Vermischtes
Digitalradar: Öffentliche Krankenhäuser sind besser aufgestellt als private
Donnerstag, 15. September 2022
Berlin – Deutsche Krankenhäuser liegen gemessen am Grad ihrer Digitalisierung international im Mittelfeld. Das geht aus dem ersten Zwischenbericht des Digitalradar Krankenhaus hervor, der im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) erstellt wird. Öffentliche Krankenhäuser sind demnach digitaler aufgestellt als private oder freigemeinnützige, große Häuser besser als kleine.
Es kommt nicht häufig vor, dass Deutschland bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens Pionierarbeit leistet. Die Verordnungsfähigkeit Digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) sind eines der raren Beispiele. Mit dem Digitalradar Krankenhaus ist nun ein weiteres hinzugekommen.
Denn nach Angaben der Studienautoren – einem Konsortium aus dem Institut für angewandte Versorgungsforschung (inav), der Fachgesellschaft HIMSS, der Krankenhausberatung Lohfert & Lohfert, dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI), der Universität St. Gallen sowie der Wissenschaftlerin Sylvia Thun von der Berliner Charité – hat kein Land der Welt eine ähnlich umfassende Datenbasis zum Digitalisierungsgrad seiner Krankenhauslandschaft.
Mit dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG), das im Oktober 2020 in Kraft trat, wollte der Gesetzgeber die digitale Infrastruktur der deutschen Krankenhäuser verbessern. Dazu hat er den Krankenhauszukunftsfonds von Bund und Ländern lanciert, der mit bis zu 4,3 Milliarden Euro deren Aufbau entlang von elf definierten Fördertatbeständen unterstützt, die vom digitalen Medikationsmanagement bis zu robotikbasierten Anlagen reichen.
Parallel dazu sollen Stand und Fortschritt der Krankenhausdigitalisierung evaluiert werden, auch um den Nutzen der Förderung bewerten zu können. Im Mai 2021 hat das BMG dazu besagtes Konsortium beauftragt, ein Messinstrument zur Feststellung der digitalen Reife der deutschen Krankenhäuser zu entwickeln, die Daten an zwei Messpunkten zu erheben und die Analysen zur Verfügung zu stellen.
Bereits im Gesetz waren zwei Messzeitpunkte fixiert, um den Fortschritt zu messen: der 30. Juni 2021 und der 30. Juni 2023 festgeschrieben. Mit etwas Verzögerung wurde die Erhebung der ersten Phase dann von Oktober bis Dezember 2021 durchgeführt, ausgewertet und nun präsentiert.
Strategiehilfe für Politik und Krankenhäuser
Die Ergebnisse sollen dabei nicht nur Anhaltspunkte für die Digitalstrategie des Gesundheitswesens bilden, die das BMG derzeit erarbeiten will, und die offenen Handlungsfelder aufzeigen. Auch in den Häusern selbst sei das Interesse enorm, sich mit anderen zu vergleichen, eigene Defizite zu identifizieren und darauf aufbauend Strategien zu entwickeln.
Das Digitalradar sorge für Transparenz mittels Daten, wo zuvor nur das Bauchgefühl eine Einschätzung ermöglichte. Den teilnehmenden Häusern würden die Daten in einem Dashboard bereitgestellt und viele von ihnen bereits beginnen, anhand dieser Informationen Digitalstrategien zu erstellen, erklärte der Gesundheitsökonom Professor Alexander Geißler vom Medizinischen Forschungszentrum der Universität St. Gallen.
Und das dürften viele Krankenhäuser sein, denn die Beteiligung war nach Angaben des Konsortiums außerordentlich rege: 1.624 Häuser – 91 Prozent aller Plankrankenhäuser – haben sich demnach an der 234 Fragen umfassenden Selbsteinschätzung beteiligt.
Die wiederum war in sieben sogenannte Dimensionen unterteilt: Strukturen und Systeme, Resilienz-Management und Performanz, Organisatorische Steuerung und Datenmanagement, Klinische Prozesse, Telehealth, Informationsaustausch sowie Patientenpartizipation.
Darauf aufbauend wurde der sogenannte Digital-Radar-Score (DR-Score) entwickelt, der als Messinstrument für die digitale Reife dienen soll. Er liegt zwischen 0 für „nicht digitalisiert“ und 100 „voll digitalisiert“. Im Ergebnis lag der durchschnittliche DR-Score aller teilnehmenden Häuser bei 33,3. Der Median lag mit 30,0 nur geringfügig darunter. Eine Mehrheit von 70 Prozent der Teilnehmer liegt dabei zwischen Werten von 23 und 44.
Allerdings gibt es je nach Betrachtungsweise erhebliche Unterschiede. Um eine Vergleichbarkeit zwischen teilweise sehr unterschiedlichen Krankenhäusern herstellen zu können, wurde zwischen mehreren Arten von Häusern unterschieden.
Einerseits gliederten die Studienautoren sie danach, ob sich ihre Vergütung nach Diagnosis Related Groups (DRG) oder dem Pauschalierenden Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) richtet, da diese sehr unterschiedliche Bedarfe, Strukturen und Prozesse haben. Von den 1.624 teilnehmenden Häusern sind 262 (16,1 Prozent) reine psychiatrische/psychosomatische Häuser.
Auch nach Größe und Trägerschaft wurde differenziert. Von den 1.624 teilnehmenden Krankenhäusern sind 548 (33,7 Prozent) öffentliche, 607 (37,4 Prozent) frei-gemeinnützige und 469 (28,9 Prozent) private Krankenhäuser.
Nach Bettenklassen aufgeteilt fallen mit 914 (56,3 Prozent) die mit Abstand meisten Häuser in die Kategorie Grundversorger, die weniger als 250 Betten umfasst. 421 (25,9 Prozent) sind Regelversorger mit 250 bis 500 Betten, 141 (8,7 Prozent) Zentralversorger mit 501 bis 700 Betten und 148 (9,1 Prozent) sind Maximalversorger mit mehr als 700 Betten.
Für das Jahr 2020 haben die Krankenhäuser durchschnittlich 11.299 stationäre sowie 29.068 ambulante Patienten angegeben. Nach Mitarbeiterzahl beträgt die durchschnittliche Größe der Häuser 650 Vollzeitäquivalente (VZÄ), davon 110 Ärztinnen und Ärzte sowie rund 230 Pflegekräfte.
Im Durchschnitt haben alle Häuser Bruttolohnkosten für Vollzeit-IT von 1.385 Euro pro Bett. DRG-Häuser liegen über diesen Durchschnitten, PEPP-Häuser deutlich darunter, da sich Bedarfe und Aufgaben unterscheiden. Insofern passe die Erhebung zur Erwartungshaltung, heißt es in der Auswertung.
Öffentliche Krankenhäuser liegen durchweg vorn
Gemessen am DR-Score ist der Unterschied zwischen DRG- und PEPP-Krankenhäusern mit 33,5 zu 32,7 relativ gering. Deutlich größer ist er, wenn man nach Trägerschaft unterscheidet: Hier schneiden öffentliche Krankenhäuser mit 36,9 am besten ab, gefolgt von den privaten mit 31,9 und den freigemeinnützigen mit 31,7.
Auch in den einzelnen Dimensionen liegen die öffentlichen Häuser durchweg vorn, nur bei Patientenpartizipation und Organisatorische Steuerung und Datenmanagement erreichen die privaten Krankenhäuser höhere Scores.
Auch lässt sich beobachten, dass mit steigender Bettenklasse der DR-Score ansteigt: Grundversorger haben mit durchschnittlich 30,2 Punkten die niedrigste und Maximalversorger mit 41,1 Punkten die höchste digitale Reife.
Die Studienautoren betonen, bei dieser Unterteilung sei auffällig, dass in jeder Gruppe Krankenhäuser weit unter oder weit oberhalb des Gruppendurchschnitts liegen: „Es gibt somit auch kleinere Häuser, welche gut digital aufgestellt sind, aber auch große Häuser, welche hier Defizite aufweisen.“
Eine Varianzanalyse zeige, dass die wichtigsten Prädiktoren für den DR-Score Bettenklasse, Breitbandausbau, der Status als Lehrkrankenhaus – den haben mehr als die Hälfte der Teilnehmer –, die Anzahl der mobilen Workstations pro Mitarbeiter und die Notfallstufe sind.
Regional unterteilt zeigt sich erneut ein seltener Befund: Das beste Bundesland ist Berlin. Mit einem durchschnittlichen DR-Score von 37,4 weist die Hauptstadt die höchste digitale Reife auf. Auf Platz zwei folgt Hamburg einem Punktedurchschnitt von 35,5. Am anderen Ende steht Bremen mit einem Score von 28,8. Auch das Saarland, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein schnitten mit Scores unter 30 schlecht ab.
Über alle Unterteilungen hinweg ist besonders ein grundlegender Faktor – wortwörtlich – noch sehr ausbaufähig: die Internetverbindung. 56 Prozent der Krankenhäuser geben an, über einen Breitbandanschluss von unter 500 Mbit/s zu verfügen, 23 Häuser, also 1,4 Prozent, verfügen sogar über gar keinen Breitbandanschluss.
Auch hier schnitten öffentliche Häuser am besten ab, private dagegen am schlechtesten. Ganze 69 Prozent der privaten Häuser verfügen demnach über eine Datenübertragungsrate von unter 500 Mbit/s, während es bei den öffentlichen nur 45 Prozent sind. Freigemeinnützige Häuser befinden sich im Mittelfeld.
„Bei einer Bandbreite unter 500 Mbit/s sind sämtliche Telemedizin, Telekonsile oder aber Telebefundung kaum machbar“, betonte Geissler bei der Vorstellung der Ergebnisse. „Alles, wobei große Datenpakete hin- und hergeschoben werden, ist ohne Breitband eigentlich unmöglich.“ In diesen Häusern sei es dann extrem schwierig, von Kompetenz zu profitieren, die nicht vor Ort vorgehalten wird.
Bei der Erhebung, die für das kommende Jahr geplant ist, dürfte sich gut erkennen lassen, welchen Einfluss die jeweiligen Fördermaßnahmen hatten, denn von den teilnehmenden Krankenhäusern haben 99,3 Prozent einen Förderantrag nach KHZG gestellt. Nur 11 Häuser haben das nicht getan.
Die meisten Anträge entfielen auf die Fördertatbestände digitale Pflege- und Behandlungsdokumentation (95 Prozent der Häuser), Patientenportale (79 Prozent) und digitales Medikationsmanagement (68 Prozent). Kaum Förderbedarf gibt es scheinbar bei der Anpassung von Patientenzimmern im Zusammenhang mit Epidemien und beim digitalen Bettenmanagement. Nur 18 beziehungsweise 56 Häuser haben dahingehende Anträge gestellt.
„Aus den Ergebnissen konnten wir ebenfalls herauslesen, welche Ressourcen und Voraussetzungen für die Implementierung neuer digitaler Anwendungen und Prozesse benötigt werden“, betont Co-Projektleiterin Thun.
Es bleibe ein Lichtblick, dass der Veränderungswille heute deutlicher artikuliert oder überhaupt thematisiert wird. „Darüber hinaus haben wir mit den nun repräsentativen Aussagen zur Digitalisierung deutscher Krankenhäuser eine belastbare Datenbasis geschaffen, auf der eine zukünftige Digitalstrategie an- und aufsetzen kann.“
Im BMG nimmt man die Ergebnisse scheinbar mit einer gewissen Zufriedenheit auf. „Der Digitalradar zeigt, dass Deutschland im internationalen Vergleich im guten Mittelfeld liegt“, erklärte Susanne Ozegowski, Leiterin der Abteilung für Digitalisierung und Innovation.
Die Studienautoren hatten ihren eigenen Score in eine verkürzte Version des international anerkannten Electronic Medical Record Adoption Model (EMRAM) umgerechnet, um eine Vergleichbarkeit herzustellen, und waren zu ebenjenem Ergebnis gelangt.
„Noch werden jedoch viele Potenziale der Digitalisierung nicht ausgeschöpft“, sagt Ozegowski. Hier setze der Krankenhauszukunftsfonds an, der als Bestandteil der Digitalisierungsstrategie des BMG die Weichen stelle, die nun erkannten Defizite zu verringern, „damit die Digitalisierung die Qualität und Effizienz der Gesundheitsversorgung im stationären Bereich weiter verbessert.“ © lau/aerzteblatt.de

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