesundheitswesen mit COVID-19 infizieren und zeitweise ausfallen – und zusätzlich werde es mehr Fälle geben, die medizinische Hilfe benötigen.
Bundestag soll Kompromiss im September beschließen
Die geplanten Änderungen sollen voraussichtlich an den Entwurf des Gesetzes zur Stärkung des Schutzes der Bevölkerung und insbesondere vulnerabler Personengruppen vor COVID-19, der bereits am 7. Juli 2022 in erster Lesung im Bundestag diskutiert worden ist, angedockt werden.
Per Änderungsantrag und Formulierungshilfe sollen die geplanten Änderungen am 24. August beschlossen werden. Danach soll es eine Anhörung und Beratung im Gesundheitsausschuss des Bundestags geben. Schlussendlich soll das Gesetz im September verabschiedet werden.
Die aktuellen Coronaschutzmaßnahmen im Infektionsschutzgesetz laufen derzeit zum 23. September 2022 aus. Die bisherigen Sonderregeln sollen bis zum 30. September zunächst befristet werden, so dass die neuen Anpassungen ab 1. Oktober greifen werden.
Die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, Maria Klein-Schmeink und Konstantin von Notz, erklärten zu dem heute vorgelegten Vorschlag: „Der vorliegende Kompromiss zur Reform des Infektionsschutzgesetzes stellt eine gute und faktenbasierte Vorbereitung für den kommenden Herbst und Winter dar.“
Auf Grundlage dieses Kompromisses sei vorausschauendes und der Lage angemessenes Handeln im Herbst und Winter möglich und notwendige Maßnahmen, um sachgerecht auf ein Ansteigen der Infektionsdynamik zu reagieren, könnten getroffen werden.
„Wichtig ist dabei vor allem die einheitliche und flächendeckende Umsetzung der Maskenpflicht in Innenräumen und im Fern- und öffentlichen Nahverkehr“, betonten die beiden Abgeordneten der Grünen-Fraktion.
Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Andrew Ullmann begrüßte das vorgeschlagene Vorhaben: „Die Pandemie ist noch nicht vorbei und jeder muss sich seiner Verantwortung bewusst sein. Mit dieser Regelung werden wir gut auf den kommenden Herbst vorbereitet sein."
Das Vorhaben erlaube eine dezentralisierte Bekämpfung der Pandemie. "Es gibt den Ländern ausreichend Rüstzeug. Die Freiheitsrechte werden gewahrt und der Maßnahmen-Evaluation wird Rechnung getragen", so Ullmann.
Für die FDP sei es wichtig, besonders die vulnerablen Menschen zu schützen, was mit dieser Gesetzesinitiative adäquat adressiert werde. Nun liege es an den Ländern, die ihrer verfassungsmäßigen Verantwortung bewusst sein sollten. Es dürfe aber kein Überbietungswettbewerb mit dem Werkzeugkasten in den kommenden Monaten geben.
Ullmann erklärte weiter: „Das Basis-Regelwerk ermöglicht es, die Sommer-Freiheiten auch über den Herbst zu bewahren. Wir leben seit mehreren Monaten gut mit ähnlichen Regelungen. Ich gehe davon aus, dass das auch so bleibt und wir im Dezember die Weihnachtsmärkte wieder gemeinsam genießen dürfen.“
Länder äußern Kritik und wünschen mehr Mitbestimmung
Enttäuscht zeigt sich die Landesregierung in Baden-Württemberg. „Wir hätten uns mehr von dem Entwurf erhofft, da das entscheidende Mittel, nämlich ein umfangreicher Instrumentenkasten für die Länder, nicht vorgesehen ist“, sagte Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne). Der Entwurf bleibe hinter den Erwartungen des Landes zurück.
Lucha kritisierte, dass es nicht die Möglichkeit gebe, bei verschärfter Infektionslage im Extremfall sogenannte 2G- oder 3G-Beschränkungen oder Kontaktbeschränkungen im privaten und öffentlichen Raum einzuführen.
Der Gesetzentwurf sei in drei Stufen untergliedert, in denen je nach pandemischer Situation weitergehende Maßnahmen getroffen werden können, etwa Personen-Obergrenzen für Veranstaltungen oder eine Maskenpflicht in Innenräumen.
Man müsse überprüfen, warum etwa in der ersten Stufe nicht die Möglichkeit bestehen soll, in Arztpraxen eine Maskenpflicht einzuführen. Auch stellte Lucha die Frage, ob es sinnvoll sei, Ausnahmen von der Maskenpflicht für geimpfte und genese Personen zuzulassen, wenn diese möglicherweise auch ansteckend sein können.
„Wir hoffen, dass wir bis auf Basismaßnahmen im nächsten Herbst und Winter nichts brauchen werden, aber für den Notfall müssen wir schnell und ohne Zögern handeln können“, sagte der Minister. Nun sei eine umfangreiche Analyse und Beratung des Gesetzentwurfs notwendig.
Kritik äußerte auch Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU). „Gut gemeint heißt noch lange nicht gut gemacht. Wir begrüßen natürlich alle Maßnahmen, die den Infektionsschutz stärken, zum Beispiel die Maske im Innenraum. Aber die Punkte, die der Bund heute vorgelegt hat, lassen leider noch viele Fragen offen, vor allem, was den Vollzug und die Umsetzung der Maßnahmen angeht“, sagte er.
Holetschek wünsche sich mehr Klarheit bei den geplanten Regelungen: „Der Bund regelt einige Basisschutzmaßnahmen selbst und gibt den Ländern gestufte Befugnisse für weitere Werkzeuge an die Hand. Aber für die Länder ist noch völlig offen, welche Kriterien gelten sollen, um die Werkzeuge anzuwenden.“
Es sei die Rede von Hospitalisierungsinzidenz, 7-Tage-Inzidenz, der Surveillance-Systeme des Robert-Koch-Instituts und Abwassermonitoring. „Aber bei welchen Werten und Stufen sollten wir welche Maßnahmen scharf stellen? Da wünsche ich mir einen klaren Kriterienkatalog, denn sonst haben wir wieder Befugnisse im Gesetz, die nicht wirken können, weil die Länder von ihnen nicht rechtssicher Gebrauch machen können“, so der bayerische Gesundheitsminister.
Holetschek sehe klare handwerkliche Mängel in dem Gesetzgebungsprozess. Das erinnere ihn an die Situation mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht. Da habe der Bund den Ländern ein Gesetz vor die Füße geworfen und sich nicht weiter um die Umsetzung gekümmert.
„Das ist wie ein Feuerlöscher, bei dem man leider vergessen hat, einen Schlauch mitzuliefern, mit dem man gezielt auf das Feuer halten kann. Sowas bringt uns für den Herbst nicht weiter.“ Allerdings begrüßt er, dass der Vorschlag voraussichtlich am 9. August in der Gesundheitsministerkonferenz erörtert werde und die Länder ihre Stimme einbringen können.
Er kritisierte zudem: „Wochenlang hat der Bundesgesundheitsminister hinter verschlossenen Türen mit der FDP verhandelt und uns im Unklaren gelassen.“ Zudem verfestige sich der Eindruck, dass die FDP den Bundesgesundheitsminister vor sich hertreibt und in das BMG hineinregiere. „Das kann es im Jahr drei der Coronapandemie nicht sein! Gesundheitspolitik darf nicht von anderen fachfremden Ministerien gemacht werden.“
KBV begrüßt neue Regelungen
Die Ärzteschaft begrüßte das vorgeschlagene Konzept. Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, erklärte: „Es ist zu begrüßen, dass die Maßnahmenvorschläge im Wesentlichen Optionen darstellen, die die Bundesländer ergreifen können, wenn für sie oder einzelne Teilregionen eine konkrete Gefährdung des Gesundheitswesens oder der kritischen Infrastruktur droht.“
Maßgeblich dafür müssten Gassen zufolge bundesweit einheitlich definierte Kriterien sein, die über die reinen Inzidenzzahlen hinausgehen. Verbindliche Kriterien könnten unter anderem das Auftreten einer aggressiven Virusvariante und der Grad der Auslastung der Intensivstationen sein.
„Bundesweit geltende Schutzmaßnahmen vor allem auf vulnerable Gruppen zu beziehen, ist ebenfalls richtig. Endlich findet auch eine Abkehr von der sinnfreien Massentestung zugunsten einer auch medizinisch sinnvollen Fokussierung statt", betonte Gassen. © cmk/dpa/aerzteblatt.de

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