Medizin
Darmbakterien erklären teilweise erhöhtes Herz-Kreislauf-Risiko durch Verzehr von rotem Fleisch
Freitag, 5. August 2022
Boston – Drei Moleküle, die nach dem Verzehr von rotem Fleisch im Verdauungstrakt durch Darmbakterien produziert werden, erklärten in einer prospektiven Beobachtungsstudie zu etwa 1/10 das erhöhte Risiko auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen, das mit dem Verzehr von rotem Fleisch verbunden war. Noch größer war laut der Publikation in Arteriosclerosis Thrombosis and Vascular Biology (2022; DOI: 10.1161/ATVBAHA.121.316533) der Anteil von Blutzucker und Insulin, und auch eine Entzündungsreaktion war beteiligt.
Ein hoher Verzehr von rotem Fleisch steht seit längerem im Verdacht, das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erhöhen. Der Zusammenhang ist allerdings nicht in allen epidemiologischen Studien beobachtet worden und deshalb umstritten. Ein Team um Dariush Mozaffarian von der Tufts University in Boston hat hierzu jetzt die Daten der „Cardiovascular Health Study“ (CHS) ausgewertet.
Die CHS hat seit 1989 eine Gruppe von 3.931 Senioren aus 4 US-Städten begleitet, die zu Beginn im Durchschnitt 72,9 Jahre alt waren. Die Teilnehmer hatten damals und einige Jahre später erneut einen ausführlichen Fragebogen zu ihren Lebens- und Ernährungsgewohnheiten ausgefüllt.
Mozaffarian fand heraus, dass die Senioren, die einen hohen Verzehr von rotem Fleisch angegeben hatten, während der Laufzeit der Studie von 12,5 Jahren häufiger an atherosklerotisch bedingten kardiovaskulären Erkrankungen (ASCVD) erkrankt oder gestorben waren. Zu rotem Fleisch zählen Rindfleisch, Schweinefleisch, Lamm- und Ziegenfleisch. ASCVD waren definiert als Erkrankung oder Tod an einer koronaren Herzkrankheit, einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall.
Für den Gesamtverzehr von rotem Fleisch ermittelt Mozaffarian für jedes Quintil des Verzehrs – oder für jede zusätzliche 1,1 Portion am Tag – einen Anstieg des ASCVD-Risikos um 22 % (Hazard Ratio HR 1,22; 95-%-Konfidenzintervall 1,07-1,39).
Das Risiko war sowohl für unverarbeitetes rotes Fleisch, etwa Schnitzel oder Steaks (HR 1,15; 1,01-1,30), als auch für verarbeitete Fleischwaren, etwa Wurst (HR 1,11; 0,98-1,25) nachweisbar. Für den Verzehr von Fisch, Geflügel und Eiern war kein Einfluss erkennbar. Insgesamt erhöhte der Verzehr von tierischen Produkten das ASCVD-Risiko um 18 % (HR 1,18; 1,03-1,34).
Im nächsten Schritt haben die Forscher in einer sogenannten Mediationsanalyse untersucht, was für den Anstieg des ASCVD-Risikos verantwortlich sein könnte. Dazu wurden Blutproben vom Studienbeginn und von einer Nachuntersuchung 1996/7 untersucht. Das Interesse galt dabei vor allem den Molekülen Trimethylaminoxid (TMAO), Gamma-Butyrobetain und Crotonobetain. Sie entstehen unter Einwirkung von Darmbakterien aus L-Carnitin, das in großen Mengen in rotem Fleisch vorkommt. Die 3 Metabolite werden vom Darm resorbiert.
Tierexperimentelle Studien haben gezeigt, dass TMAO atherosklerotische Veränderungen fördert. Dazu gehören die Bildung von Schaumzellen aus Makrophagen, eine vaskuläre Entzündung, eine Aktivierung des Inflammasoms, eine endotheliale Dysfunktion oder auch eine Hyperreaktivität von Thrombozyten. Ernährungswissenschaftler diskutieren derzeit, ob TMAO für den Anstieg des Herz-Kreislauf-Risikos durch den Fleischkonsum mit verantwortlich ist.
Mozaffarian kommt in der Mediationsanalyse zu dem Ergebnis, dass die 3 L-Carnitin-Metabolite 9,2 % des ASCVD-Risikos erklären, das durch den Verzehr von tierischen Produkten entsteht. Ein weites 95-%-Konfidenzintervall von 2,2 bis 44,5 zeigt, dass diese Berechnungen mit einer hohen Unsicherheit verbunden sind. Beim Verzehr von unverarbeitetem rotem Fleisch könnte der Anteil der L-Carnitin-Metabolite bei 10,6 % (1,0-114,5 %) liegen.
Der Verzehr von Fleisch hat jedoch noch andere Auswirkungen auf den Stoffwechsel. Dazu gehört ein Anstieg von Glukose und Insulin. Mozaffarian ermittelt in der Mediationsanalyse einen Anteil von 26,1 % (12,7-82,7 %) für den Nüchternblutzucker und von 11,8 % (4,3-43,2 %) für die Insulinkonzentration.
Auf das C-reaktive Protein, dem wichtigsten Entzündungsparameter in der Blutuntersuchung, entfielen 6,6 % (0,4-27,5 %) des durch den Fleischkonsum bedingten ASCVD-Risikos. Die beiden anderen Herz-Kreislauf-Risikofaktoren Blutdruck und Cholesterin hatten übrigens keinen Anteil. Sie erhöhen das ASCVD-Risiko auf andere Weise.
Die Studie hatte laut Mozaffarian mehrere Einschränkungen. So ist in Beobachtungsstudien nicht auszuschließen, dass andere Faktoren als der Fleischkonsum das erhöhte ASCVD-Risiko von Fleischliebhabern erklären.
Diese waren häufiger männlich, aktive Raucher, Diabetiker, körperlich weniger aktiv, und sie verzehrten weniger Obst und weniger Ballaststoffe. Diese Faktoren konnte Mozaffarian bei seinen Berechnungen berücksichtigen, weil sie bei den Teilnehmern erfragt wurden. Es könnte aber noch andere Aspekte eines ungesunden Lebensstils geben, die übersehen wurden.
Eine weitere Schwäche ist bei Ernährungsstudien immer, dass die Forscher sich auf die Angaben der Teilnehmer verlassen müssen. Angaben zur Ernährung stimmen nicht immer. Der Einfluss von rotem Fleisch auf das Herz-Kreislauf-Risiko und seine möglichen Gründe dürften deshalb in Zukunft Gegenstand von weiteren Studien sein. © rme/aerzteblatt.de
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