Politik
„Die Gesundheitsrisiken reduzieren sich auf dem legalen Markt“
Sonntag, 25. September 2022
Berlin – Abgeordnete des Gesundheitsausschusses im Bundestag haben sich bei einer Delegationsreise nach Kanada und in die Vereinigten Staaten vom 10. bis 17. September rund um Fragen zur Legalisierung von Cannabis informiert. Im Mittelpunkt standen die Erfahrungen der kanadischen Provinz Ontario und des US-Bundesstaates Kalifornien. In Kanada ist der Gebrauch von Cannabis seit 2018 legal, Kalifornien hatte diesen Schritt bereits 2016 unternommen.
Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), amtierende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses des Bundestags, leitete die Delegation aus acht Abgeordneten aller Parteien des Parlaments. Mit in den USA und Kanada waren Erwin Rüddel und Stephan Pilsinger (beide CDU/CSU), Heike Engelhardt und Bettina Müller (beide SPD), Kristine Lütke (FDP), Jörg Schneider (AfD) und Ates Gürpinar (Linke).
Fünf Fragen an Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), amtierende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses
Deutsches Ärzteblatt (DÄ): Sie sind mitten im Gesetzgebungsverfahren zum Cannabiskontrollgesetz, das ja auch in Deutschland die Droge legalisieren soll, nach Kanada und Kalifornien gereist. Was hat Sie dort rückblickend generell am meisten beeindruckt?
Kirsten Kappert-Gonther: Die Legalisierung funktioniert. In beiden Staaten ist die gesellschaftliche Akzeptanz der Legalisierung von Cannabis für Erwachsene sehr hoch und auch politisch akzeptiert. Selbst Parteien, die vorher gegen die Legalisierung waren, wollen nicht zurück zur Prohibition.
In Kanada hat das Gesundheitsministerium von Beginn an die Federführung für die Legalisierung übernommen. Ausdrückliches Ziel war die Stärkung des Gesundheitsschutzes.
Auf dem Schwarzmarkt gibt es weder Jugend- noch Gesundheitsschutz. Das illegale Cannabis ist häufig mit Schwermetallen, Pestiziden und anderen schädigenden Substanzen kontaminiert. Auch zugesetzte synthetische Cannabinoide sind gefährlich für Konsumierende. Der legale Markt umfasst eine Qualitätskontrolle von Anfang an.
Der Anbau findet unter staatlicher Kontrolle statt, die Substanzen werden in Laboren auf Rückstände und Wirkstoffgehalt überprüft und in lizensierten Fachgeschäften können erwachsene Konsumierenden die Produkte in gesicherter Qualität mit klar deklariertem Wirkstoffgehalt kaufen.
Das bedeutet mehr Schutz und mehr Gesundheit. Das ist der Grund, warum ich mich als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie seit Jahren für die kontrollierte Freigabe von Cannabis einsetze. Die Gesundheitsrisiken reduzieren sich auf dem legalen Markt.
DÄ: Lassen sich Unterschiede zwischen Kalifornien, das Cannabis ja bereits 2016 freigegeben hat und Kanada, das diesen Schritte zwei Jahre später getan hat, ausmachen?
Kappert-Gonther: In Kanada gibt es eine weitestgehend konsistente bundesweite Rahmengesetzgebung. In Kalifornien ist die Lage komplizierter, da dort Cannabis seitens der Bundesebene weiterhin verboten ist.
In beiden Ländern werden die geprüften und deklarierten Produkte in lizensierten Fachgeschäften angeboten. Diese sind nur für Erwachsene zugänglich. Das Alter wird per Ausweiskontrolle überprüft. Das ist ein relevanter Unterschied zum illegalen Markt, denn kein Dealer fragt nicht nach dem Ausweis.
In Kanada werden die Produkte „over the counter“ verkauft. Die Konsumierenden werden zu Wirkungen und Nebenwirkungen beraten. In Kalifornien hingegen sehen einige Cannabisläden eher aus wie Supermärkte mit großer Süßigkeitenabteilung. Das finde ich problematisch.
Mich hat das kanadische Modell überzeugt. Ich meine, dass wir mit Cannabis angereicherte Esswaren, die sogenannten Edibles nur in einer neutralen Verpackung und nicht in Form von Gummibärchen zulassen sollten.
DÄ: Sind die Konsumraten von Cannabis seit der Legalisierung in den besuchten Ländern jeweils angestiegen?
Kappert-Gonther: In Kanada wurde uns seitens des Gesundheitsministeriums dargelegt, dass der Konsum seit der Legalisierung im Wesentlichen auf dem gleichen Niveau geblieben ist. Lediglich bei Männern im mittleren Lebensalter ist ein gewisser Umstieg von Alkohol auf Cannabis zu sehen.
Insbesondere gibt es keinen Anstieg des Konsums bei Kindern und Jugendlichen. Die meisten Konsumierenden sind auf den legalen Markt umgestiegen. Das stärkt den Gesundheitsschutz.
DÄ: Was tun die beiden Länder für den Gesundheitsschutz von Cannabiskonsumenten, und was tun sie für den Jugendschutz?
Kappert-Gonther: Je später der Konsum von Substanzen, die auf das Nervensystem wirken, beginnt, umso besser – das gilt für Cannabis wie für Alkohol. Darum ist ein guter Jugendschutz essenziell.
Im Zuge der Legalisierung sind drei Faktoren richtungsweisend für die Stärkung des Jugendschutzes: Nur Erwachsene haben Zugang zu den lizensierten Fachgeschäften. Seit der Legalisierung ist es zudem möglich über den Konsum von Cannabis offener und realitätsnäher zu sprechen. Das ermöglicht bessere Prävention und frühere Intervention. In beiden Staaten gab es außerdem umfangreiche Informations- und Aufklärungskampagnen.
DÄ: An der Delegationsreise haben Abgeordnete aller Bundesparteien teilgenommen, auch der Parteien, die der Legalisierung von Cannabis kritisch gegenüberstehen. Denken Sie, dass die Erfahrungen der Reise Einfluss auf die Meinungen der Abgeordneten diesbezüglich haben?
Kappert-Gonther: Ich denke, wir alle haben erheblich von dieser Reise profitiert. Nach meinem Eindruck, konnten auch Abgeordnete, aus Parteien, die der Legalisierung traditionell skeptisch gegenüberstehen, das Konzept des Gesundheitsschutzes nachvollziehen. Ob das zu einer nachhaltigen Positionsverschiebung führt, müssten die Kollegen natürlich selbst beantworten.
Für uns Abgeordnete, die sich schon länger für die Legalisierung von Cannabis für Erwachsene einsetzen, war es sehr hilfreich mit eigenen Augen vor Ort zu erfahren wie die Legalisierung gelingen kann. Unsere verschiedensten Gesprächspersonen, aus Exekutive und Legislative, aus Anbau und Verkauf, aus Wissenschaft und Medizin haben einhellig die Entwicklung als grundsätzlich positiv beschrieben und uns auf Details hingewiesen, die im Gesetzgebungsverfahren zu berücksichtigen sind. © PB/aha/aerzteblatt.de

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