Politik
GKV-Finanzen: Krankenkassen stehen offenbar besser da als gedacht
Donnerstag, 13. Oktober 2022
Berlin – Die Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung zeigt sich offenbar robuster als angenommen. Nach der heute vorgelegten jährlichen Sitzung des GKV-Schätzerkreises könnte die für 2023 geplante Erhöhung des allgemeinen Zusatzbeitrages von 0,3 Prozentpunkten mit 0,2 Prozentpunkten etwas geringer ausfallen als bislang von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angekündigt.
Zusätzlich zum gesetzlich festgeschriebenen allgemeinen Beitragssatz von derzeit 14,6 Prozent können die gesetzlichen Krankenkassen einen Zusatzbeitrag erheben. Dessen Höhe wird von jeder Kasse selbst festgelegt. Der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz wird als Rechengröße vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) per Verordnung festgelegt. Lauterbach war im Juli von einer Erhöhung auf 1,6 Prozent ausgegangen. In einer ersten Reaktion nannte Lauterbach das Ergebnis eine „gute Nachricht für die gesetzlich Krankenversicherten."
Allerdings hat der Schätzerkreis – bestehend aus Vertreten des BMG, des Bundesamtes für Soziale Sicherung (BAS) und des GKV-Spitzenverbandes – auch die bislang angenommene Finanzierungslücke von rund 17 Milliarden Euro für das Jahr 2023 in etwa bestätigt. In einer Mitteilung des BAS heißt es, dass für 2023 von Einnahmen des Gesundheitsfonds in Höhe von 275,1 Milliarden Euro ausgegangen wird. Dazu gehören der reguläre Bundeszuschuss von 14,5 Milliarden Euro sowie der ergänzende Bundeszuschuss in Höhe von zwei Milliarden Euro.
Demgegenüber stehen voraussichtliche Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen von 299,9 Milliarden Euro. Die entstehende Finanzlücke von insgesamt 24,8 Milliarden Euro sollen laut dem aktuell diskutierten GKV-Finanzierungsstärkungsgesetz zum einen mit Geldern aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds in Höhe von 4,9 Milliarden Euro sowie mit 3,9 Milliarden Euro aus den Finanzreserven der Krankenkassen gefüllt werden. Die noch verbleibenden rund 16 Milliarden Euro müssen die Beitragszahlerinnen und -zahler per Beitragserhöhung aufbringen.
Ebenso ist im GKV-Finanzierungsstärkungsgesetz, das kommende Woche im Bundestag abgeschlossen werden soll, ein überjähriges Darlehen von einer Milliarde Euro vorgesehen, dass bis Ende 2026 zurückgezahlt werden soll. In einer ersten Reaktion deutete Minister Lauterbach an, dass dieses Darlehen möglicherweise nicht fließen muss. „Wenn der Bundestag das Finanzstabilisierungsgesetz verabschiedet wie geplant, könnte auf das ursprünglich geplante Darlehen der GKV von einer Milliarde Euro verzichtet werden.“ Darin sieht Lauterbach auch eine Entlastung der Bürgerinnen und Bürger.
Für das laufende Jahr 2022 geht der Schätzerkreis von einem Defizit von 17,8 Milliarden Euro aus. Die Einnahmen des Gesundheitsfonds werden auf 268,9 Milliarden Euro geschätzt, denen Ausgaben von etwa 286,7 Milliarden Euro entgegen stehen.
Positive Reaktionen zum Ergebnis des Schätzerkreises sowie Warnungen kommen von den Krankenkassen: „Ich begrüße es sehr, dass das Bundesamt für Soziale Sicherung, das Bundesministerium für Gesundheit und die Vertreter der gesetzlichen Krankenversicherung sich auf eine gemeinsame Schätzung zur Einnahme- und Ausgabenentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung im nächsten Jahr verständigen konnten“, so Franz Knieps, Vorstandsvorsitzender des BKK Dachverbandes. „Angesichts der finanziellen Herausforderungen, die uns im kommenden, aber auch in den darauffolgenden Jahren bevorstehen, ist dies ist ein gutes Zeichen“, so Knieps weiter.
Andere Kassen warnen vor „falschen Schlüssen". „Es ist zwar erfreulich, dass die von der Bundesregierung prognostizierte Einnahmenentwicklung robuster ausfällt, als das auf Grundlage der aktuellen Wirtschaftsprognosen zu erwarten wäre. Allerdings ist die Finanzentwicklung im kommenden Jahr mit erheblichen Unsicherheiten behaftet", erklärte AOK-Chefin Carola Reimann, in einer ersten Reaktion. Sie warnte davor, beispielsweise bei der in der Ärzteschaft viel kritisierten Neupatienten-Regelung nun einen Rückzieher zu machen oder die Weiterentwicklungen bei der Arzneimittelpreisfindung „zu kassieren".
Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen (vdek), blickt eher „mit Sorge" auf die Empfehlungen. „Auch wenn sich die Einnahmen aufgrund der guten Beschäftigungslage besser entwickelt haben als erwartet, stehen wir vor unkalkulierbaren Risiken auf der Ausgabenseite. Inflation, Energiekrise und der Angriffskrieg auf die Ukraine – die aktuelle Krisensituation und deren mögliche Auswirkungen sehen wir in den Berechnungen nicht ausreichend berücksichtigt. Entwarnung ist daher das falsche Signal," so Elsner.
Der GKV-Spitzenverband begrüßte das Ergebnis. „Jeder Euro zum Schließen der Finanzierungslücke, der nicht durch steigende Zusatzbeiträge finanziert werden muss, zählt für die Menschen. Es ist richtig, die etwas höheren Rücklagen im Gesundheitsfonds, die ja ursprünglich von den Beitragszahlenden eingezahlt wurden, dafür zu nutzen, die Zusatzbelastungen für die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler abzumildern", erklärt Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes.
Allerdings sei dieses Ergebnis nur eine Betrachtung für das kommende Jahr: „Die gesetzliche Krankenversicherung braucht jedoch mittelfristig finanzielle Stabilität." Dazu zählten aus ihrer Sicht besonders eine Reform der Gegenversicherung der medizinischen Versorgung von ALG-II-Empfängern. © bee/afp/aerzteblatt.de

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