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Politik

Lauterbach will Selbstverwaltung in der Gematik entmachten

Donnerstag, 9. März 2023

www.gematik.de/

Berlin – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) plant offenbar die vollständige Entmachtung der gemein­samen Selbstverwaltung bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Aus der Gematik soll künftig eine bun­deseigene Digitalagentur werden. Die Selbst­verwaltung könnte dann keine Rolle mehr spielen.

„Die Gesellschaft für Telematik (Gematik GmbH) wird zu einer Digitalagentur in 100 % Trägerschaft des Bun­des weiterentwickelt und in ihrer Handlungsfähigkeit gestärkt“, heißt es in einer heute veröffentlichten Mit­teilung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) für eine neue Digitalstrategie und zwei neue Digital­gesetze.

Das Ministerium hält bisher bereits Gesellschafteranteile in Höhe von 51 Prozent an der Gematik. Weitere Ge­sellschafter sind etwa die Bundesärztekammer (BÄK), die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), der GKV-Spit­zen­ver­band und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV).

Während das Ministerium somit heute schon im Alleingang Entscheidungen fällen kann, sitzen die Ärzte und Krankenkassen aber noch mit am Tisch. Für die Zukunft könnte der Umbau bedeuten, dass die Selbstverwal­tung bei Digitalisierungsfragen außen vor bleibt.

Die genaue Ausgestaltung des Vorhabens aus dem Ministerium ist aber noch unklar. In einer heute vorgeleg­ten Digitalstrategie des Ministeriums heißt es dazu, die Nutzerorientierung werde in der Digi­talagentur zu­künftig an erster Stelle stehen.

Dazu erhalte sie die Verantwortung für die Digitalisierung von Ende-zu-Ende-Prozessen sowie den Auftrag, umfassende Vorgaben zur Interoperabilität verbindlich festzulegen. Das positive Nutzererlebnis von TI-An­wen­dungen werde zum Zulassungskriterium. Außerdem stärke man die Eigenständigkeit der Digitalagentur durch eine um­fassende Neuaufstellung der Governance, heißt es weiter.

Stimmen der Praktiker entfallen

Aus Sicht der Bundesärztekammer ist es richtig und zu unterstützen, dass der Fokus der Gematik zu­künftig auf die Nutzerorientierung gelegt und endlich digitale Anwendungen mit einem echten medizini­schen Mehrwert entwickelt werden sollten, wie BÄK-Präsident Klaus Reinhardt betonte. Es sei aber „absurd“, dass nun ausge­rechnet diejenigen Akteure vollständig aus der Gematik gedrängt werden sollten, die sich seit vielen Jahren für genau diese Ziele einsetzten.

„Um es klar auszudrücken: Schon bisher kann das Bundesgesundheitsministerium über die Mehrheit seiner Gesellschafteranteile in der Gematik alle Entscheidungen treffen. Geholfen hat das wenig, weil man nicht ausreichend auf die Praktiker der Versorgung gehört hat. Nun möchte man diese Stimmen offenbar ganz ausblenden“, sagte Reinhardt.

Damit drohe sich zu verschärfen, was schon bisher gegolten hätte. Es gebe ein Problem bei der Qualität der Entwicklung und Testung der digitalen Anwendungen und deren Umsetzung durch entsprechende Software. Diese Probleme ließen sich nur lösen, wenn diejenigen in die weitere Ausarbeitung einbezogen würden, die tagtäglich mit diesen Anwendungen arbeiteten.

„Wir glauben nicht, dass es sinnvoll ist, zentrale Akteure wie die Ärzteschaft, die Krankenhäuser, Apotheken und die Krankenkassen im Rahmen der Verstaatlichung der Gematik von der Trägerschaft dieser zentralen Institution für die Weiterentwicklung der Digitalisierung des Gesundheitswesens auszuschließen“, sagte auch Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes.

Der Blick auf andere staatliche Digitalisierungsprojekte, wie beispielsweise das Bürgerportal, stimme „leider nicht optimistisch“. Man gehe davon aus, dass eine eventuelle künftige Gematik als staatliche Institution auch vom Staat finanziert werde, sagte Pfeiffer.

Der Verband der Ersatzkassen (vdek) lehnt eine Verstaatlichung der Gematik ab. Der Staat bestimme und die gesetzliche Krankenversicherung solle zahlen – so gehe das nicht, sagte Jörg Meyers-Middendorf, Abwesen­heitsvertreter der vdek-Vorstandsvorsitzenden. „Eine Digitalagentur muss von der gemeinsamen Selbstver­wal­tung getragen werden, damit die Interessen der Versicherten, Leistungserbringer und Beitragszahler adäquat vertreten werden.“

Aus Sicht des Verbandes der privaten Krankenversicherung (PKV-Verband) hat die Gematik in den vergange­nen drei Jahren Tempo gemacht und große Fortschritte bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens erzielt. „Dieser Schwung sollte jetzt nicht durch eine Organisationsdebatte gebremst werden“, sagte PKV-Verbandsdi­rektor Florian Reuther.

Der digitale Wandel sei nur dann erfolgreich, wenn Akzeptanz und Umsetzungsbereitschaft bei allen Beteilig­ten bestünden. „Eine Staatsbehörde, die auch aus staatlichen Mitteln zu finanzieren wäre, hilft da nicht wei­ter“, sagte Reuther.

Die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) kritisierte die verkündete Entscheidung. „Bereits 2019 hat das BMG 51 Prozent der Anteile der Gematik übernommen. Jetzt wird der letzte Schritt zur vollständigen Kontrolle vollzo­gen“, sagte Jürgen Herbert, BZÄK-Vorstandsreferent für Telematik.

Das könne man „konsequent finden“. Ob der Verzicht auf die Expertise der Leistungserbringerorganisationen allerdings zu Verbesserungen führe und die Akzeptanz der Telematik bei Zahnärzten, Ärzten und Apothekern erhöhe sei „äußerst fraglich“.

Die KBV und die DKG wollten sich heute noch nicht inhaltlich zur Umwandlung der Gematik positionieren. Man wolle erst die Details abwarten, hieß es etwa von der KBV. Im Übrigen habe das Ministerium schon die Mehrheit und könne im Prinzip alleine erscheinen.

Rückendeckung erhielt Lauterbach aus der Ampelkoalition. „Der aktuelle Aufbau führt vor allem zur gegen­sei­ti­gen Blockade der Selbstverwaltungsorgane und bremst damit einen agilen, flexiblen und schnellen Arbeits­fluss der Gematik aus“, sagte Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag.

Es brauche einen zentralen handlungsfähigen Schiedsrichter im System, der eine koordinierende Funktion übernehme, ein einheitliches Regelwerk aufstelle und ein architektonisches Konzept für einen nationalen Gesundheitsdatenraum erarbeite, der „endlich nutzenbringende Funktionen ermöglicht und an den europäi­schen Gesundheitsdatenraum anschlussfähig ist“. © may/afp/aerzteblatt.de

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