Politik
Grüne haben weiter Bedenken gegen Gesetzentwurf zur Triage
Montag, 12. September 2022
Berlin – Der Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu Regelung der Triage stößt weiterhin auf Bedenken bei den Grünen. Dabei geht es um die Entscheidung, welcher Patient behandelt werden soll, falls die medizinischen Ressourcen in einem Pandemiefall nicht für alle Behandlungsbedürftigen ausreichen sollten.
Das Bundesverfassungsgericht hatte dem Gesetzgeber im Dezember des vergangenen Jahres aufgetragen, unverzüglich Vorkehrungen zum Schutz behinderter Menschen bei Triageentscheidungen zu treffen.
Der Entwurf des Gesetzes hatte bereits zu Unverständnis auf Seiten der Behindertenverbände, der Grünen und auch Teilen der Opposition geführt. Intensivmediziner hatten hingegen auf geplante Regelungen hingewiesen, die bei Umsetzung zu neuen Benachteiligungen und Verwerfungen in der Medizin führen könnten.
Die für Behindertenpolitik zuständige Bundestagsabgeordnete der Grünen, Corinna Rüffer, erklärte nun erneut in den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland, es gebe „erhebliche Vorbehalte gegen den Gesetzentwurf der Bundesregierung. „Ich bin ebenfalls sehr unzufrieden“, fügte sie hinzu.
Bei der geplanten Neuregelung besteht ihrer Meinung nach weiter die Gefahr, dass ältere und behinderte Menschen bei knappen Behandlungskapazitäten diskriminiert würden. Rüffer schlug stattdessen erneut vor, in einer Triagesituation den Zufall entscheiden zu lassen, etwa durch ein Losverfahren. Der Gesetzentwurf von Lauterbach, den das Bundeskabinett im August beschlossen hat, sieht als Entscheidungskriterium die kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit vor.
Rüffer sagte, es werde nicht möglich sein, klare objektive Kriterien für die Bestimmung der kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit zu finden. „Medizin ist schließlich keine exakte Wissenschaft“, sagte sie. „Bei der Entscheidung, welcher Patient zuerst behandelt wird, wird es daher auch immer subjektive Momente geben, wodurch sich Risiken für eine Diskriminierung ergeben“, fügte sie hinzu.
Als einzige Möglichkeit, eine Diskriminierung von älteren Menschen und Behinderten sicher auszuschließen, sehe sie bislang die Anwendung von Zufallsprinzipien. „Im Fall knapper Ressourcen sollte das Losverfahren oder die Reihenfolge der Einlieferung in der Klinik darüber entscheiden, wer zuerst intensivmedizinisch behandelt wird“, betonte Rüffer.
In der emotional geführten Debatte fürchten auch Verbände von Menschen mit Behinderung, dass sie im Ernstfall auf Intensivstationen schlechter gestellt werden als andere Patienten. Sie treten Ärzten dabei in Teilen sehr kritisch gegenüber und betrachten das Zufallsprinzip oder die im Triagegesetz geltende Regelung, dass derjenige, der zuerst kommt, das freie Bett erhält, für ethisch vertretbarer als klare medizinische Vorgaben.
Triage-Gesetz würde zu mehr vermeidbaren Todesfällen führen
Berlin – Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) will beim Triage-Gesetz noch einmal über die Beendigung von intensivmedizinischer Therapie bei sehr schlechter Erfolgsaussicht zugunsten der Behandlung von Menschen mit guter Erfolgsaussicht (sogenannte „Ex-Post-Triage“) nachdenken. Das hat BMG-Abteilungsleiter Joachim Becker bei der Anhörung der Verbände zum Gesetzentwurf erklärt, wie heute [...]
Die Bundesärztekammer (BÄK) hält das Losverfahren oder den Grundsatz „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ ohne jegliche Berücksichtigung der Erfolgsaussichten für falsch. Die BÄK kritisiert auch den kategorischen Ausschluss der „Ex-Post-Triage“. Dieser verlagere das ethisch-moralische Dilemma lediglich von den Intensivstationen in oder vor die Notaufnahmen der Kliniken.
Uwe Janssens, Past Präsident der Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Janssens merkte kürzlich im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt an, dass er die Argumentation schwierig findet. Zum Beispiel hätten Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen seien, es schwerer überhaupt ins Krankenhaus transportiert zu werden. Das könne bei dem Prinzip „First-come-first-serve“ schon eine Benachteiligung mit sich bringen.
Auch die Bundesärztekammer kann dem Zufall nichts abgewinnen. Das Losverfahren oder den Grundsatz „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ ohne jegliche Berücksichtigung der Erfolgsaussichten bewertet die BÄK als falsch.
Der FDP-Gesundheitspolitiker und Arzt, Andrew Ullmann, twitterte heute: „Losverfahren bei Triageentscheidungen ist völlig an der Lebenswirklichkeit vorbei gedacht. @crueffer da müssen wir gemeinsam noch daran arbeiten. Der #Ärzteschaft traue hier vorurteilsfreie Entscheidungen zu. Ältere & behinderte Menschen schützen!“
In dem Gesetzentwurf zur Triage bei pandemiebedingter Knappheit intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten heißt es, niemand dürfe bei einem solchen Selektionsverfahren „wegen einer Behinderung, der Gebrechlichkeit, des Alters, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung" benachteiligt werden.
Das Bundesverfassungsgericht hatte der Regierung im Dezember vergangenen Jahres auferlegt, unverzüglich Vorkehrungen zum Schutz behinderter Menschen bei der pandemiebedingten Triage zu treffen. Andernfalls sei zu befürchten, dass diese bei der Zuteilung intensivmedizinischer Behandlungsressourcen benachteiligt würden, erklärten die Richter. Geklagt hatten mehrere Menschen mit Behinderungen und Vorerkrankungen. © afp/may/aerzteblatt.de

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