Medizin
Neues Stratifizierungsinstrument bei Autismus
Donnerstag, 25. August 2022
London – Die Autismus-Spektrum-Störung (ASS) ist eine neurologische Entwicklungsstörung, die unter anderem durch Schwierigkeiten in der sozialen Kommunikation, Interaktion und stereotypischen Verhaltensweisen gekennzeichnet ist. Die große Heterogenität von ASS unterstreicht die Notwendigkeit validierter Patientenstratifizierungsmethoden. Die Messung der Gehirnaktivität könnte zur Stratifizierung des jeweiligen autistischen Phänotyps dienlich sein.
In einer aktuellen Arbeit (Science 2022; DOI: 10.1126/scitranslmed.abf8987) wurden die neuronalen Reaktionen beziehungsweise die Gehirnaktivität auf Bilder von Gesichtern als potenziellen Stratifizierungsfaktor bei ASS untersucht. Zur Untersuchung dieses Ansatzes wurden 436 Kinder und Erwachsene mit und ohne ASS eingeschlossen.
Die Geschwindigkeit der Gehirnreaktionen auf jedes Gesicht im Frühstadium (N170-Latenz, etwa 170 Millisekunden nach dem Erscheinen jedes Gesichts) war bei ASS durchschnittlich verlängert als bei altersangepassten Kontrollpersonen. Diese Unterschiede können im Zusammenhang mit der krankheitsbedingt veränderten Aktivität in bestimmten sozialen Gehirnregionen und mit genetischen Merkmalen im Zusammenhang stehen, erläutern die Autoren.
Innerhalb der ASS-Gruppe erwies sich die N170-Latenz als Prognosefaktor für Veränderungen der adaptiven Sozialisationsfähigkeiten über einen 18-monatigen Follow-up-Zeitraum hinweg. Die ursprüngliche Verzögerungszeit des Gehirns zu Baseline konnte die Veränderungen von sozialen Fähigkeiten im weiteren Verlauf vorhersagen. Prognosen anhand der veränderten N170-Latenz könnten dafür genutzt werden, maßgeschneiderte Unterstützungsstrategien und Interventionen einzuleiten, schlussfolgern die Studienautoren.
Ein weiteres Clustering der Daten ergab drei ASS-Untergruppen mit langsameren Gehirnreaktionen und schlechter sozialer Prognose. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Einbeziehung der N170-Latenz zur ASS-Stratifizierung das Ansetzen von patientenzentrierter Interventionen bei ASS erleichtern kann.
„Unsere Ergebnisse könnten schließlich dazu genutzt werden, die Unterstützung effektiver zu gestalten und das psychische Wohlbefinden und die Lebensqualität autistischer Menschen zu verbessern“, so die Einschätzung der Studienleiterin Emily Jones aus dem Fachbereich translationale Neuroentwicklung an der Birkbeck University of London.
Dies ist besonders relevant, da Patienten mit ASS Schwierigkeiten bei der sozialen Entwicklung aufweisen, die zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von Isolation und Einsamkeit führen, sowie Angststörungen und Depressionen begünstigen können.
Diese Forschungsarbeit ist Teil des Projekts „Autism Innovative Medicine Studies-2-Trials“ (AIMS-2-TRIALS) innerhalb einer europaweit angelegten Zusammenarbeit (Longitudinal European Autism Project (LEAP)). Die Forschungsaktivitäten zielen darauf ab, die Lebensqualität autistischer Menschen langfristig zu verbessern. © cw/aerzteblatt.de

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