Ärzteschaft
Debatte über Notaufnahmegebühr entbrannt
Mittwoch, 12. April 2023
Berlin – Mit Gedankenspielen über eine Gebühr für Patienten, die künftig ohne vorherige telefonische Ersteinschätzung die Notaufnahme aufsuchen, hat der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, eine Debatte angestoßen.
„Wer weiterhin direkt in die Notaufnahme geht, ohne vorher die Leitstelle anzurufen, muss gegebenenfalls eine Notfallgebühr entrichten, denn das kostet die Solidargemeinschaft unterm Strich mehr Geld und bindet unnötig medizinische Ressourcen“, hatte Gassen den Zeitungen des Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) gesagt.
Es werde immer argumentiert, derartige Gebühren seien unsozial, sagte der KBV-Chef. „Unsozial ist in meinen Augen jedoch, den Notdienst unangemessen in Anspruch zu nehmen und damit das Leben anderer Menschen zu gefährden", sagte er. „Wer noch selbst in eine Notaufnahme gehen kann, ist oft kein echter medizinischer Notfall.“
Kritik kommt von allen Seiten
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wies den Vorschlag zurück. „Wir diskutieren gerade mit der Regierungskommission Krankenhaus sehr intensiv, wie wir die Notfallversorgung in Deutschland neu strukturieren wollen“, sagte Lauterbach heute vor der Bundespressekonferenz.
Eine Gebühr für diejenigen, die Notfallstellen berechtigterweise oder nicht berechtigterweise in Anspruch nehmen, werde in diesem Rahmen aber nicht diskutiert. „Daher wird der Vorschlag von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung keine Umsetzung finden“, betonte der Minister.
Als „irreführend und gefährlich“ bezeichnete der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen den Vorstoß. „Menschen mit einem akuten medizinischen Problem müssen sich darauf verlassen können, dass ihnen unabhängig vom Geldbeutel in der Notaufnahme jederzeit geholfen wird“, sagte er.
Schon heute fänden vielerorts Menschen mit einfachen medizinischen Problemen wochenlang keinen Termin in einer Arztpraxis. „Die derzeit lückenhafte, insbesondere hausärztliche Grundversorgung lässt manches medizinische Problem überhaupt erst zum Notfall werden.“
Statt den Kliniken Vorschläge für Notaufnahmestrafgebühren zu machen, sollten die Versorgung durch Haus- und Kinderärzte gestärkt und Angebote wie Rund-um-die-Uhr-Hausbesuchsdienste und telemedizinische Notfallbehandlungen durch die Vertragsärzte ausgebaut werden.
Dahmen ergänzte, auch der Ausbau der Versorgung von Notdienstpraxen in den Notaufnahmen müsse jetzt Vorrang haben. „Mit der anstehenden Notfallreform werden wir im Bund hier für mehr Verbindlichkeit sorgen.“
Dietmar Bartsch, Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Bundestag, äußerte ebenfalls Kritik. Notaufnahmen seien hoffnungslos überlastet, aber Patienten dafür den Schwarzen Peter in die Schuhe zu schieben, grenze an Schäbigkeit, schrieb der Politiker auf Twitter. Er forderte einen „180-Grad-Schwenk weg vom Profitdenken in der Gesundheitspolitik“. Krankenhäuser müssten sich nicht in erster Linie rechnen, sondern müssten Menschen gesund machen.
Für Menschen in Not dürfe es keine Rolle spielen, welche Nummer man wähle oder wo man sich im Gesundheitswesen hinbegebe. „Man muss Hilfe zu jedem Zeitpunkt an jedem Ort bekommen. Gebühren sind da patientengefährdend und führen in eine Sackgasse.“
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz lehnte eine Strafgebühr ebenfalls ab. Die Forderung sei unberechtigt, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. „Denn von massenhaftem Missbrauch der Notaufnahmen kann keine Rede sein. Schließlich würde sich fast jeder Zweite bei nicht lebensbedrohlichen Beschwerden an den ärztlichen Bereitschaftsdienst wenden.“
Patienten könnten die Schwere ihrer Symptome oft nicht deuten. Auch für Mediziner sei es nicht selten schwierig, eine fachfremde Diagnose zu stellen. „Deshalb müssen zunächst die Verbände der Kassenärzte ihre Hausaufgaben machen“, verlangte Brysch. Das gelte neben dem Ausbau und der Spezialisierung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes auch für ausreichende Öffnungszeiten der niedergelassenen Arztpraxen sowie das Angebot von Hausbesuchen.
Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sieht die Vorschläge kritisch. Wenn man über Sanktionierungen spreche, müsse zuerst einmal die Bedingungen erfüllt sein, die gewährleisten, dass alle Patienten in einer Notfallsituation ideal beraten und gesteuert würden, sagte der DKG-Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß.
Erst wenn diese Voraussetzungen durch die zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen geschaffen seien, kann man darüber nachdenken, ob man von Patienten eine Art Strafgebühr erhebe, die diese Beratung und Steuerung ignorierten und den direkten Weg in die Notfallambulanzen suchten.
Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, bezeichnete Gassens Vorschlag als überraschend. Nach ihrer Erfahrung verweise der ärztliche Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen erkrankte Menschen schnell an die Notaufnahmen, „da er offenbar personell nicht optimal aufgestellt ist.“
Auch Bentele lehnt eine Gebühr ab. „Was wir wirklich brauchen, ist eine Reform der Notfallversorgung, die zu einem einheitlichen und vor allem funktionierenden Verfahren führt. Es muss eine einheitliche Notfallnummer mit einer kompetenten Ersteinschätzung und einem klar festgelegten Verfahren für die weitere Behandlung geben“, forderte sie. © afp/dpa/kna/cmk/may/aerzteblatt.de

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