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Politik

Apotheken beklagen Lieferengpässe bei Arzneimitteln

Montag, 21. November 2022

/dpa

Frankfurt am Main – Deutschlands Apotheken beklagen anhaltende Lieferengpässe bei einer Reihe von Medi­ka­menten. Darunter sind Fiebersäfte für Kinder, Magensäureblocker, Hustensäfte und Blutdruckmittel. Die Lie­ferengpässe haben das Angebot verknappt. Patienten bekommen dann oft ein Alternativmittel, das nicht die erste Wahl gewesen wäre. Apotheker sehen die Engpässe mit Sorge.

„Die Lage ist schlimm“, sagt der Vorsitzende des Apothekerverbandes Nordrhein, Thomas Preis. So etwas habe er in über 30 Berufsjahren nicht erlebt. Ein Sprecher der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) spricht von einer „großen Herausforderung“, die auf absehbare Zeit bleiben werde.

Als Beispiel für Engpässe nennt Branchenvertreter Preis den Wirkstoff Pantoprazol, der gegen Magenproble­me eingesetzt wird. Weil Pantoprazol-Präparate nicht mehr zu haben seien, müsse man ausweichen auf Ome­prazol. Dieser Wirkstoff aber habe mehr Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten.

Im Moment gehe niemand „unversorgt“ aus der Apotheke, aber: „Die Arzneimitteltherapie, die mit den noch verfügbaren Arzneimitteln möglich sein wird, kann auch zu Qualitätseinbußen führen.“ Auf das kommende Jahr blickt Preis mit Bedenken. „Wir erwarten eine Steigerung der Lieferdefizite.“

Laut einer Umfrage des Bundesverbands der Arzneimittelhersteller (BAH) haben 18 Prozent der Bundesbürger Schwierigkeiten oder Knappheit bei Medikamenten erlebt. Für Apotheken sind die Engpässe ein Ärgernis, da sie für Patienten Alternativen zu Medikamenten finden oder teilweise selbst herstellen müssen – das ist auf­wendig und teuer.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) führt derzeit etwa 300 Meldungen zu Lie­ferengpässen auf – bei rund 100.000 zugelassenen Arzneimitteln in Deutschland. Für viele knappe Medika­mente gibt es aber Alternativen.

„Ein Lieferengpass muss daher nicht gleichzeitig ein Versorgungsengpass sein“, betonte die Behörde. Derzeit gebe es nur rund zehn Meldungen zu versorgungskritischen Wirkstoffen. Die Behörde sieht „keine Hinweise auf eine generelle akute Verschlechterung der Versorgungslage in Deutschland“.

Als Ursache der Engpässe sehen Apotheken und Gewerkschaften die Globalisierung. Rund 68 Prozent der Pro­duktionsorte von Wirkstoffen, die für Europa bestimmt sind, liegen im kostengünstigeren Asien, heißt es in der Untersuchung des Verbands der forschenden Pharmaunternehmen (vfa). Kommt es dort zu Fertigungsprob­le­men, Verunreinigungen oder zum Produktionsstillstand, kann das auch Deutschland treffen.

Vor wenigen Jahrzehnten seien die aktuellen Lieferengpässe undenkbar gewesen, kritisiert Apotheker Preis. „Früher war Deutschland die Apotheke der Welt, heute sind China und Indien die Apotheke der Welt.“ Aus seiner Sicht wäre es wichtig, möglichst viel Produktion nach Deutschland zurückzubringen.

Ein weiterer Grund für Lieferengpässe ist wirtschaftlicher Druck. Auch der Pharmaindustrie machen teure Ener­­gie und Materialien zu schaffen. Doch die Preise für Arzneimittel sind reguliert, Hersteller können höhere Kosten nicht ohne Weiteres an Kunden weitergeben.

Bei verschreibungspflichtigen Medikamenten müssen Hersteller Krankenkassen in Rabattverträgen Nachlässe gewähren. Zudem gibt es Festbeträge als Höchstbeträge, den die Kassen für ein Arzneimittel zahlen. Das soll helfen, die Kosten im Gesundheitssystem zu begrenzen und den Anstieg der Krankenkassenbeiträge einzu­däm­men.

Mit dem Gesetz zur Stabilisierung der Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hat Bundesge­sundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) etwa den Herstellerrabatt für 2023 erhöht – zum Ärger der Pharma­branche. Der Herstellerrabatt habe zusätzliche Belastungen von 1,3 Milliarden Euro 2023 zur Folge, kritisierte vfa-Präsident Han Steutel.

Auch der Pharmakonzern Stada, einer der größten Anbieter von Nachahmerarzneimitteln und rezeptfreien Medikamenten in Deutschland, spürt den Druck höherer Energie- und Transportkosten sowie teurerer Roh­stoffe. Wegen der Rabattverträge könnten Hersteller gestiegene Energiekosten nicht weitergeben. „So entste­hen Preise und Margen, die teilweise unsere Herstellkosten kaum noch decken und die Lage spitzt sich weiter zu“, sagt Vorstandschef Peter Goldschmidt.

Auch der Verband Pro Generika beklagt Kostendruck in der Inflation. Hersteller von Generika deckten 78 Pro­zent des Arzneimittelbedarfs der Krankenkassen. Gemessen an dem, was die Kassen den Firmen für Generika bezahlten, rangiere Deutschland im europäischen Vergleich aber am unteren Ende.

Mit dem „politisch gewollten Kostendruck“ sei die Arzneimittelversorgung brüchig geworden, kritisiert Ge­schäftsführer Bork Bretthauer. „Rasant steigende Wirkstoff- und Produktionskosten bei eingefrorenen Preisen machen die Produktion von Arzneimitteln wie Fiebersäften zum Verlustgeschäft“. Fiebersäfte für Kinder sind rezeptfrei. Die Kosten dafür werden von den Kassen erstattet mit Festbeträgen an Firmen.

Die Produzenten von Paracetamol-Fiebersäften erhalten laut Pro Generika 1,36 Euro je Flasche. Der Wirkstoff sei aber binnen eines Jahres um 70 Prozent teurer geworden. Immer mehr Hersteller zögen sich aus der Pro­duktion zurück. Inzwischen sei nur noch ein Hauptanbieter übrig – Teva mit seiner Arzneimarke Ratiopharm aus Ulm.

Was aber tun gegen Lieferengpässe? Stada-Chef Goldschmidt fordert, bei Ausschreibungen sollten anstelle von Exklusivverträgen die besten drei Arzneianbieter zum Zug kommen. Das würde Lieferketten stärken. Die Forderung, die Produktion wieder stärker von Asien nach Europa zu bringen, hält Goldschmidt für zu kurz.

„Die Produktionsstätten in Indien oder China, von denen wir Ware beziehen, sind nach europäischen Stan­dards geprüft.“ Zudem könne es auch in Europa Ausfälle und Engpässe geben, während die Arzneimittelkosten steigen würden. „Die Preise würden explodieren.“

Pro Generika fordert, etwa den Festbetrag für Arzneifirmen zu erhöhen – er liege seit zehn Jahren auf demsel­ben Niveau. Das würde die Kosten im Gesundheitssystem erhöhen. Der Verband verweist auch auf Großbritan­nien. Sei dort ein Generikum zum vereinbarten Preis in Apotheken nicht verfügbar, werde der Erstattungspreis für bestimmte Zeit angehoben. So könnten Firmen wieder wirtschaftlicher agieren. „Gemessen daran ist das deutsche System zu schwerfällig und rigide.“ © dpa/aerzteblatt.de

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