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Entbudgetierung: „Das ist ein reiner Etikettenschwindel“

Mittwoch, 15. Februar 2023

Die beiden KBV-Vorstände Andreas Gassen (links) und Stephan Hofmeister im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt /Lopata

Berlin – Die Pläne des Bundesgesundheitsministeriums für eine Entbudgetierung der Fachgruppe der Kinder- und Jugendärzte sorgen auch für Kritik. Das Deutsche Ärzteblatt sprach mit den beiden Vorständen der Kas­senärztlichen Bundesvereinigung (KBV), An­dreas Gassen und Stephan Hofmeister, über deren Einschät­zung.

Der Bundesgesundheitsminister hat eine Entbudgetierung der Kinder- und Jugendärzte in das Gesetzge­bungsverfahren gebracht. Da müssten Sie doch zufrieden sein?

Andreas Gassen: Dass man entbudgetiert, ist eigentlich richtig. Das, was jetzt vorliegt, ist allerdings kein Vorschlag für eine Entbudgetierung der Kinderärzte. Somit ist es auch nicht das, was der Minister angekündigt hat. Und das ist nicht das, was wir fordern.

Statt mehr Honorar für die Kinderärzte bedeutet der Vorschlag zunächst mal enormen Aufwand für die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), weil diese sich dann jedes Quartal mit den Kassen hinsetzen und das durchrechnen müssen. Jedes Quartal.

Ob dann letztendlich mehr Honorar für die kinderärztlichen Leistungen dabei herauskommt oder es sogar Honorarrückforderungen der Kassen gibt, klärt sich viele Monate später. Es ist offensichtlich, dass das nicht so nicht bleiben kann und auch nicht das ist, was der Minister versprochen hat...

Stephan Hofmeister: Lauterbach hat bei zwei Veranstaltungen ausdrücklich von der Ausbudgetierung der Pädiater gesprochen. Nur hat sein Haus das jetzt nicht umgesetzt. Denn es führt zu einem unfassbaren büro­kratischen Aufwand für ein minimales Ergebnis.

Die Kolleginnen und Kollegen lässt man mindestens sechs, wenn nicht gar neun Monate im Unklaren, was für sie an Honorar dabei herauskommt. Zudem kann es jedes Quartal zu Verschiebungen kommen. Denn die Pädia­ter zählen formal zu den Hausärzten in den Honorartöpfen.

Die Kritiker sagen, man könnte bei einer richtigen Entbudgetierung die Leistungen der Pädiater nicht ausein­an­derhalten?

Hofmeister: Das ist falsch. Man kann gerade die Pädiater gut auseinanderhalten. Man muss sich nur über die Quartale einigen und dann kann man diese entsprechend bereinigen. Das ist bewährte Technik, das können wir, das können die Kassen, da gibt es keine Vermischungen. Das beeinträchtigt auch nicht die Hausärzte, die auch in dem Topf sind.

Und solche Klimmzüge wie Vorwegabzüge und Spitzabrechnung und ähnliches, müssen nicht gemacht wer­den. Daher ist der jetzige Vorschlag so erschreckend, weil sich der einfache Weg, den ich gerade beschrieben habe, nicht wiederfindet. Das ist ein reiner Etikettenschwindel.

Müsste das nicht auch der Minister wissen?

Gassen: Ich denke, er hat er den Vorschlag noch nicht im Detail geprüft. Wenn er das macht, wird er natürlich erkennen, dass das keine Entbudgetierung ist, wie er sie versprochen hat. Der Minister hatte ja zusätzlich bei einem Empfang gesagt, er will die Entbürokratisierung vorantreiben. Das hier wäre das dramatische Gegen­teil.

Hofmeister: Es wird als Gegenargument immer bemüht, dass es so nicht zu einer Überzahlung kommen kann. Nehmen wir als Beispiel das ambulante Operieren, das in der Pandemie verboten wurde. Die Leistungen sind extrabudgetär und von einem auf den anderen Tag waren keine Einnahmen mehr da.

In der extrabudgetären Vergütung kann es erst recht nicht zur Überzahlung kommen, da pro Leistung bezahlt wird. Außerdem fehlen ohnehin Kinderärzte, wie soll es da zu einer großen Leistungsausweitung kommen? Aber zumindest würden wirklich alle Leistungen bezahlt, die die Ärztinnen und Ärzte erbringen. Das wäre ein großer Gewinn.

Wenn man jetzt dennoch weiterdenkt, was wünschen Sie sich für die weiteren Fachgebiete?

Gassen: Unsere Forderungen sind seit langem bekannt. Wenn der Minister nun sagt, wir stellen Pädiater wirk­lich extrabudgetär, dann begrüßen wir das. Das wäre der erst Schritt in die richtige Richtung. Entbudgetierung ist ja kein Hexenwerk. Leistungen, die erbracht werden, werden dann vollständig bezahlt.

Klingt selbstverständlich – ist in der ambulanten Versorgung aber in weiten Teilen eben nicht normal. Diese Forderung gilt für alle Fachgruppen. Wenn man mit den Pädiatern beginnen will, dann könnte man das so machen. Aber: Die Vorschläge jetzt sind keine Vorschläge für eine Entbudgetierung.

Hofmeister: Und natürlich verstehen das die Kolleginnen und Kollegen. Jeder, der sich mit dem Thema befasst, versteht das, ich setze voraus, auch die Mitarbeitenden im Bundesgesundheitsministerium. Und nehmen wir mal an, man würde den jetzigen Vorschlag auch für die Hausärzte umsetzen. Wie will man denn bei diesen Vorwegabzüge machen? Da müsste man den ganzen Topf so stellen. Wovon wird man es abziehen?

Dann werden sich die Fachärzte fragen, ob das wie beim Notfalltopf doch auch von ihrem Geld abgezogen wird. Woher füllt sich denn dieser Topf? Man muss nur an Hamburg oder Bremen denken, da ist dieser Topf nur zu 80 Prozent gefüllt. Wenn ich auch nur annähernd sicherstellen will, dass die Kolleginnen und Kollegen rechtzeitig ihr Geld bekommen, dann muss ich den Topf auffüllen, nur woher denn?

Dann ist das politische Versprechen, wir geben euch mehr Geld und bekommen mehr Leistungen schwierig?

Hofmeister: So einfach ist es nicht, aber es geht vor allem auch um die Attraktivität der Niederlassung ins­gesamt. Warum lässt sich jemand nieder? Warum möchte man wieder angestellt sein? Das regelt einfach der Markt. Das Mindeste ist doch, dass man den Kolleginnen und Kollegen sagt, ihr bekommt das bezahlt, was ihr arbeitet und nicht, dass ihr in manchen Teilen massiv abgewertet werdet.

Und Mehrarbeit geht ohnehin nicht, weil es physisch nicht mehr leistbar ist. Damit es eine Stabilisierung bei der Niederlassungszahl gibt und damit es kein Rätselraten mehr gibt, wie viel man umsetzt. Daher muss eine richtige Entbudgetierung her – für alle Arztgruppen.

Gassen: Die Pädiater sind insgesamt sehr stark ausgelastet. Es geht also darum die Pädiater über eine gesi­cher­te vollstän­dige Bezahlung zu ermuntern noch eine Schippe draufzulegen. Kurz gesagt: Leistung muss sich lohnen. Da Mehrarbeit aber nicht beliebig geht, wird auch klar: Es wird nicht um gigantische Summen gehen, so dass es kein großes finanzielles Risiko ist.

Mit was für einem Preisschild rechnen Sie denn? Der Spifa hat schon Berechnungen angestellt.

Hofmeister: Wir kommen da nicht auf groß andere Zahlen. Zum Beispiel rechnen wir ähnlich wie der Spifa bei den Hausärzten nur mit 60 bis 70 Millionen Euro jährlich bundesweit, um wirklich alle Leistungen zu bezah­len. Und das ist gemessen an den Summen, über die wir sonst reden, oder auch im Kontext bei den Kranken­häusern spre­chen, eine Kleinigkeit.

Und da gibt es so gut wie kein Leistungsausweitungspotenzial, da sie an der Grenze dessen arbeiten, was sie persönlich leisten können, was sie überhaupt noch für Teams haben und was die Plausibilitätszeiten herge­ben.

Wenn wir weiterdenken würden: Brauchen wir den Gesetzgeber für eine Entbudgetierung?

Gassen: Selbstverwaltung ist ja kein Selbstzweck. Es ist ganz einfach: Solange der Gesetzgeber Budgets fest­legt, ist die logische Folge, dass die Leistungen nicht vollständig bezahlt werden. Wenn das gesetzgeberischer Wunsch ist, nimmt man eben auch in Kauf, dass die ambulante Versorgung sukzessive schlechter wird, da die Praxen langfristig nicht wirtschaftlich tragfähig sind.

Das ist dann aber nicht schicksalhaft, sondern eine bewusste politische Entscheidung. Man sollte dann nur keine Krokodilstränen vergießen, wenn es zunehmend weniger Praxen gibt, die die Menschen in unserem Land versorgen.

Hofmeister: Die Krankenkassen werden nie selbst etwas ausbudgetieren. Im Bewertungsausschuss herrscht Stimmenparität. Der Unparteiische wird ohne gesetzliche Grundlage niemals eine Ausbudgetierung entschei­den wollen und können. Das würde weit über das hinausgehen, was er politisch verantworten will. Daher kann eine Entbudgetierung nur der Gesetzgeber anstoßen. Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) wird nie freiwillig sagen, die Pädiater tun uns leid, wir machen das jetzt so.

© mis/bee/aerzteblatt.de
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