Ärzteschaft
Mehr Einsatz im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen gefordert
Dienstag, 7. Februar 2023
Berlin/Brüssel – Die Bundesärztekammer (BÄK) und der Europaabgeordnete Peter Liese (EVP) haben von der Politik mehr Einsatz im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen gefordert.
„Europa- und weltweit erleben wir eine Zunahme von Antibiotikaresistenzen, die zu einer schleichenden Pandemie führen“, sagte der Präsident der BÄK, Klaus Reinhardt, heute vor Journalisten. „Wir sind dazu aufgerufen, uns diesem Thema noch stärker zu widmen, als wir es heute tun.“
Wichtig sei dabei einerseits ein verantwortungsvoller Umgang mit Antibiotika in der Humanmedizin. Hier seien in der Vergangenheit einige Erfolge erzielt werden. Wichtig sei aber zugleich ein Verbot von Reserveantibiotika in der Tiermedizin.
„Die Bundesärztekammer hat vor kurzem wieder den Dialog mit der Bundestierärztekammer aufgenommen, um gemeinsam einen vernünftigen Kompromiss zu finden“, sagte Reinhardt. „Wir sollten versuchen, einen Weg zu finden, Reserveantibiotika auch im Veterinärbereich nicht mehr prophylaktisch einzusetzen.“
Dafür müsse sich auch die Gesellschaft Gedanken darüber machen, ob eine Massentierhaltung noch zeitgemäß sei – sowohl im Hinblick auf den Klimawandel als auch im Hinblick auf das Tierwohl. „Denn wenn wir uns von der Massentierhaltung in ihrer heutigen Form verabschieden würden, könnte auch der Einsatz von Reserveantibiotika in der Tiermedizin deutlich reduziert werden“, so Reinhardt.
Neues EU-Pharmapaket im März
Auch der Arzt und gesundheitspolitische Sprecher der Europäischen Volkspartei (EVP), Peter Liese, sprach sich für ein Verbot von Reserveantibiotika in der Tierhaltung aus.
„Wir brauchen einen anderen Umgang mit Antibiotika: sowohl in der Tier- als auch in der Humanmedizin“, betonte er. „In der Humanmedizin brauchen wir einen gezielteren Einsatz, indem wir Schnelltests einsetzen, bevor wir Antibiotika verordnen.“ Im ambulanten Bereich beginne das gerade erst.
„Wir werden das Problem aber nicht lösen, wenn wir nicht neue Substanzen bekommen“, sagte Liese. „Denn die Resistenzen, die es heute schon gibt, sind ja nun einmal da.“ Unter den derzeitigen Bedingungen könnten Arzneimittelhersteller mit Antibiotika aber kein Geld verdienen, da neue Antibiotika ja als Reservemittel betrachtet und nur im Notfall verordnet würden.
„Wir brauchen also Anreizsysteme, damit es sich für die Hersteller lohnt, neue Antibiotika auf den Markt zu bringen“, erklärte Liese. „In den USA gibt es solche Anreize bereits. Und in Europa will die EU-Kommission sie jetzt mit einem Pharmapaket einführen, das sie im März vorstellen will.“
Anreize für neue Antibiotika
Vorgesehen seien dabei sogenannte Voucher, mit denen ein Unternehmen die Marktexklusivität eines seiner Arzneimittel verlängern kann, wenn es ein neues Antibiotikum auf den Markt bringt. „Dieser Vorschlag wird die gesamten Arzneimittelausgaben erhöhen“, so Liese.
„Aber solange es keinen besseren Vorschlag gibt, werde ich die Kommission dabei unterstützen. Denn wir brauchen dringend neue Antibiotika.“ Reinhardt schlug vor, dass man für ein neues Antibiotikum auch eine virtuelle Verkaufszahl annehmen und den Hersteller auf diese Weise gesondert vergüten könne.
Lieferengpässe: „Dramatik der Situation anerkennen“
Liese berichtete von einer Kinderklinik in Nordrhein-Westfalen, in der in der Weihnachtszeit Kinder für die Gabe eines intravenösen Antibiotikums aufgenommen werden mussten, weil infolge von Lieferengpässen keine oralen Antibiotika mehr verfügbar gewesen sind. „Das ist dramatisch“, sagte der EU-Politiker.
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Im Hinblick auf die Lieferengpässe müsse die Politik die Dramatik der Situation anerkennen und akzeptieren, dass Aktionen notwendig seien. „Hier bin ich noch nicht damit zufrieden, was die Kommission in ihrem neuen Pharmapaket plant“, sagte Liese. Generika dürften sich künftig nicht mehr ausschließlich nach dem Preis richten, forderte er. Stattdessen müsse künftig auch die Verfügbarkeit in Krisen honoriert werden.
„Mein Vorschlag dazu ist: Wenn ein Unternehmen in Europa eine Zulassung haben will, muss es nachweisen, dass es zwei Produktionsstätten in unterschiedlichen Ländern betreibt, zum Beispiel in China und in der Schweiz“, sagte Liese. „Auch das würde die Arzneimittelversorgung teurer machen. Trotzdem muss hier etwas passieren. Wir können so nicht weitermachen.“
Diversifizierung der Produktion vertraglich regeln
Reinhardt betonte, dass es aktuell 411 Lieferengpässe in Deutschland gebe – darunter auch für generische Zytostatika. „Wir müssen uns von einer Politik verabschieden, bei der wir ausschließlich danach schauen, welche Arzneimittel am preiswertesten sind“, forderte auch er. Denn das fördere eine Abwanderung in Billiglohnländern.
Reinhardt forderte, dass die Hersteller dazu verpflichtet werden müssten, frühzeitig über Lieferengpässe zu informieren. Zudem müsse die Diversifizierung der Produktion vertraglich geregelt werden – inklusive Vertragsstrafen. „Wir brauchen Anreize dafür, die die Lieferfähigkeit gewährleisten“, sagte Reinhardt. © fos/aerzteblatt.de

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