Politik
Entbudgetierung, Blutspende, UPD-Reform: Der „Omnibus“ ist angekommen
Donnerstag, 16. März 2023
Berlin – Der Bundestag hat heute eine Reihe von Reformvorhaben im Gesundheitswesen mit Stimmen der Ampelkoalition und gegen das Votum von Union und AfD verabschiedet. Die Linke enthielt sich. Zu den Vorhaben gehört auch die Entbudgetierung der Kinder- und Jugendmedizin, bei der es in letzter Minute noch eine Änderung gegeben hat. Zunächst sollte es nur um die Reform der Unabhängigen Patientenberatung (UPD) gehen, aber nach und nach wurden immer mehr Gesetzesvorhaben an die Novelle angehängt.
Das Gesetz wurde zum Omnibus. Beschlossen wurden nun unter anderem die Entbudgetierung des „Versorgungsbereichs der Kinder- und Jugendmedizin, die gegenüber Patienten erbracht werden, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben“, die extrabudgetäre Vergütung von bestimmten Leistungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Änderungen bei den Blutspenderegeln und ein Neuanfang für die Unabhängige Patientenberatung (UPD) sowie eine Regelung zum Austausch von Arzneimitteln in der Apotheke.
Zunächst hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplant, lediglich die allgemeinen pädiatrischen Leistungen zu entbudgetieren. Aus der Formulierung der „Leistungen der allgemeinen Kinder- und Jugendmedizin“ machten die Parlamentarier der Ampelkoalition gestern kurzfristig die Entbudgetierung der „Leistungen im Versorgungsbereich der Kinder- und Jugendmedizin“.
Das dürfte bedeuten, dass im Gegensatz zu den bisherigen Plänen auch spezielle Leistungen der Pädiatrie wie etwa die pädiatrische Onkologie und Hämatologie eingeschlossen sind. Eine genaue Definition der etwas unscharfen Formulierung findet sich aber weder im Gesetz noch in der Gesetzesbegründung. Hausärzte dürften von der Formulierung nicht umfasst sein.
Die Entbudgetierung der pädiatrischen Leistungen soll über Berechnungen innerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) erfolgen. Der Bewertungsausschuss soll ein Verfahren zur Anpassung des Honorarvolumens als Teil der MGV festlegen.
Die Kinder- und Jugendärzte zeigten sich zufrieden. „Die Entbudgetierung ist angesichts eines zunehmenden Mangels an Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzten ein Meilenstein für eine größere Versorgungssicherheit für Kinder und Jugendliche“, sagte der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Thomas Fischbach. Man begrüße, dass zukünftig auch die schwerpunktpädiatrischen Leistungen von Budgetkürzungen und Mengenbegrenzungen verschont bleiben sollten.
„Der Wermutstropfen bei der gefundenen Lösung ist die starke Rolle des Bewertungsausschusses. Wir hoffen auf ein transparentes Verfahren, das dafür sorgt, dass die vom Gesetzgeber gewünschte Besserstellung der Pädiatrie auch in unseren Praxen ankommt“, sagte Fischbach.
Bei den Änderungen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie geht der Gesetzgeber einen Weg, den sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) auch für die pädiatrischen Leistungen gewünscht hätte. Künftig sollen die Grundversorgung sowie ausgewählte diagnostische und therapeutische Leistungen wie etwa Gesprächs-, Beratungs- und Betreuungsleistungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie zu festen Preisen der regionalen Euro-Gebührenordnungen außerhalb der MGV – sprich extrabudgetär – vergütet werden.
Sicherstellung der medizinischen Versorgung
„Mit dieser Entbudgetierung gehen wir einen von vielen wichtigen Reformschritten, um eine gute medizinische Versorgung in Deutschland zu sichern“, sagte Johannes Wagner (Grüne), Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestags. Endlich bekämen die Kinderärztinnen und Kinderärzte all ihre Leistungen vollständig bezahlt. Es sei notwendig, den Beruf wieder attraktiv zu machen.
„Wir haben es geschafft, den Versorgungsbereich von mengenbegrenzenden Maßnahmen bei der Honorarverteilung herauszunehmen. Jetzt wird endlich das bezahlt, was an Behandlungen stattfindet“, sagte Andrew Ullmann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag. Das könne man als „partielle Entbudgetierung“ ansehen.
Man sei auch zufrieden, dass ausgewählte Leistungen aus dem Bereich der Kinder- und Jugendpsychatrie außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung noch im Laufe der Verhandlungen dazugekommen seien, betonte Ullmann weiter. „So sollte der Maßstab für kommende leistungsgerechte Vergütungen im fachärztlichen Bereich aussehen, damit mehr ambulante Leistungen angeboten werden können.“
Katrin Helling-Plahr (FDP) erklärte heute im Bundestag, man könne „alte Fehler nicht weghexen, aber jetzt gute Rahmenbedingungen schaffen“. Sie zeigte sich erfreut, dass Leistungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie nun in großen Teilen extrabudgetär vergütet werde.
Heike Baehrens, gesundheitspolitische Sprecherin (SPD) bekräftigte, Kinder- und Jugendärzte könnten sich künftig ohne finanzielle Sorgen um ihre Patientinnen und Patienten kümmern und bekämen künftig ihre volle Leistung bezahlt. Dass der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte diese Entbudgetierung als „Meilenstein“ feiere, zeige, dass der Weg richtig sei.
Neue Blutspenderegeln
Das Gesetz sieht weiter Anpassungen im Transfusionsgesetz und damit Neuerungen bei der Blut- und Plasmaspende vor. Spendewillige Personen sollen künftig nicht mehr aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität von der Spende ausgeschlossen werden.
Derzeit dürfen Personen mit einem Sexualverhalten, das ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt, erst vier Monate nach Beendigung dieses Verhaltens Blut spenden.
Beispielsweise dürfen Männer, die Sex mit Männern haben, nur dann Blut spenden, wenn sie in den zurückliegenden vier Monaten keinen Sexualverkehr mit „einem neuen oder mehr als einem Sexualpartner“ hatten.
Stattdessen soll die Spenderauswahl laut Gesetz künftig auf Grundlage einer individuellen, diskriminierungsfreien Risikobewertung erfolgen. Zudem soll die Höchstaltersgrenze für Blutspende aufgehoben werden und der Einsatz von telemedizinischen Verfahren bei der ärztlichen Betreuung der Blutspende ermöglicht werden.
Allerdings müssen diese Regelungen erst noch in der zugrundeliegenden Richtlinie Hämotherapie beschlossen werden, für die die Bundesärztekammer (BÄK) federführend verantwortlich ist. Zuletzt hatte die BÄK diese im Einvernehmen mit dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) sowie unter Beteiligung von Bundesgesundheitsministerium (BMG) und Robert-Koch-Institut im Jahr 2021 geändert.
Mit der Gesetzesänderung verpflichtet der Bund die BÄK, die Richtlinie innerhalb von vier Monaten entsprechend zu ändern. Sollte die BÄK diese Änderung nicht vornehmen, kann das BMG dies per Ersatzvornahme, also per Rechtsverordnung, tun. Das BMG muss zudem die Auswirkungen der Regelungen zwei Jahre nach Inkrafttreten der neuen Richtlinie evaluieren.
Allein wissenschaftliche Erkenntnisse sollten zählen
Die BÄK betonte allerdings, dass aus Gründen der Sicherheit der Patienten allein wissenschaftliche Erkenntnisse und Daten Grundlage von Richtlinien in der Medizin sein dürften. Die bestehende Richtlinie sichere die Ziele, die Bevölkerung gesichert und sicher mit Blutprodukten zu versorgen sowie Blut und Blutbestandteile sicher zu gewinnen, so die BÄK.
Die Aufhebung der Altersgrenze erfordere zudem eine differenzierte Betrachtung auch im Hinblick auf EU-rechtlichen Vorgaben und insbesondere die Sicherheit der Blut spendenden Person, betonte die Kammer weiter.
„Den Ansatz, die Altersgrenze für Spenderinnen und Spender ohne vorangehende differenzierte Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Evidenz aufzuheben, kann die Bundesärztekammer nicht nachvollziehen“, heißt es in einer entsprechenden Stellungnahme. Darüber hinaus sei in Einzelfällen bereits ein Abweichen von der Altersgrenze möglich. Diese Grenze gilt für Erstspender derzeit ab 60 Jahre und für Wiederholungsspender ab 68 Jahre.
Dass das Ministerium bemächtigt wird, die Verordnungen selbst zu ändern, sieht die BÄK ebenfalls kritisch. „Die Richtlinie Hämotherapie fasst den ermittelten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis zusammen und empfiehlt die daraus abzuleitenden Verfahrensweisen.“
Skeptisch ist die BÄK auch bei den Plänen, dass telemedizinische Untersuchungen bei der Blutspende möglich sein sollen. Schwerwiegende oder lebensbedrohliche Komplikationen im Rahmen einer Blutspende seien zwar sehr selten, aber niemals völlig auszuschließen. Deshalb dürften Blutspenden nicht ohne ärztliche Präsenz durchzuführen sein.
UPD-Stiftung ist das Kernstück
Kernstück des Gesetzes ist die Neuaufstellung der UPD als Stiftung bürgerlichen Rechts. Damit geht der Weg weg von einer Ausschreibung, die zuletzt ein privatwirtschaftlich geführtes Unternehmen gewonnen hatte.
„Die Unabhängige Patientenberatung leistet mit ihrem Informations- und Beratungsangebot einen wichtigen Beitrag, um sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden“, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Unabhängige Informationen seien essenziell, damit Patienten ihre Interessen wahrnehmen könnten. „Mit dem Gesetz wird die UPD in eine staatsferne und unabhängige Struktur unter Beteiligung der maßgeblichen Patientenorganisationen überführt“, so der Minister.
Der GKV-Spitzenverband soll sich um den Aufbau der Stiftung kümmern und diese auch zu großen Teilen finanzieren. Ab dem 1. Januar 2024 soll die Stiftung jährlich einen Gesamtbetrag in Höhe von 15 Millionen Euro erhalten. Die Private Krankenversicherung (PKV) kann sich, wie sie es schon bisher getan hat, mit einem Finanzvolumen von sieben Prozent freiwillig an der Finanzierung der Stiftung beteiligen. In diesem Falle reduziert sich der vom GKV-Spitzenverband zu tragende Betrag entsprechend.
Ob das Gesetz noch ein Nachspiel haben wird, ist unklar. Die Krankenkassen hatten bemängelt, dass sie zwar die Stiftung finanzieren sollen, aber kaum Mitspracherechte haben. Sie sehen das Modell nicht als verfassungskonform an, wie mehrere Kassenverbände erklärt hatten. Der richtige Weg sei eine Finanzierung aus Steuermitteln, so die Kassen.
Organe der Stiftung sind der Stiftungsvorstand, der Stiftungsrat und der wissenschaftliche Beirat. Der Stiftungsvorstand besteht aus zwei hauptamtlichen Mitgliedern. Der Stiftungsrat setzt sich aus 14 beziehungsweise 15 Mitgliedern zusammen, aus den Bereichen Patientenvertretung, Bundesregierung, Parlament, GKV-Spitzenverband und bei Fortsetzung der freiwilligen finanziellen Beteiligung auch der PKV.
Der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Patienten soll dem Stiftungsrat vorstehen. Der wissenschaftliche Beirat besteht aus sechs unabhängigen Sachverständigen, die bei grundsätzlichen Fragen beraten. Die UPD berät Bürger in rechtlichen, medizinischen und psychosozialen Gesundheitsfragen.
Struktur der UPD-Stiftung umstritten
Martina Stamm-Fiebich (SPD), die sich seit Jahren für einen Neuanfang in Stiftungsform eingesetzt hat, zeigte sich heute erfreut. Sie sprach von einem guten Tag für Patienten und einem echten Fortschritt. Die Bundestagsabgeordnete rief in Erinnerung, wie viel Kritik es an der bisherigen UPD in privatwirtschaftlicher Hand gegeben habe.
„Die Kritik reichte von mangelnder Vernetzung über Zweifel an der Unabhängigkeit bis hin zum übermäßigen Abfluss von Fördermitteln“, sagte sie. Nun gebe es eine Struktur, die eine Beratung ohne Einflussnahme von Dritten ermögliche.
Der Politiker Hubert Hüppe (CDU) warf der Ampelkoalition eine Verschleppung und Fehler bei der Finanzierung vor. So habe der GKV-Spitzenverband angekündigt, gegen das Gesetz zu klagen. Eine Steuerfinanzierung wäre aus Sicht der Union der richtige Weg gewesen. Auch benötige ein Aufbau der Stiftung Zeit. Die sei nicht mehr in ausreichendem Maße vorhanden.
Die Bundestagsabgeordnete Kathrin Vogler (Linke) erklärte, es sei gut, dass die UPD in eine Stiftung überführt werden solle und die Privatisierung der UPD zurückgenommen werde. Dennoch sei die Reform „gut gemeint, aber schlecht gemacht“.
Der Zeitdruck hätte nicht sein müssen, hätte der Gesundheitsminister den Entwurf nicht „verplempert“, monierte sie. Es fehle zudem wirkliche Unabhängigkei der Stiftung. So sei der GKV-Spitzenverband mit dem Aufbau und an der Finanzierung beteiligt. Das hätten der wissenschaftliche Dienst des Bundestags wie auch die Kassen als verfassungswidrig eingestuft. Die Einflussmöglichkeiten der Kassen auf die Stiftung lehne man entschieden ab.
Mit dem Gesetz sind noch weitere Vorhaben auf die Schiene gesetzt worden. Um Lieferengpässen bei Arzneimitteln vorzubeugen, soll die erweiterte Austauschmöglichkeit für Apotheken nach der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung bis Ende Juli 2023 verlängert werden. Damit dürfen Apotheken, wenn das auf der Grundlage der Verordnung abzugebende Arzneimittel in der Apotheke nicht vorrätig ist, ein in der Apotheke vorrätiges wirkstoffgleiches Arzneimittel abgeben.
Darüber hinaus erhalten die Krankenhäuser die Verordnungsmöglichkeit für Krankenfahrten im Rahmen der neuen Tagesbehandlung.
Zur Vorbereitung politischer Entscheidungen und gesetzlicher Regelungen zur Krankenhausversorgung und -finanzierung, insbesondere auch im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Krankenhausreform, wird vorgesehen, dass das Bundesministerium für Gesundheit auf die besondere Expertise des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) in Bezug auf die Auswertung von Daten zurückgreifen kann. © may/cmk/aerzteblatt.de

Nachrichten zum Thema





Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.