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Politik

Gematik entwickelt Opt-out-Konzept für elektronische Patientenakte

Dienstag, 8. November 2022

/picture alliance, Ulrich Zillmann

Berlin – Die Gematik entwickelt ein Konzept für eine elektronische Patientenakte (ePA) nach dem Opt-out-Prinzip. Das haben die Gesellschafter der mehrheitlich bundeseigenen Digitalisierungsagentur gestern Abend beschlossen, nachdem das Bundesgesundheits­ministerium (BMG) der Gematik entsprechende Vorgaben ge­macht hat.

Noch in dieser Legislaturperiode soll die ePA als eine Opt-out-Lösung funktionieren: Demnach sollen die Kran­kenkassen für alle ihre Versicherten automatisch Patientenakten einrichten, wogegen diese aktiv widersprechen können.

Wie genau dieser Widerspruch funktionieren wird, steht allerdings noch nicht fest. „Das sind genau die Punkte, die wir in der Konzeptionsphase entwickeln“, erklärte Susanne Ozegowski, Abteilungsleiterin Digitalisierung & Innovation im BMG, dazu heute bei einer Fachtagung des Handelsblatts.

Möglich wären ihr zufolge beispielsweise eine formale Erklärung gegenüber den Krankenkassen als Trä­gern der ePA. Alternativ könnte es ein Verfahren sowie bei den Ad-hoc-Berechtigungen geben, bei denen Patienten bei einem Praxis­besuch durch PIN-Eingabe ihre Zustimmung erteilen könnten.

Im Rahmen des Prüfauftrags für eine Opt-out-ePA soll die Gematik vier wichtige Opt-out-Dimensionen prüfen: die Bereitstellung der Akte für alle Versicherten, die Zugriffsrechte aller Leistungserbringer im Behandlungs­kontext, ihre Befüllung durch die behandelnden Leistungserbringer und die automatische Weitergabe pseudo­nymisierter Daten zu Forschungszwecken.

„Wir haben der Gematik Leitplanken gegeben“, sagte Ozegowski und sprach sich dabei für eine Generalzu­griffs­klausel aus: Im Behandlungskontext müsse sichergestellt sein, dass jeder Leistungserbringer automatischen Zugriff auf die ePA-Daten habe, ohne dass der Patient sich habe zuvor erst ausführlich mit dem Zugriffsma­nage­ment auseinandersetzen müssen.

Auf weitere grundlegende Änderungen haben die Gematikgesellschafter auch bei der elektronischen Patien­ten­kurzakte (ePKA) und dem elektronischen Medikationsplan (eMP) geeinigt: „Die Gematik berücksichtigt in diesen Konzeptionsüberlegungen, dass ePKA und eMP als strukturierte Datensätze in der ePA integriert werden sollen“, heißt es in dem Beschluss.

Die Gematik soll demnach in Abstimmung mit den Gesellschaftern nutzbringende und mehrwertstiftende An­wendungsfälle identifizieren, die im Rahmen der Opt-out ePA umgesetzt werden können.

Nach Aussage Oze­gowskis geschah auch das auf Geheiß des BMG: Die bisherige Trennung „macht eigentlich keinen Sinn“, er­klärte sie. „Wir haben deshalb der Gematik gesagt, sie muss davon Abstand nehmen, das ge­trennt zu betrachten.“

Grund für den Kurswechsel ist das bisherige Scheitern der ePA. Beim bisherigen Opt-in-Konzept müssen sich Versicherte bei ihrer Krankenkasse für eine ePA registrieren, um sie angelegt zu bekommen. Die Folge: Weniger als ein Prozent der 73 Millionen gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland haben eine ePA.

„Das heißt, sie spielt keine Rolle in der Versorgung, sie ist nicht im Alltag angekommen“, erklärte Ozegowski. Auch Gematik-Geschäftsführer Markus Leyck Dieken räumte ein, bisher auf das falsche Pferd gesetzt zu haben: „Wir haben am Anfang geglaubt, Opt-in wäre eine gute Lösung mit ausreichender Datenhoheit der Versicher­ten“, sagte er bei derselben Veranstaltung.

Ein Blick in andere Länder habe jedoch gezeigt, dass „Opt-in die schlechteste aller Lösungen ist“, da sie die Ges­ellschaft spalte. Wohlhabendere, jüngere und gebildetere deutsche Muttersprachler würden dann nachweislich mehr profitieren als ärmere, ältere Menschen mit geringerem Bildungsniveau oder Menschen, deren Mutter­sprache nicht Deutsch ist.

Hauptziel ist deshalb eine breitere Abdeckung. „Wir können nicht akzeptieren, wo wir gerade stehen“, sagte Ozegowski mit Blick auf die bisherige Nutzerrate. „Mindestens 80 Prozent ePA-Nutzung bis 2025 ist das Ziel, das wir uns gesetzt haben.“ Das sei auch notwendig, damit die Ärzte sie überhaupt routinemäßig befüllen.

Allerdings, so deuteten Ozegowski und Leyck Dieken an, könnte parallel zum E-Rezept auch bei der ePA der Bundesdatenschutzbeauftragte (BfDI) Ulrich Kelber noch ein Wort mitreden. Er hatte bereits erklärt, dass er die Opt-out-Lösung für „datenschutzpolitisch falsch“ hält.

Während Ozegowski ihre Kompromissbereitschaft betonte – „natürlich wollen wir Herrn Kelber mit ins Boot holen“, sagte sie – stellte Leyck Dieken heraus, welche Grenzen er sieht: „Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und strukturierte Daten gehen nicht zusammen“, erklärte er mit Blick auf die Anforderungen des BfDI.

Auf die muss die Gematik allerdings erneut Rücksicht nehmen. Wie dem Beschluss zu entnehmen ist, ist die Gematik verpflichtet, nicht nur ihre Gesellschafter, die gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen als ePA-Anbieter sowie die umsetzende Industrie in ihren Prüfauftrag einzubeziehen, sondern auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und den BfDI.

Den wenigen Versicherten, die die ePA bereits nutzen, vermittelt die Gematik Sicherheit: Für sie bleibe die Kassen-App ihr Zugang zur ePA. Die aktuelle Version könne weiter genutzt werden und werde in den kommenden Monaten fortentwickelt. Wer bereits eine ePA besitzt oder plant, sich eine einzurichten, werde später seine Daten auch in der Opt-out-Variante nutzen können. © lau/aerzteblatt.de

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