Politik
Arzneimittelgipfel: Union kassiert Kritik von allen Seiten
Freitag, 20. Januar 2023
Berlin – Der Gesundheitsausschuss des Bundestages wird sich mit einem Antrag der Unionsfraktion zu einem Beschaffungsgipfel gegen Arzneimittelengpässe befassen. Das hat der Bundestag heute mit den Stimmen der Regierungskoalition entschieden. Zuvor erntete die Union nicht nur von den Ampelparteien Kritik für ihren Antrag.
Die Unionsparteien werfen der Bundesregierung Untätigkeit im Kampf gegen Arzneimittelengpässe vor. Die Ampelparteien wiederum sehen im Antrag von CDU und CSU alten Wein in neuen Schläuchen – er sei „ein 1A-Beispiel für blanken Aktionismus“, kritisierte SPD-Gesundheitspolitikerin Martina Stamm-Fiebig.
Neben einem Beschaffungsgipfel von Bund, Ländern, Ärzten, Krankenkassen, Apothekern, Arzneimittelgroßhändlern und Krankenhäusern beinhaltet der Antrag aus der Feder des gesundheitspolitischen Sprechers der Unionsfraktion, Tino Sorge, auch Maßnahmen wie ein nationales Frühwarnsystem, eine Engpassdatenbank oder eine Rückverlagerung der Produktion nach Europa.
Allerdings, so wendeten SPD, Grüne und FDP ein, gibt es Frühwarnsystem und Datenbank bereits beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn. Maßnahmen wie eine Rückverlagerung der Pharmaproduktion aus Niedriglohnländern wie Indien und China nach Europa wiederum ließen sich nicht einfach per Gesetzentwurf und schon gar als deutscher Alleingang umsetzen.
Was hingegen relativ unkompliziert umsetzbar ist, sind Maßnahmen zur Reduzierung des Preisdrucks im Generikamarkt, speziell durch die Rabattverträge. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte dazu vor Weihnachten ein Eckpunktepapier vorgestellt und daraufhin beim GKV-Spitzenverband eine Aussetzung der Festbeträge für 180 Arzneimittel erwirkt. Seitdem arbeitet Lauterbachs Haus an einem Gesetz gegen Lieferengpässe.
„Ich hätte mir gewünscht, dass wir hier einen Gesetzentwurf debattieren, aber Sie haben keinen. Die Ampel hat bis heute keinen Plan gegen Arzneimittelengpässe und Medikamentenmangel“, warf Sorge der Bundesregierung vor. Diese Untätigkeit habe ein Chaos mit Ansage verursacht und sei deshalb ein Skandal.
Gleichzeitig sei Lauterbach sei in einem Kaufrausch bei Coronaimpfstoffen gewesen. „Die Fiebersäfte für Kinder aber haben sie vergessen. Das war der falsche Fokus und das rächt sich jetzt“, sagte Sorge. Auch müsse sich die Bundesregierung nach den Zumutungen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes (GKV-FinStG) für die Industrie nun auch um den Pharmastandort Deutschland kümmern.
Das sieht FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullman ähnlich: Die Bundesregierung müsse eng mit der Industrie zusammenarbeiten und Rahmenbedingungen herstellen, „damit die Ansiedlung in Deutschland wieder attraktiv wird“, forderte er.
Es sei jahrelang an der falschen Stelle gespart worden, was die Entstehung monopolistischer Lieferketten zur Folge gehabt habe. „Was wir als Ampel geerbt haben, ist ein tief verwurzeltes strukturelles Defizit“, beklagte er.
Stamm-Fiebig will das durch spezifische Vorgaben bekämpfen: Der Preisdruck im Generikamarkt müsse verringert werden, Zuschläge für Rabattverträge dabei aber an Bedingungen wie Umwelt- und Produktionsstandards oder Lieferkettensicherheit geknüpft werden.
Auch Forschung und Entwicklung müssten hierzulande stärker gefördert und ausgebaut werden. Das sei zwar absehbar teuer. Aber: „In unsicheren Zeiten müssen wir auch aus geopolitischen Gründen diese Investitionen tätigen“, forderte sie.
So viel Verständnis für die Sorgen und Nöte der Industrie wollte Die Linke nicht zeigen. Im Gegenteil: Nicht nur gebe es bereits Frühwarnsystem und Datenbank beim BfArM, sondern auch Vorgaben wie umfassende Informationspflichten für Pharmahersteller – an die diese sich aber mangels Sanktionen nicht halten müssen, erklärte die Sprecherin für Gesundheits- und Queerpolitik, Kathrin Vogler. Statt die Industrie mit Steuer- und Beitragsgeldern zu päppeln, müsse man sie stärker an die Kandare nehmen.
„Wenn es einen Bereich gibt, in dem das unternehmerische Risiko von der Gesellschaft getragen wird, während die Gewinne privatisiert werden, dann ist das die Pharmaindustrie“, kritisierte sie. „Die Unternehmen haben ein gewaltiges Erpressungspotenzial und das nutzen sie auch. Bei sinkenden Gewinnmargen drohen sie mit Marktrücknahmen und Lieferstopps, um höhere Preise durchzusetzen.“
Dieses System funktioniere gut für die Aktionäre, aber schlecht für die Beitragszahler. Der Umsatz mit Arzneimitteln habe sich in den vergangenen 15 Jahren verdoppelt, die Versorgungssituation aber gleichzeitig zugespitzt.
Für Vogler gehen deshalb sowohl die Maßnahmen der Bundesregierung als auch die Forderung der Union nach einem Beschaffungsgipfel am eigentlichen Problem vorbei: „Es nützt einfach nichts; wir brauchen sanktionsbewährte Verpflichtungen für die Unternehmen zur Vorratshaltung bei unersetzlichen Medikamenten – und keine Stuhlkreise.“
Die CSU vertritt genau die entgegengesetzte Auffassung: Die Zunahme der Engpässe resultiere aus einer untragbaren Belastung für die Hersteller. Lauterbach habe die Industrie mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz noch weiter geschwächt und weitere Auslistungen verursacht. „Die aktuelle deutsche Politik zerstört den Produktions- und Forschungsstandort im Pharmabereich“, warf ihm Stephan Pilsinger vor.
Auch der Liberale Lars Lindemann forderte eine Stärkung des Standorts. Ziel müsse sein, Vereinbarungen mit der Industrie zu treffen, um gute Rahmenbedingungen für sie zu schaffen und so die Produktion nach Europa zu holen. Es brauche einen „Pakt für Deutschland als Apotheke der Welt“, erklärte er.
Das werde dem Problem aber nicht gerecht, wandte die Ärztin Paula Piechotta (Grüne) ein: „Wenn wir hier nicht weiter rumdoktern wollen – und alle Vorschläge, die Sie machen, fallen unter diese Kategorie – müssen wir uns bewusstmachen, wie komplex das Problem global gesehen ist.“
Es handele sich nicht um eine rein deutsche Angelegenheit, weswegen sie sich auch nicht allein mit nationalen Maßnahmen regeln lasse. Es gebe auch Faktoren wie Verunreinigungen oder schlicht Ausfälle von Vor- oder Nebenprodukten in den Lieferketten.
„Ihnen werden alle Expertinnen und Experten sagen, dass die Rückholung von Produktion allein es nicht richten kann“, sagte Piechotta. „Was wir brauchen, ist eine Diversifizierung von Lieferketten.“ Dazu müssten Anreize geschaffen werden, beispielsweise durch Vergabe von Mehrfachlosen bei Rabattverträgen.
„Wir brauchen eine EU-Offensive für mehr Resilienz“, forderte auch Parteikollegin Maria Klein-Schmeink. Allerdings müsse das Problem auch auf nationaler Ebene komplexer gedacht werden, zum Beispiel mit Blick auf den Bürokratieabbau.
„Es ist aberwitzig, dass ich als Apotheke einen Kontakt zur Praxis brauche, nur, weil auf dem Rezept 100 Tabletten verordnet wurde, aber das Medikament in diesem Gebinde nicht verfügbar ist“, erklärte sie und gab auch den Ärztinnen und Ärzten eine Mitschuld. „Es wird zum Teil auch nicht gut verordnet, auch das müssen wir uns anschauen.“ © lau/aerzteblatt.de

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