Medizin
Emotionale Abstumpfung: Studie belegt Nebenwirkung von Antidepressiva
Dienstag, 7. Februar 2023
Cambridge/England – Die Einnahme des Antidepressivums Escitalopram, das zu den wirkungsstarken Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) gehört, hat in einer randomisierten Studie bei gesunden Probanden zu schlechteren Ergebnissen in einem einfachen Test zur „reinforcement learning“ geführt.
Er könnte laut der Publikation in Neuropsychopharmacology (2023; DOI: 10.1038/s41386-022-01523-x) das Gefühl der emotionalen Abstumpfung („blunting“) erklären, das viele Patienten mit Major-Depression unter der Behandlung angeben.
Etwa 40 % bis 60 % der Patienten, die SSRIs einnehmen, beklagen sich über einen Verlust an Lebensfreude. Viele Dinge, die sie früher gerne machten, bereiten ihnen keinen Spaß mehr. Ein Aspekt dieser emotionalen Abstumpfung („blunting“) sind Störungen des Sexuallebens.
Da Depressionen eine tiefgreifende emotionale Störung sind, lässt sich nur schwer entscheiden, ob das „blunting“ tatsächlich auf die Medikation zurückzuführen ist. Britische und dänische Forscher haben deshalb 66 gesunde Probanden gebeten, über 21 Tage Tabletten einzunehmen, die bei jedem zweiten Escitalopram in einer therapeutischen Tagesdosis von 20 mg enthielten, bei den anderen aber ein Placebo.
Danach nahmen die Teilnehmer an einer Reihe von Tests zur kalten („cold“) und heißen („hot“) Kognition teil. Die kalte Kognition betrifft rationale und nicht-emotionale Entscheidungen. Bei den Tests werden Inhibitionen (vernünftiges Handeln), kognitive Flexibilität und Gedächtnis untersucht.
Das Team um Christelle Langley von der Universität Cambridge und Sophia Armand von der Universität Kopenhagen konnten hier keine Veränderungen bei den Probanden feststellen. SSRI haben demnach keine Auswirkung auf die Intelligenz.
Die heiße Kognition wurde mit einem Test zum „reinforcement learning“ („verstärkendes Lernen“) untersucht. Er untersucht den Einfluss von Emotionen auf das Handeln. Bei dem „probabilistic reversal test“ (Wahrscheinlichkeitsumkehr) wurden den Teilnehmern zwei Reize gezeigt, A und B. Wenn sie A wählten, erhielten sie in 4 von 5 Fällen eine Belohnung. Wenn sie sich für B entschieden, erhielten sie nur in einem von 5 Fällen eine Belohnung.
Die Teilnehmer wissen zu Beginn des Tests nicht, dass sie bei A häufiger eine Belohnung erhalten. Gesunde Personen lernen dies aber relativ schnell und entscheiden sich dann nur noch für A. Allerdings verändern sich die Wahrscheinlichkeiten von A und B im Verlauf des Tests, so dass die Teilnehmer immer wieder umlernen müssen. Dies schaffen Menschen mit einem „blunting“ häufig nicht, weil ihnen die Lebensfreude an Belohnungen verloren gegangen ist.
Die Forscherinnen fanden heraus, dass die Probanden, die über 21 Tage Escitalopram eingenommen hatten, in dem „probabilistic reversal test“ signifikant schlechtere Ergebnisse erzielten. Dies belegt ihrer Ansicht nach, dass die SSRI und nicht die Depressionen für das „blunting“ verantwortlich sind.
Dafür spricht auch, dass die Teilnehmer in einem Fragebogen einen Verlust an Lebensfreude angegeben hatten. Dazu gehörten auch Störungen im Sexualleben. Unter dem Einfluss fiel es ihnen schwerer, einen Orgasmus zu erreichen, eine auch von Patienten häufig berichtete Nebenwirkung von SSRI. © rme/aerzteblatt.de
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