Vermischtes
Mediensucht: Kinder und Jugendliche doppelt so häufig betroffen wie vor der Coronapandemie
Dienstag, 14. März 2023
Berlin – Rund 2,2 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland sind gefährdet, mediensüchtig zu werden oder sind bereits abhängig – und das mit steigender Tendenz. Das geht aus der heute veröffentlichten Befragung der DAK-Gesundheit und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) als Teil einer Längsschnittstudie hervor.
Vor allem Computerspiele und Social Media sind demnach für die Gefährdung verantwortlich – streamingsüchtig sind der Umfrage zufolge etwas weniger Jugendliche. Laut der Erhebung war im Sommer 2022 etwa jedes 16. Kind abhängig von Sozialen Medien und Computerspielen. Hochgerechnet betreffe das gut 600.000 Jungen und Mädchen, so die DAK.
Das Marktforschungsinstitut Forsa befragte für die Studie etwa 1.200 Familien mit Kindern von 10 bis 17 Jahren zwischen September 2019 und Juli 2022 insgesamt fünfmal zu ihrer Nutzung von Computerspielen, Sozialen Medien und Streamingdiensten.
Im Vergleich zu 2021 Suchtverhalten weiter gestiegen
Während die Sucht nach Computerspielen 2019 noch 2,7 Prozent der Befragten betraf, waren es im vergangenen Jahr 6,3 Prozent. Damit hat sich die Zahl auch im Vergleich zum Vorjahr 2021 weiter erhöht. Hier zeigten 4,1 Prozent der Befragten ein pathologisches Nutzungsverhalten. Weiterhin sind zwei von drei Computerspielsüchtigen Jungen, allerdings nimmt der prozentuale Anteil der Mädchen leicht zu.
In Sozialen Netzwerken ist das Suchtverhalten zwischen Mädchen und Jungen etwa gleich verteilt. Es hat sich von 3,2 auf 6,7 Prozent mit rund 350.000 Betroffenen erhöht. Auch hier ist die Zahl im Vergleich zu 2021 um mehr als ein Prozent gestiegen.
„Die Ergebnisse unserer Studie machen erneut deutlich, dass die andauernde COVID-19-Pandemie unseren Umgang mit digitalen Medien nachhaltig verändert hat und dass insbesondere Kinder und Jugendliche unter den Einschränkungen litten“, sagte Rainer Thomasius, ärztlicher Leiter am Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) im UKE.
Seit November 2020 untersucht die Studie auch das Streamingverhalten von Kindern und Jugendlichen. Im Vergleich zum Jahr 2021 ist hier anders als bei der Nutzung von Social Media und Computerspielen ein Rückgang zu beobachten. Im Juni 2022 streamten die Befragten an einem durchschnittlichen Werktag 107 Minuten Videos und Serien.
Die Zahlen liegen damit auf einem ähnlichen Niveau wie 2020 (104 Minuten) und deutlich niedriger als 2021 (170 Minuten). 2022 hatten 2,4 Prozent der Kinder und Jugendlichen ein pathologisches Nutzungsverhalten in diesem Bereich, rund 733.000 der Kinder und Jugendlichen ein riskantes. Das entspricht rund 126.000 Betroffenen.
Körperliche Auswirkungen
Exzessive Mediennutzung hat auch körperliche Auswirkungen auf die Kinder- und Jugendlichen: Ein Drittel der Befragten berichtete nach mehrstündiger Nutzung von digitalen Geräten über Nackenschmerzen. Etwa ein Viertel hat der Umfrage zufolge trockene oder juckende Augen und knapp 17 Prozent gaben an, Schmerzen im Unterarm oder der Hand zu haben.
Als mediensüchtig gilt nach Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO), wer über den Zeitraum von einem Jahr die Kontrolle über sein Nutzungsverhalten verloren hat, sich aus anderen Lebensbereichen zurückzieht und das Verhalten auch dann fortsetzt, wenn sich negative Folgen wie etwa gesundheitliche Beeinträchtigungen zeigen. Davon abzugrenzen ist die riskante Mediennutzung, die den WHO-Kriterien zufolge nicht den Zeitraum von mindestens einem Jahr beinhaltet.
Der Vorstandsvorsitzende der DAK-Gesundheit, Andreas Storm, warnte vor einer „Generation Mediensucht“ und forderte den Ausbau von Präventions- und Hilfsangeboten für Betroffene. Dafür sieht er drei Ansatzpunkte. So bräuchten Eltern, Lehrer und Sozialarbeiter in Schulen Hilfestellungen. Storm verwies dafür auf ein zwei Informationsbroschüren der DAK für Angehörige und für Betroffene selbst sowie auf die Internetseite www.mediensuchthilfe.info des UKE.
Ein zweiter wichtiger Ansatz seien die von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) geplanten Mental Health Coaches. In einem Pilotprojekt sollen dafür Fachkräfte an circa 100 Schulen Kinder und Jugendliche bei mentalen Problemen unterstützen. Storm hofft, dass sie nach zwei bis drei Jahren flächendeckender eingesetzt werden könnten.
Gaming Branche mitverantwortlich
Als dritter Ansatzpunkt müsse die Gaming Branche mehr in die Pflicht genommen werden. Hier spielten sogenannte Lootboxen eine wichtige Rolle. Dabei handelt es sich um „Meist kostenpflichtige Überraschungsboxen in Online-Spielen führen Kinder und Jugendliche an die Mechanismen des klassischen Glücksspiels heran“, heißt es von der DAK.
In Österreich seien Lootboxen kürzlich gerichtlich als illegales Glücksspiel eingestuft worden. „Wir brauchen auch in Deutschland eine politische Debatte über bessere Mechanismen zur Regulierung von suchtförderndem Potenzial in Computerspielen und sozialen Medien“, sagte Storm.
Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) stellte neben Präventionsmaßnahmen auch die Relevanz von Früherkennungsprogrammen in den Vordergrund: „Ebenso wichtig ist aber auch die Früherkennung von Mediensucht, beispielsweise durch ein Mediensuchtscreening in der Kinder- und Jugendarztpraxis.“ © mim/aerzteblatt.de

Nachrichten zum Thema


Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.