Medizin
Therapien gegen das Post-COVID-Syndrom – bisher ohne Evidenz
Donnerstag, 1. Dezember 2022
Jena – Für Long COVID und das Post-COVID-Syndrom (PCS) gibt es derzeit weder evidenzbasierte diagnostische Parameter noch eine kurative Therapie, die in kontrollierten Studien untersucht wurde. Die Liste potenziell wirksamer Medikamente, apparativer Verfahren, Nahrungsmittel und Vitamine, die Daniel Vilser vom Universitätsklinikum Jena (UKJ) beim 1. Kongress zu Long COVID im November präsentierte, war dennoch lang.
Aufgrund ihrer Pathopysiologie würden viele Theorien diskutiert, deren Wirksamkeit bei PCS noch nicht nachgewiesen sei, erklärte Vilser (siehe Kasten). Die Impfung tauge als Therapie für Long COVID-Symptome nicht gut, so der Kardiologe von der Klinik für Kinder - und Jugendmedizin. Er verwies auf 3 Studien, die zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen waren (Journal of General Internal Medicine 2022; DOI: 10.1007/s11606-022-07465-w; Vaccines 2022; DOI: 10.3390/vaccines10050652; Vaccines 2022; DOI: 10.3390/vaccines10010046).
Das breite Spektrum des PCS erschwert die Suche nach einer Therapie. Denn das PCS lässt sich in 96 Symptome, 12 Cluster und 3 Subtypen untergliedern: physische Defizite, physisch-kognitive Defizite und kognitive Dezifizite (PLoS Med 2022; DOI: 10.1371/journal.pmed.1004122). Diese bräuchten unterschiedliche Therapieansätze, erklärte Andreas Stallmach, Klinikdirektor der Klinik für Innere Medizin IV am UKJ.
Potenziell wirksame Therapien für das Post-COVID-Syndrom (bisher ohne Nachweis)
- Medikamente: Prednisolon, Low Dose Naltrexone (LDN), Melatonin, Fludrocortison, Antihistaminika, Antikoagulantien, Hydroxychloroquin, Fluvoxamin, Maraviroc, Ivermectin, i.v. Immunglobuline, BC007, Ivabradin, B-Blocker, Gabapentin, Lacosamid, Aripiprazol, Clonidin, Midodrin, Statine, Pentoxifyllin, Montelukast, Spironolacton, Colchicin
- Apparative Verfahren: Plasmaaustausch, Immunapherese (-adsorption), HELP-Apherese, hyperbare Sauerstoffoxygenierung, Non-Invasive Hirnstimulation (NIBS), Low Magnitude Mechanical Stimulation
- Nahrunsgmittel und Vitamine: Probiotika, Vitamin D, C und B, Selen, Zink, Eisen, Magnesium, Calcium, Kreatin, Q10, L-Glutamin, Brokkolisprossenpulver, Boswellia, echter Schwarzkümmel, Luteolin, Kurkuma, Flavonoide, diverse Diäten
Quelle: Präsentation Vilser, 1. Kongress zu Long COVID
Aber nicht nur die Symptome sind vielfältig, auch die möglichen pathogenetischen Mechanismen des PCS bieten eine variable Angriffsfläche. Dazu zählen die persistierende Infektion, systemische und gewebespezifische Entzündungsreaktionen, die Reaktivierung humaner Herpesviren, Dysbiosen des Mikrobioms, mikrovaskuläre Dysfunktionen und Autoimmunreaktionen. Stallmach machte aber klar: „Auch wenn wir in diese Pathogenese eingreifen, heilen wir nicht automatisch.“
Erste Daten aus Fallstudien zur Immunapherese: Nicht alle profitieren
Auf dem Kongress wurden Daten mehrerer kleiner Studien zur Immunapherese vorgestellt. Geht man davon aus, dass Autoantikörper Hauptverursacher des PCS sind, so könnte deren Entfernung auch die Symptome lindern – so die Theorie.
In einer noch nicht publizierten Studie mit etwa 200 PCS-Patientinnen und -Patienten am UKJ konnten die Forschenden um Benjamin Giszas, Philipp Reuken, Michael Kiehntopf und Stallmach Autoantikörper (AAK) gegen andrenerge und muskarinerge Rezeptoren (β1-/ β2-adrenerge Rezeptoren und M3-/M4-muskarinerge Acetylcholin-Rezeptoren [mAChR]) nachweisen. „Es gab Patienten ohne Autoantikörper, wenige hatten exzessiv viele Autoantikörper“, berichtete Stallmach.
Das UKJ-Team führte bei 8 Patienten mit sehr hohen AAK-Leveln eine Immunapherese (IA) durch. Diese Patienten berichteten jedoch weder direkt nach der IA noch 4 Wochen nach der IA über eine subjektive Verbesserung des PCS. Auch ihre physische Leistungsfähigkeit verbesserte sich nicht. Stallmach schlussfolgert daraus, dass eventuell die falschen Patienten für die IA ausgewählt wurden.
Die Immunapherese ist sicherlich eine Chance und ein Weg, den es sich lohnt weiter zu gehen. Bettina Hohberger, Uniklinikum Erlangen
Auch die Molekularmedizinerin Bettina Hohberger vom Uniklinikum Erlangen wies mehrfach darauf hin, dass die IA funktionieren kann – auch bei anderen mit AAK assoziierten Erkrankungen – aber nicht für alle Betroffenen Erfolg verspreche.
Sie zitierte 3 Studien mit bis zu 34 Patienten mit einer idiopathisch dilativen Kardiomyopathie, Glaukom oder chronischem Fatigue-Syndrom/Myalgische Enzephalomyelitis (CFS/ME) (Circulation 2000; DOI: 10.1161/01.CIR.101.4.385; Frontiers in Immunology 2018; DOI: 10.3389/fimmu.2018.00145; PLoS ONE DOI: 10.1371/journal.pone.0193672). Anhand einzelner Fallstudien zu PCS demonstrierte Hohberger auch Beispiele, bei denen die IA Wirkung zeigte (Frontiers in Medicine 2021; DOI: 10.3389/fmed.2021.754667).
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- Myalgische Enzephalomyelitis/chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS): Wenn nichts mehr geht
- Post-COVID-Syndrom: Ein Syndrom mit vielen Facetten
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„Die Immunapharese ist sicherlich eine Chance und ein Weg, den es sich lohnt weiter zu gehen“, schlussfolgerte Hohberger. Aber: „Wir brauchen eine Charakterisierung jener PCS-Patienten, bei denen die Immunapherese wirkt. Sie kann nicht allen zur Verfügung gestellt werden. Denn die IA ist kosten- und personalintensiv“, erklärte Hohberger.
Zudem bestünde die Gefahr einer Immunsuppression. Beta-Zellen würden nach der IA weiter AAK produzieren. Ungewiss ist nur der Zeitpunkt. Einige Patienten bleiben nach einer IA mindestens ein Jahr AAK-frei.
Deutlich äußerte sich Hohberger auch zum Potenzial der AAK als Biomarker. „Es gibt symptomfreie Personen mit Autoantikörpern.“ Daher mache es keinen Sinn, diese als Marker für Long COVID oder PCS zu nutzen. Sie geht davon aus, dass ein 2. Faktor hinzukommen muss, der die Symptome auslöst.
„Es sieht so aus, als benötigten bestimmte Autoantikörper die Umgebung von entzündetem Gewebe, um an die Zielstruktiren andocken zu können“, sagte die Molekularmedizinerin aus Erlangen.
Auch zur HELP-Apherese (Lipidproteinapherese) und zur hyperbaren Sauerstoffoxygenierung gab es Vorträge, die allerdings (noch) nicht von den Referierenden on-Demand freigegeben wurden. Der Schwerpunkt auf die Immunapherese (-adsorption) spiegelt keinen Vorteil gegenüber den anderen potenziellen Medikamenten und Verfahren wider (siehe Kasten). © gie/aerzteblatt.de

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