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Politik

Suizidbeihilfe: Warnung an den Bundestag

Dienstag, 7. März 2023

/nmann77, stock.adobe.com

Bonn – In der Debatte um eine Neuregelung der Suizidhilfe haben Fachleute den Bundestag vor einem Irrweg gewarnt. Gefragt sei ein klares Signal an die Gesellschaft, dass Suizide kein normaler Ausweg aus schweren körperlichen und psychischen Problemen werden dürften, mahnten der frühere Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio, die Medizinethikerin Christiane Woopen und der Palliativmediziner Lukas Radbruch gestern Abend bei einer Podiumsdiskussion im Bonner Münster.

Wenn das Parlament, wie in den drei vorliegenden Gesetzentwürfen vorgesehen, Leitplanken, Beratungs­pflich­ten und zeitliche Fristen für einen freiverantwortlichen Suizid festlege, werte es die Selbsttötung – wenn auch ungewollt – zum Normalfall und Standardausweg auf.

Das Thema elektrisiert: Erstmals hatten die katholische Kirche in Bonn und der Lehrstuhl für Moraltheologie der Katholisch-Theologischen Fakultät zu einer gesellschaftlichen Debatte in die katholische Hauptkirche Bonns eingeladen. Mehr als 700 Besucher sorgten für eine überfüllte Basilika, mehr als 300 Interessierte verfolgten zudem den Livestream im Internet – ein überwältigender Zuspruch.

Der Anlass für die Veranstaltung: Der Bundestag will noch in diesem Jahr ein Gesetz zur Suizidbeihilfe ver­abschieden. Zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen, also auf Wie­derholung angelegten Suizidhilfe aufgehoben und zugleich ein weitreichendes Grundrecht auf selbst­be­stimmtes Sterben, unabhängig von Alter oder Krankheit formuliert.

Dabei sollen Suizidwillige auch auf die Hilfe Dritter zugreifen können. Zugleich legten die Richter dem Ge­setz­geber nahe, Missbrauch durch Schutzkonzepte zu verhindern. Niemand solle zur Selbsttötung gedrängt werden können.

Sowohl Di Fabio als auch Woopen machten deutlich, dass das Bundesverfassungsgericht das Parlament in ein schweres Dilemma gestürzt habe. „Der Bundestag ist nicht zu beneiden“, sagte Di Fabio.

Woopen, frühere Chefin des Europäischen Ethikrates, äußerte grundsätzliche Zweifel, ob ein Gesetz, bei dem „Checklisten“ mit Beratungspflichten oder zeitlichen Fristen abgehakt werden müssten, überhaupt die richtige Antwort auf so individuelle Notlagen sei. Auch Karlsruhe habe den Bundestag nicht zu einer rechtlichen Regelung gezwungen.

Di Fabio bekundete die Sorge, dass der Bundestag mit neuer Bürokratie und neuen Beratungsgremien einen falschen Weg einschlage, um die Autonomie der Menschen zu schützen. Sinnvoll wäre aus seiner Sicht ledig­lich, zu verhindern, dass aus der Beihilfe zur Selbsttötung ein Geschäftsmodell wird.

Auch Radbruch, der Ärztlicher Direktor für Palliativmedizin am Uniklinikum Bonn ist, mahnte, der Gesetz­geber dürfe nicht bei einer „Art Checkliste“ enden, die für einen Suizid abgearbeitet werden müsse. Schwerst­kranke Menschen brauchten keine Beratung zum Suizid, sondern intensive Begleitung.

Die Palliativmedizin kenne viele Mittel, um Leiden zu verhindern und auch seelische Not aufzufangen. Häufig sei der Sterbewunsch sehr schwankend und zunächst nur ein Signal dafür, dass die Menschen über ihre Situ­ation reden wollten. Es komme nicht selten vor, dass sie im Verlauf eines Gesprächs vom Todeswunsch abrückten, und schließlich „heilfroh sind, dass sie es nicht umgesetzt haben“.

Einig waren sich die Fachleute, dass Deutschland dringend eine bessere Suizidprävention benötige. Es sei eine gesamtgesellschaftliche und auch kirchliche Aufgabe, etwa Sterbenskranken beizustehen und Menschen aus der Vereinsamung zu holen, sagte der Bonner Hochschulpfarrer Stefan Buchs.

Woopen sprach sich für mehr Therapieplätze, eine bessere Gesprächsausbildung für Ärzte oder bauliche Maß­nahmen wie das Sichern von Hochhäusern und Brücken aus. Die Medizinethikerin bezeichnete es als Skandal, dass es in vielen Altenheimen keine palliativmedizinischen Angebote und Hospizdienste gebe.

Auch Di Fabio und Radbruch appellierten an die Politik, einen gesetzlichen Rahmen und ausreichend Geld zur Verfügung zu stellen, damit die Gesellschaft Menschen in schwierigen Situationen Hilfe anbieten und Ge­sprächs­räume öffnen könne. © kna/aerzteblatt.de

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