Politik
Geplantes Infektionsschutzgesetz noch zu vage
Donnerstag, 4. August 2022
Berlin – Der von der Ampelkoalition vorgeschlagene Fahrplan für Coronaschutzmaßnahmen im kommenden Herbst und Winter ist auf gemischte Reaktionen gestoßen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hatten sich gestern auf ein neues Infektionsschutzgesetz geeinigt und Eckpunkte vorgestellt.
Vorgesehen sind ab 1. Oktober 2022 bis 7. April 2023 vor allem zusätzliche Spielräume für die Länder, wieder FFP2-Maskenpflichten in Innenräumen anzuordnen. Bei einer Zuspitzung der Lage sind darüber hinaus zusätzliche Auflagen möglich, wenn ein Land befürchtet, dass das Gesundheitssystem überlastet wird. Konkrete einheitliche Schwellenwerte gibt es dafür nicht.
Die Bundesärztekammer (BÄK) und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) bemängelten heute vor allem fehlende Grenzwerte zur Beurteilung der Überlastung im Gesundheitswesen.
Die stellvertretende DKG-Vorstandsvorsitzende Henriette Neumeyer sagte dem Deutschen Ärzteblatt: „Die Gesetzeslage an die kommende Herbstwelle anzupassen, ist richtig und wichtig. Wir vermissen allerdings nach wie vor eine valide Datengrundlage, anhand der Maßnahmen beschlossen werden." Für den Instrumentenkasten der Länder fehlten Kriterien, nach denen die Maßnahmen umgesetzt werden können.
"Wir können auch weiterhin nicht nachvollziehen, dass der Minister zwar erneute Höchstbelastungen in den Kliniken erwartet, die Krankenhäuser aber ohne jegliche Hilfen sowohl der Pandemie als auch der Inflation aussetzt", betonte Neumeyer. Zuvor hatte auch DKG-Vorstandsvorsitzender Gerald Gaß gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) die unklaren Indikatoren für die Feststellung der tatsächlichen Gefährdung angemahnt.
BÄK-Präsident Klaus Reinhardt sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, an diesem Punkt bleibe das vorgestellte Coronaschutzkonzept „leider noch im Vagen“. „Wichtig ist, dass in Zukunft im ganzen Bundesgebiet einheitliche Maßnahmen ergriffen werden, wenn bestimmte, klar definierte Kriterien erfüllt sind.“
Der Präsident der BÄK begrüßte gleichzeitig ausdrücklich, dass das Pandemiekonzept „endlich mit Rücksicht für unsere Kinder formuliert“ sei. Wichtig sei insbesondere die Absage des Bundesgesundheitsministers an pandemiebedingte Schulschließungen.
Kinder und Jugendliche seien bisher die Hauptleidtragenden der Schutzmaßnahmen gewesen. Die Folge seien Bildungsdefizite, Entwicklungsstörungen und eine deutliche Zunahme der psychischen Erkrankungen. Es müsse alles dafür getan werden, dass Schulen und Kitas offenblieben, sagte Reinhardt.
Der Vorsitzende des Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, warnte in der Rheinischen Post vor „zu kleinteiligen Maßnahmen“. „Wenn bei der Maskenpflicht beispielsweise danach differenziert werden soll, ob die letzte Impfung drei oder vier Monate zurückliegt, dann frage ich mich, wie das im Alltag funktionieren soll. Dass solche Regelungen nicht zur Akzeptanz in der Bevölkerung beitragen werden, ist offensichtlich.“
Patientenschützer bemängeln Ausnahmen bei Testpflicht
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, kritisierte derweil in den RND-Zeitungen Ausnahmen bei Testpflichten in Pflegeheimen. „Die Bundesregierung will Pflegebedürftige besser schützen als in den Wintern zuvor. Davon kann praktisch aber gar nicht die Rede sein.“
Frisch geimpfte und genesene Beschäftigte und Besucher müssten sich künftig nicht mehr testen lassen – „obwohl mittlerweile jedem klar sein muss, dass auch Geimpfte und Genesene das Virus weitergeben“, sagte Brysch. Schon bisher sei die Teststrategie in der Altenpflege löchrig gewesen: „Tägliche Schnelltests und wöchentliche PCR-Tests gab es praktisch nie“, bemängelte der Experte.
Auch die Umsetzung der Hygienekonzepte in der Altenpflege werde nicht überprüft. Ein tägliches Coronaradar fehle, um das Infektionsgeschehen in den ambulanten und stationären Diensten tagesaktuell abzubilden. Laut dem Patientenschützer stehen allein die Krankenhäuser im Fokus. „Dabei schlägt das Virus in der Altenpflege zuerst zu.“ Selbst bei der Impfkampagne mit neuen Impfstoffen fehlten Konzepte und Priorisierung.
Der Deutsche Städtetag sieht noch mehrere offene Fragen. „Wird im Herbst wieder der kostenlose Bürgertest für alle eingeführt? Wie geht es mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht weiter?“ Dazu erwarten wir sehr bald Antworten der Bundesregierung“, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy den Funke-Zeitungen.
Virologe warnt vor Flickenteppich
Der Virologe Hendrik Streeck warnte, dass Deutschland sich angesichts unterschiedlicher Maßnahmen je nach Bundesland in einen Flickenteppich verwandeln könnte. Um das zu vermeiden, brauche es klare Vorgaben für die Länder, wann diese Maßnahmen wie die Maskenpflicht an Schulen ergreifen sollten, sagte Streeck gestern dem Fernsehsender Welt.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte bei „RTL Direkt“: „Dass da Flickenteppich kommt, hoffe ich nicht, wir arbeiten mit den Ländern zusammen, dass sie das Maximum nutzen, das wir anbieten.“
Der Deutsche Lehrerverband begrüßte, dass die Länder nach den Plänen der Ampelkoalition künftig in Schulen wieder eine Maskenpflicht verhängen können – kritisiert aber eine Regelungslücke an Grundschulen.
Bei Grundschulen werde offensichtlich eher eine Schulschließung oder Unterrichtsausfall in Kauf genommen, sagte der Präsident des Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, den RND-Zeitungen. Das sei nicht nachvollziehbar.
Dagegen bezeichnete der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (bvkj), Thomas Fischbach, es in der Rheinischen Post als Verbesserung, dass keine Maskenpflicht für Grundschüler vorgesehen sei. Grundschüler sollten „generell von der Maskenpflicht befreit werden, insbesondere auch bei kulturellen Aktivitäten oder Sport“.
„Wir wünschen uns auch, dass eine Maskenpflicht im Unterricht bei älteren Kindern nicht angeordnet werden kann“, sagte Fischbach weiter. „Junge Menschen haben ein nur sehr geringes Risiko für einen schweren Coronaverlauf und müssen damit wieder Einschränkungen hinnehmen, um ungeimpfte Erwachsene zu schützen.“ © cmk/dpa/afp/kna/aerzteblatt.de

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