Politik
Die Masernimpfpflicht ist verfassungskonform
Donnerstag, 18. August 2022
Karlsruhe/Berlin – Die Impfpflicht gegen Masern verstößt nicht gegen das Grundgesetz. Das hat der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in Karlsruhe entschieden Az. 1 BvR 469/20 u.a.). Das Gericht segnete heute zugleich ab, dass die Impfung auch mit einem Kombipräparat gegen Masern, Mumps, Röteln oder Windpocken erfolgen darf.
Weitere Bestandteile dürfen aber nicht enthalten sein. Im Infektionsschutzgesetz ist ganz allgemein von Impfstoffen die Rede, die auch Komponenten „gegen andere Krankheiten“ enthalten. Kombinationen sind laut Beschluss aber nun nur – wie heute üblich – mit Mumps, Röteln und Windpocken erlaubt. Das Kombipräparat hatte in Deutschland schon zu Beginn der Masernimpfpflicht für Diskussionen gesorgt. In Deutschland ist kein Monoimpfstoff gegen Masern zugelassen.
Eine uneingeschränkte Impfpflicht bei Masern wurde 2019 vom Bundestag beschlossen; sie gilt vollständig seit 1. August 2022. Kinder und Beschäftigte in Schulen und Kitas, aber auch in Flüchtlingsunterkünften, Arztpraxen und Krankenhäusern müssen seitdem gegen die Infektionskrankheit geschützt sein. Ein entsprechender Nachweis muss vorgelegt werden.
Der 1. Senat entschied, die Regelung sei „im verfassungsrechtlichen Sinn verhältnismäßig“. Die Annahme, Menschen ohne Impfschutz könnten andere gefährden, „beruht auf zuverlässigen Grundlagen und hält auch der strengen verfassungsrechtlichen Prüfung stand“.
Der Gesetzgeber hat mit der Regelung laut Gericht den möglichen Folgen gefährdeter Menschen bei einer Masernerkrankung den Vorrang vor den Interessen der Kinder und Eltern eingeräumt, die gegen eine Impfung sind. Die Richter sehen als Grund den „Gemeinwohlbelang von hohem Rang“.
Denn Kinder hätten „typischerweise Kontakte zu besonders schutzwürdigen Personen, die eine hohe altersspezifische Inzidenz für Masern sowie eine gesteigerte Wahrscheinlichkeit aufweisen, im Falle einer Maserninfizierung Komplikationen auszubilden“.
Für die Pflicht sprächen die hohe Übertragungsfähigkeit und Ansteckungsgefahr sowie das Risiko, als Spätfolge der Masern eine für gewöhnlich tödlich verlaufende Krankheit erleiden zu können: „Demgegenüber treten bei einer Impfung nahezu immer nur milde Symptome und Nebenwirkungen auf“, so der Beschluss wörtlich. Ein echter Impfschaden sei extrem unwahrscheinlich. Deshalb komme „dem Eingriff in das Elternrecht insoweit kein besonders hohes Gewicht zu“.
Der Bundestag hatte die Impfpflicht 2019 beschlossen. Seit 1. März 2020 griff sie für Neuaufnahmen von mindestens ein Jahr alten Kindern in Kitas und Schulen. In einer zweiten Stufe mussten dann bis 31. Juli 2022 auch für Jungen und Mädchen Impfnachweise – oder bei Genesung von Masern ärztliche Atteste – vorgelegt werden, die am 1. März 2020 schon in den Einrichtungen waren.
Nichtgeimpfte Kinder können vom Kita-Besuch ausgeschlossen werden. An Schulen geht dies wegen der Schulpflicht nicht. Verhängt werden können am Ende aber Bußgelder bis zu 2.500 Euro.
In Deutschland kommt es immer wieder zu Masernausbrüchen, da weniger als 95 Prozent der Bevölkerung geimpft sind. Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass sich die Masern nicht ausbreiten können, wenn mehr als 95 Prozent der Bürger eine Immunität gegen Masern durch Impfung oder durch eine durchgemachte Erkrankung haben.
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt eine erste Impfung als Masern-Mumps-Röteln-Kombinationsimpfung (MMR) im Alter von 11 bis 14 Monaten. Eine zweite Impfung sollte im Alter von 15 bis 23 Monaten erfolgen. Für Erwachsene empfiehlt die STIKO eine Impfung gegen Masern für alle, die nach 1970 geboren wurden und noch gar nicht oder nur einmal in der Kindheit gegen Masern geimpft wurden oder deren Impfstatus unklar ist.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sprach von einer guten Nachricht für Eltern und Kinder. „Eine Masernerkrankung ist lebensgefährlich – für die Erkrankten und ihr Umfeld. Es ist deshalb Aufgabe des Staates, Infektionen in Gemeinschaftseinrichtungen wie KiTa oder Schule zu vermeiden“, erklärte er. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) erklärte auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblattes auch, dass in Deutschland ausreichend Kombinationsimpfstoff bereitsteht.
Auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte begrüßte die Entscheidung. „Alle anderen Maßnahmen für eine höhere Impfquote haben nicht gefruchtet“, sagte Präsident Thomas Fischbach der Rheinischen Post“. Der Impfstoff sei sicher und seit Jahrzehnten erprobt.
Der Präsident der Landesärztekammer Hessen, Edgar Pinkowski, wies darauf hin, dass das Risiko von hochansteckenden Krankheiten wie Masern häufig unterschätzt werde. „Doch Masern sind keine harmlose Kinderkrankheit.“ Bei der Infektion der oberen Atemwege in Kombination mit einem roten, fleckigen Hautausschlag seien Komplikationen wie Mittelohr-, Lungen- oder Gehirnentzündung möglich.
Der 122. Deutsche Ärztetag in Münster hatte im Jahr 2019 das Masernschutzgesetz unterstützt. Bei hohen Durchimpfungsraten sei es möglich, einzelne Krankheitserreger regional und sogar weltweit zu eliminieren. © may/dpa/kna/aerzteblatt.de

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