Ärzteschaft
„Das Faxgerät ist im ÖGD passé“
Donnerstag, 2. Februar 2023
Berlin – Der öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) wird seit der Pandemie deutlich gestärkt und soll seinen Teil zum „resilienten Gesundheitssystem“ beitragen, wie es der Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege in seinem aktuellen Gutachten schreibt.
Trotz der Milliardenhilfen, die es seit 2020 für den ÖGD gibt, hat der Umbau in vielen Gesundheitsämtern gerade erst begonnen, berichtet Johannes Nießen, Bundesvorsitzender des Berufsverbands der Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst (BVÖGD) sowie Leiter des Gesundheitsamtes in Köln, im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt.
Große Hoffnungen setzt er auch auf den Aufbau eines Bundesinstitutes für öffentliche Gesundheit, das noch in diesem Jahr gegründet werden soll.
5 Fragen an Johnnes Nießen zur Stärkung des ÖGD
Deutsches Ärzteblatt: Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) war in der Pandemie im Zentrum der Aufmerksamkeit. Jetzt ist der ÖGD aus den Schlagzeilen und wohlmöglich auch aus den politischen Köpfen raus. Was bedeutet das für den Schwung, den eigentlich die Reform des ÖGD benötigen würde?
Johnnes Nießen: Wir arbeiten mit vollem Schwung weiter. Was im Rahmen der Pandemie angestoßen worden ist, trägt jetzt erste Früchte.
Der ÖGD-Pakt mit seinen vier Milliarden Euro kommt langsam in allen 378 Gesundheitsämtern an, wo insgesamt über 5.000 Stellen neu besetzt werden. Die Modernisierung wird gerade auch im Bereich der Digitalisierung vorangetrieben, die Faxgeräte sind passé.
Auch in der Politik weiß man, dass wir einen starken öffentlichen Gesundheitsdienst brauchen. Wir haben die Pandemie gut bewältigt, wir haben viel gelernt und lernen auch weiter.
DÄ: Bei dem Digitalpakt geht es ja vor allem um die flächendeckende Einführung von DEMIS in den Ämtern. In der Diskussion vor einigen Monaten gab es ja auch unterschiedliche Standpunkte, welche Software genutzt werden soll. Ist das nun gelöst?
Nießen: DEMIS soll als Deutsches Elektronisches Melde-und Informationssystem für den Infektionsschutz im gesamten Gesundheitswesen eingesetzt werden, aber es funktioniert noch nicht überall. Labore und Krankenhäuser sind bereits angeschlossen, Arztpraxen jedoch noch nicht. Der Datentransfer wird schon vielerorts schneller.
Erschwert ist allerdings noch die Weitergabe der Daten zwischen den Gesundheitsämtern, Landesgesundheitsämtern und Robert-Koch-Institut (RKI). Hier gibt es eine noch eine lösende Schnittstellenproblematik.
Eine einheitliche software für alle Gesundheitsämter konnte bisher nicht implementiert werden. Verschiedene Lösungen werden weiter geprüft.
DÄ: Wie sieht es mit der Personalaufstockung aus? Bis Ende 2026 ist ja die Finanzierung von vielen weiteren Stellen durch Bund und Länder gesichert. Finden Sie denn genügend Menschen, die diese auch ärztlichen Stellen besetzen können?
Nießen: Es besteht ein vermehrtes Interesse innerhalb der Ärzteschaft im öffentlichen Gesundheitsdienst zu arbeiten. Insbesondere unter den jüngeren Ärztinnen und Ärzten stellt der ÖGD eine interessante berufliche Alternative.
In Universitätsstädten gibt es meist Interessentinnen und Interessenten für die Arbeit im Gesundheitsamt. Aber auf dem Lande ist es öfter schwierig, eine Ärztin oder einen Arzt zu finden, die oder der sich für den ÖGD interessiert. Vor der Pandemie haben 2.300 Ärztinnen und Ärzte für den ÖGD gearbeitet, jetzt sind es 3.500, das ist erst mal ein gutes Signal. Diese neuen Arztstellen sind aber oft nur befristet. Das Interesse am ÖGD ist geweckt, die Arbeit muss langfristig besser bezahlt werden.
Denn wenn man am Monatsende auf sein Konto schaut, ist da immer noch ein deutlicher Unterschied zu den Kolleginnen und Kollegen im Krankenhaus. Der ÖGD-Pakt ermöglicht zwar eine zehnprozentige Gehaltssteigerung gegenüber den bisherigen Tarifen. Das wird aber leider nicht überall umgesetzt.
Perspektivisch müssen kommunale Arbeitgeber dauerhaft höhere Löhne für die ärztlichen Kolleginnen und Kollegen zahlen, um die Zukunft des ÖGD zu sichern.
DÄ: Wenn man das so betrachtet, ist die Finanzierung bis 2026 gesichert. Aber haben Sie schon Signale aus den Ländern oder aus der Politik bekommen, dass man auch danach diese Stellen weiter finanziert?
Nießen: Das ist der wunde Punkt. Die Entscheidung über die Weiterfinanzierung dieser neuen Stellen wird dieses Jahr erwartet. Die 5.000 Stellen aus dem ÖGD-Pakt werden über die Jahre 2022 bis 2026 sukzessiv im Land verteilt. Ab 2027 muss es aber irgendwie weiter gehen.
Wir erleben auch im ÖGD den demografischen Wandel; das aktuelle Durchschnittsalter der ÖGD-Ärztinnen und Ärzten liegt bei 58 Jahren. Sicherlich können dann auch einige neu eingestellte Ärztinnen und Ärzte auf unbefristete Stellen umgesiedelt werden. Wir brauchen diese neuen 5.000 Stellen auch über das Jahr 2027 hinaus. Diese dazugehörige Entscheidung zur Finanzierung sollte bald getroffen werden.
Öffentliche Gesundheit: Steuerung gefragt
Eine bessere Koordination, zielgerichtete Vernetzung und Kommunikation sowie umfassende Datenanalysen – dies soll künftig ein Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit leisten. Die Erwartungen an die Stärkung des Public-Health-Bereiches sind unter Experten groß. Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) – zuvor eher stiefmütterlich behandelt – rückte im Zusammenhang mit der
DÄ: Im Koalitionsvertrag wird ja ein Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit oder für Public Health angekündigt, in dem auch der ÖGD eingebunden sein soll. Jetzt gab es das Gutachten des Sachvertändigenrates, in dem auch weitere Vorstellungen skizziert werden. Wie kann der ÖGD mit so einem neuen Bundesinstitut zusammenarbeiten?
Nießen: Der SVR zeigt in seinem aktuellen Gutachten auf, wie ein resilienter ÖGD in Zukunft aufgestellt sein sollte. Das neue Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit (BIÖG) nimmt hier eine zentrale Rolle ein.
Die in den dezentralen Gesundheitsämter erhobenen Daten sollten im BIÖG zusammengeführt, analysiert und so aufbereitet werden, dass hieraus Daten für Taten vor Ort entwickelt werden können. Daraus lassen sich evidenzbasierte Leitlinien erstellen, die qualitativ wertvolles Arbeiten vor Ort ermöglichen. All das muss entsprechend kommuniziert werden.
Hier besteht ein deutlicher Nachholbedarf, um die Gesundheitsämter vor Ort in der Gesundheitskommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern zu unterstützen. Wir hätten uns in der Pandemie zum Beispiel über einen TV-Spot zum Masken Tragen gefreut, der ähnlich viel Aufmerksamkeit wie die damalige Werbung der AIDS-Prävention gebraucht hätte. Das wäre auch fürs Impfen nötig gewesen. © bee/aerzteblatt.de

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