Medizin
Kein verstärkter Alkoholkonsum von Abhängigen während des Lockdowns
Donnerstag, 4. August 2022
Potsdam – Offenbar hatten die Lockdownmaßnahmen der COVID-19-Pandemie bei alkoholabhängigen Menschen in Deutschland keinen unmittelbaren negativen Einfluss auf den Alkoholkonsum. Sie tranken teils sogar deutlich weniger. Das zeigt eine 5-monatige Kohortenstudie, deren Ergebnisse jetzt in JAMA Network Open veröffentlicht wurden (2022: DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2022.24641).
Vielmehr sei es so gewesen, dass die Unterschiede im Alkoholkonsum zwischen Wochentagen, Wochenenden und Feiertagen jegliche Effekte des Lockdowns weit übertroffen hätten, schreibt das Studienteam um Friederike Deeken von der Abteilung für Sozial- und Präventivmedizin an der Universität Potsdam.
Die Unterschiede im Alkoholkonsum zwischen Wochentagen und Wochenenden hätten gezeigt, dass die Konsumzyklen am Wochenende als Funktion der Schwere der Alkoholabhängigkeit und der Lockdownmaßnahmen abnahmen.
Teilnehmer machten täglich Angaben per App
Für die Längsschnittstudie wurden von Februar 2020 bis Februar 2021 insgesamt 1.743 Teilnehmer aus 3 Einrichtungen in Berlin, Dresden und Mannheim rekrutiert. Die Daten wurden vor und während des 2. Lockdowns der COVID-19-Pandemie in Deutschland erfasst.
Vor dem Lockdown umfasste den Zeitraum von 1. Oktober bis 2. November 2020. Darauf folgte ein leichter Lockdown von 2. November bis 15. Dezember 2020 und ein harter Lockdown von 16. Dezember bis 28. Februar 2021.
In allen 3 Lockdownphasen machten die Teilnehmer täglich per Smartphone-App Angaben zu ihrem Alkoholkonsum. Erhoben wurden außerdem zeitliche (Wochenenden, Feiertage) und psychologische (soziale Isolation, Trinkintention) Korrelate.
Mindestens 2 DSM-5-Kriterien für Alkoholabhängigkeit
Von den 1.743 gescreenten Teilnehmern waren 63 % Männer in einem Durchschnittsalter von 37 Jahren. Sie erfüllten mindestens 2 Kriterien für Alkoholabhängigkeit nach DSM-5, hatten aber noch keine Indikation für eine medizinisch überwachte Entzugsbehandlung.
Die Teilnehmer machten von Oktober 2020 bis Februar 2021 auf ihrem Smartphone insgesamt 14.694 Mal Angaben zu ihrem Alkoholkonsum.
Mehr Alkoholkonsum am Wochenende
Es stellte sich heraus, dass sie an Wochenenden signifikant mehr Alkohol tranken als an Wochentagen (β=11,39 [95-%-KI 10,00-12,77]; p<0,001). Auch an Feiertagen wie Weihnachten (β=26,82 [95-%-KI 21,87-31,77]; p<0,001) und Silvester (β=66,88 [95-%-KI 59,22-74,54]; p<0,001) war ihr Alkoholkonsum überdurchschnittlich hoch.
Während des harten Lockdowns war die wahrgenommene soziale Isolation signifikant erhöht (β=0,12 [95-%-KI 0,06-0,15; p<0,001), aber der Alkoholkonsum signifikant niedriger (β=-5,45 [95-%-KI -8,00 bis -2,90]; p=0,001).
Zeitliche Unterschiede nahmen im Lockdown ab
Unabhängig vom Lockdown war die Intention weniger Alkohol zu trinken mit einem geringeren Alkoholkonsum assoziiert (β=-11,10 [95-%-KI -13,63 bis -8,58]; p<0,001).
Auffällig sei gewesen, so Deeken und ihre Kollegen, dass die Unterschiede zwischen dem Alkoholkonsum am Wochenende und an Wochentagen sowohl während des harten Lockdowns (β=-6-14 [95-%-KI -9,96 bis -2,31]; p=0,002) als auch bei Teilnehmern mit einer schweren Alkoholabhängigkeit (β=-6,26 [95-%-KI -10,18 bis -2,34]; p= 0,002) reduziert waren.
Ein möglicher Grund sind soziale Einflussfaktoren
Während des harten Lockdowns waren Treffen nur von maximal 5 Personen erlaubt gewesen und der Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit war untersagt. „Der geringere Alkoholkonsum an Wochenenden könnte darauf hindeuten, dass die Teilnehmer deshalb weniger tranken, weil kontextbezogene Einflüsse fehlten“, schreiben die Autoren.
„Diese sind besonders relevant für Menschen, deren Konsumverhalten von sozialen Aspekten bestimmt wird.“
Die Ergebnisse deuten der Studiengruppe zufolge auf einen potenziellen Mechanismus von Kontrollverlust und -wiedergewinn hin. „Die zeitlichen Muster und die Absicht zu trinken stellen vielversprechende Angriffspunkte für Präventions- und Interventionsmaßnahmen selbst bei Menschen mit hohem Risiko dar“, schlussfolgern die Potsdamer Wissenschaftler. © nec/aerzteblatt.de

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