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Politik

Lob und Kritik für Lauterbachs Digitalstrategie

Donnerstag, 9. März 2023

/MQ-Illustrations, stock.adobe.com

Berlin – Die heute vorgestellte Digitalstrategie des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) hat ambivalente Reaktionen rund um die elektronische Patientenakte (ePA) und Datennutzungsfragen hervorgerufen. Während die Krankenkassen die Pläne grundsätzlich begrüßten, warnte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) davor, die ePA „überhastet“ anzustoßen.

Die ePA müsse sowohl die Sicherheit der Patientendaten gewährleisten als auch eine praktikable Befüllung und einen einfachen Zugriff auf die in der Akte abgelegten Daten sicherstellen, betonte Klaus Reinhardt, Prä­sident der Bundesärztekammer (BÄK). Zudem müssten valide Daten für Versorgungs- und Forschungszwecke abrufbar werden. Hier fehle der Digitalstrategie eine Umsetzungsstrategie mit konkreten Vorschlägen für die Opt-Out-Regelung.

Man brauche jetzt Strukturen und Prozeduren, welche Datensicherheit, die Einhaltung ethischer Standards und die Wahrung der Grundrechte von Patienten beim Datenhandling, der Verarbeitung und dem Datenzu­gang gewährleisten. „Das ist aufwändig, aber eben auch notwendig, wenn wir zu langfristig tragfähigen Re­­gelungen kommen wollen“, so Reinhardt.

Die KBV-Vorstände Andreas Gassen, Stephan Hofmeister und Sibylle Steiner betonten, man müsse Ziele, Ab­läufe und die Versorgungsrealität in den Praxen ausreichend einplanen und abbilden. „Es kann Gründe dafür geben, jeden Versicherten mit einer elektronischen Patientenakte auszustatten, sofern dieser dem nicht aktiv widerspricht (Opt-out). Das derzeitige Vorgehen von Politik und gematik erinnert jedoch fatal an die Fehler der vergangenen Jahre bei der Digitalisierung, in denen Anwendungen teilweise unausgereift als verbindlich erklärt wurden.“

Mit Blick auf die noch fehlenden konkreten inhaltlichen Vorgaben, die daraus abgeleiteten technischen Fest­legungen und ihre datenschutzkonformen Implementierungen in den IT-Systemen, sei das erklärte Ziel einer verpflichtenden Einführung ab 1. Juli 2024 „für jeden erkennbar unrealistisch“. Es müsse unbedingt vermieden werden, so der KBV-Vorstand, dass die ePA als Folge unrealistischer Termine unausgereift durchgesetzt und die Akzeptanz bei Ärztinnen und Ärzten sowie Patienten nachhaltig beschädigt werde.

Krankenkassen für verpflichtende Dateneinspeisung

„Die elektronische Patientenakte hat das Potenzial, zum Herzstück eines digital modernisierten Gesundheits­wesens zu werden. Wir unterstützen das Vorhaben, sie künftig allen gesetzlich Versicherten obligatorisch zur Verfügung zu stellen“, kommentierte hingegen Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, die Pläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).

Aktuell böten alle Krankenkassen ihren Versicherten bereits die Nutzung einer ePA an. Selbstverständlicher Teil der Gesundheitsversorgung könne die ePA aber erst werden, wenn ihre Nutzung durch einen „einfachen und möglichst intuitiven Zugang alltagstauglich ausgestaltet“ wird. Hierzu erwarte man „möglichst schnell“ rechtliche Vorgaben. Wichtig sei zudem die verpflichtende Befüllung der ePA durch die Ärzte – nur so könne sie die medizinische Versorgung unterstützen.

„Entscheidend ist, dass die Änderungen nicht nur auf dem Papier gut klingen, sondern auch zügig Einzug in den Praxisalltag finden. Wir brauchen dringend eine schnelle Umsetzung“, sagte Jens Baas, Vorstandsvorsit­zender der Techniker Krankenkasse, zur vorgelegten BMG-Strategie. Die Opt-Out-Regelung allein werde die Nutzung der ePA in den Arztpraxen aber nicht steigern. Die digitale Akte müsse technisch einfach zu bedie­nen sein und vor allem bei jedem Arztbesuch automatisch befüllt werden.

Ähnlich argumentieren der Verband der Ersatzkassen (vdek) und der AOK-Bundesverband. Das geplante Opt-Out-Verfahren sei eine „notwendige Voraussetzung“ für die Etablierung der ePA, so der vdek. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, sprach im Zusammenhang mit der Opt-Out-Regelung von einem „Zentralschalter zur Beschleunigung“.

„Dem Bürger darf nicht die Kontrolle über seine medizinischen Informationen entzogen werden. Denn Schwei­gen bedeutet nicht Zustimmung“, sagte dazu Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patien­ten­schutz. Technisch nicht versierte Menschen dürften zudem in ihren Rechten nicht beschnitten werden. „Dazu gehören mehr als 20 Prozent der über 65-Jährigen“, betonte Brysch.

Die Opt-Out Lösung stehe „voll im Prinzip der Eigenverantwortung und stärkt die Mitbestimmungsrechte der Patientinnen und Patienten“, so Maximilian Funke-Kaiser, Berichterstatter in der FDP-Bundestagsfraktion für Digitalisierung im Gesundheitswesen. Grundsätzlich mache die Digitalisierungsstrategie deutlich, welchen wichtigen Stellenwert die Digitalisierung endlich auch im Gesundheitswesen einnehmen muss.

Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Dagmar Schmidt, betonte, mit den vorgestellten Plänen halte Lauterbach Wort und stelle „die Weichen für ein modernes Gesundheitssystem“. Mit der ePA – die man „für jede und jeden datensicher und einfach zu bedienen“ umsetzen werde – würden die Versicherten zu „mündigen Partnern in der Behandlung“.

Die Widerspruchslösung stelle angesichts des hohen Nutzens für die Patientenversorgung einen verhältnis­mäßi­gen Weg dar, argumentierte Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen. Versicherte hätten selbst­verständlich die Möglichkeit sich gegen die Nutzung der ePA zu entscheiden. Aus seiner Sicht sei die neue Opt-out ePA „nicht weniger als ein Meilenstein zum Patientempowerment und zur Stärkung der Patienten­rechte“. Man sei daher in der Pflicht, über die Konsequenzen einer Nicht-Nutzung aufzuklären.

„Wichtig ist jetzt vor allem, dass die Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung gesteigert wird. Aktuell können sich sechs von zehn Deutschen vorstellen, die elektronische Patientenakte zu nutzen – das ist noch zu wenig, kann aber durch gute Aufklärungsarbeit und maximale Transparenz in der Kommunikation gesteigert werden“, be­tonte Achim Berg, Präsident des IT-Branchenverbands Bitkom. Politik und Akteure des Gesundheitswesens seien gemeinsam gefordert, offen und für die Breite der Gesellschaft gut verständlich zu kommunizieren.

Krankenhäuser mahnen nachhaltige Finanzierung an

Die Kernpunkte der Digitalisierungsstrategie des BMG unterstütze man ausdrücklich, sagte Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Die Einführung einer Opt-Out-Lösung könne dazu beitragen, die Vorteile digital verfügbarer Dienste für die Versorgung greifbar zu machen.

Voraussetzung für die Umsetzung der Regelung sei, dass die Versicherten umfassend über ihre Rechte und den Nutzen der Opt-Out-ePA und der Gesundheitsdatennutzung informiert würden. Zudem müsse die ePA benutzerfreundlich gestaltet werden und technische Lösungen für alle Bevölkerungsgruppen anbieten.

Wichtig für die Krankenhäuser sei auch, finanzielle Grundlagen zu schaffen, um die in der Digitalisierungs­strategie genannten Ziele umzusetzen. Gerade die Umsetzung der ePA verursache in den Krankenhäusern, bezogen auf Interoperabilität und Sicherheit der Daten, enormen Aufwand, so Gaß.

Die Betriebskostenfinanzierung digitaler Lösungen sei nach wie vor ungelöst – deshalb blicke man gespannt auf die Frage, wie die Umsetzung dieser Digitalisierungsbeschleunigung finanziell sichergestellt wird.

„Wichtig ist: Die Digitalisierung muss nachhaltig umgesetzt werden. Dazu gehört auch, die entstehenden Be­triebs- und Personalkosten im System abzubilden. Sonst verpufft der Impuls des Krankenhauszukunftsfonds, ohne dauerhaft für eine Verbesserung der Versorgung zu dienen“, betonte der DKG-Vorstandsvorsitzende.

Jens Scholz, erster Vorsitzender des Verbandes der Universitätsklinika Deutschlands (VUD), verwies darauf, dass andere Länder Deutschland bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens längst überholt hätten – hier bestehe „eindeutig noch Nachholbedarf“. Die ePA noch mal neu anzugehen, bringe „neuen Schwung“. „Dieser Schub für die Gesundheitsversorgung wird sich in einer zukünftig reformierten Krankenhauslandschaft noch verstärken.“

„Der Erfolg der Digitalisierung und ihres Kernprojekts, der elektronischen Patientenakte, wird davon abhän­gen, ob diese im Versorgungsalltag Nutzen stiftet oder nur bürokratische Belastungen schafft“, hieß es von der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK).

„Wir hatten uns von der Digitalisierungsstrategie des Bundesgesundheitsministeriums erhofft, dass hier zen­trale Fragen beantwortet werden“, sagte BPtK-Prsident Dietrich Munz. „Gerade weil wir das Ziel einer weiteren Verbesserung der Versorgung teilen, sind wir enttäuscht, dass erneut die Chance verpasst wurde, tragfähige Rahmenvorgaben für die Umsetzung der Digitalisierung zu setzen.“

Beispielsweise fehle jede Aussage dazu, welche Daten auf welchen Wegen in die elektronische Patientenakte gelangten – ein Thema, das gerade für Menschen mit psychischen Erkrankungen und die sie behandelnden Psychotherapeuten von zentraler Bedeutung sei.

Auch werde postuliert, dass in Zukunft jeder Mensch von Geburt an eine elektronische Patientenakte (ePA) haben soll. Die damit verbundenen Fragen der Zugriffsrechte von Kindern, Jugendlichen und Eltern werden jedoch nicht einmal erwähnt. Die Liste weiterer unbeantworteter Fragen sei lang. © aha/aerzteblatt.de

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