Ärzteschaft
Kritik an Vergütung für ambulante Komplexbehandlung schwer psychisch Kranker
Donnerstag, 28. Juli 2022
Berlin – Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) hält die Vergütung der neuen ambulanten Komplexversorgung für schwer psychisch kranke Menschen für unzureichend. Die Vergütung decke nicht den Mehraufwand für intensiv-psychotherapeutische Behandlungen mit möglichst durchgehender Erreichbarkeit, hieß es heute aus der Kammer.
Spezifische Gesprächsleistungen im Einzel- und Gruppensetting, die für schwer psychisch Kranke notwendig sind, seien gar nicht vorgesehen, auch nicht für kurzfristige Kriseninterventionen. Die neue Vergütung berücksichtige damit nicht, dass psychotherapeutische Praxen überwiegend zeitgebundene Leistungen erbringen und dadurch im Vergleich zu psychiatrischen Praxen geringere Fallzahlen vorweisen.
„Die Komplexversorgung für schwer psychisch Kranke droht damit zu scheitern“, erklärte BPtK-Präsident Dietrich Munz. „Das neue Behandlungsangebot schließt mehr als die Hälfte der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten aus und bezahlt den Rest für den Mehraufwand nicht ausreichend.“
Die ambulante Komplexversorgung gemäß der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) über die berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgung für psychisch kranke Erwachsene mit komplexem psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlungsbedarf (KSV-Psych-Richtlinie) kann ab dem 1. Oktober erbracht und abgerechnet werden.
Für die Komplexversorgung von Kindern und Jugendlichen mit einer schweren psychischen Erkrankung wird es ein eigenes Versorgungsprogramm mit eigenen Vergütungsregelungen geben, das vom G-BA aktuell entwickelt wird.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und die Krankenkassen haben die Vergütung für diese neue Leistung vereinbart. Für das ambulant-intensive Behandlungsangebot wird es im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) einen neuen Abschnitt geben, der neun Gebührenordnungspositionen (GOP) enthält.
Voraussetzung für die Abrechnung der neuen GOP-Ziffern ist der Zusammenschluss in einem Netzverbund und der Erhalt einer Abrechnungsgenehmigung von der jeweils zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung. Die BPTK und die Psychotherapeutenverbände begrüßen grundsätzlich, dass die ambulanten Versorgungsstrukturen für schwer psychisch Kranke verbessert werden sollen.
„Eine vernetzte und durch Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten gesteuerte Versorgung ist das Modell der Zukunft“, konstatierten vor kurzem beispielsweise die Deutsche PsychotherapeutenVereinigung (DPtV) und der Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten (bvvp). Die Umsetzung des Gesetzesauftrags in Paragraf 92 Absatz 6b Sozialgesetzbuch V durch die KSV-Psych-Richtlinie sei jedoch korrekturbedürftig.
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So können sich der Richtlinie zufolge nur Praxen mit einem vollen Versorgungsauftrag als verantwortliche Bezugsärzte oder Bezugspsychotherapeuten an der Komplexversorgung beteiligen. Das schließt nach Angaben von DPtV und bvvp rund 62 Prozent der Psychotherapeuten aus. Man benötige aber alle zur Verfügung stehenden psychotherapeutischen Kapazitäten, insbesondere in ländlichen Gebieten, um die Versorgung sicherzustellen, so die Verbände.
Darüber hinaus fordern die Bundespsychotherapeutenkammer und die Verbände die in der Richtlinie vorgeschriebene obligatorische psychiatrische differenzialdiagnostische Abklärung abzuschaffen. Diese „Doppeluntersuchung“ sei nicht notwendig und zudem ein „problematisches Nadelöhr“, weil vielerorts Psychiater fehlten.
Stattdessen sollten die von den Patienten zuerst kontaktierten Ärzte und Psychotherapeuten die Differenzialdiagnostik vornehmen dürfen. „Eine gute multidisziplinäre Zusammenarbeit in einem Versorgungsnetz lebt von wechselseitigem Vertrauen in die Kompetenzen aller Netzteilnehmer und deren Verantwortungsbewusstsein, dann andere Professionen hinzuzuholen, wenn deren Expertise zusätzlich gefragt ist“, schreiben DPtV und bvvp.
Bereits der 40. Deutsche Psychotherapeutentag im Mai hatte sich in einer Resolution dafür ausgesprochen, die KSV-Psych-Richtlinie nachzubessern und angemessen zu finanzieren. © PB/aerzteblatt.de

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