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Politik

Social Prescribing könnte Ansatz für Deutschland sein

Donnerstag, 20. April 2023

/visoot, stock.adobe.com

Berlin – Als eine erfolgversprechende Möglichkeit, soziale und emotionale Bedürfnisse von Patienten zu be­friedigen und Heilungsprozesse zu unterstützen, sehen Allgemeinmediziner das Social Prescribing. Dabei werden medizinische Behandlungen durch soziale Kontakte und Aktivitäten ergänzt, indem Fachkräfte der hausärztlichen Versorgung Maßnahmen verschreiben, die das soziale Miteinander fördern.

Um das Konzept des Social Prescribings der deutschen Öffentlichkeit vorzustellen und zu diskutieren, veran­staltete das Institut für Allgemeinmedizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin gestern die 1. Deutsche Social Prescribing Konferenz unter internationaler Beteiligung.

Etabliert ist Social Prescribing bereits in Großbritannien, aber auch in anderen Ländern stößt es zunehmend auf Interesse, beispielsweise in Österreich oder Kanada. Wolfram Herrmann, stellvertretender Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin und wissenschaftlicher Leiter der Veranstaltung, beschäftigt sich seit 2016 mit Social Prescribing.

„Damals habe ich auf dem europäischen Allgemeinmedizinkongress in Kopenhagen davon gehört“, berichtet er dem Deutschen Ärzteblatt am Rande der Konferenz. „Jetzt beschäftigen wir uns forschend mit dem Thema, so haben wir letztes Jahr eine systematische Übersichtsarbeit zu Interventionsstudien mit Social Prescribing veröffentlicht.“

Social Prescribing ist in Großbritannien „eine Erfolgsgeschichte“, wie auf der Konferenz gestern deutlich wurde, obwohl dieser in England mit vielen Problemen kämpft. Inzwischen ist das Social Prescribing im britischen Gesundheitssystem (NHS) flächendeckend implementiert.

Dort wird Social Prescribing von Fachkräften der Primärversorgung (zum Beispiel Hausärzte, Sozialarbeiter, Gemeindeschwestern, Krankenpfleger) dann verordnet, wenn sie einen verzögerten oder ausbleibenden Hei­lungserfolg bei Patienten beobachten und einen Bedarf hinsichtlich nicht medizinischer Bedürfnisse fest­stellen.

Die Fachkräfte überweisen die Patienten an sogenannte Link Worker, die in Abstimmung mit den Patienten nach nicht medizinischen, gesundheitsorientierten Maßnahmen und Aktivitäten im näheren Umfeld suchen und diese dahin vermitteln. Dieser Ansatz könnte auch in Deutschland funktionieren.

„Hausärzte sind für viele Menschen die erste Anlaufstelle bei gesundheitlichen Fragen. Medizinische Anliegen werden nicht selten von sozialen Nöten, wie Einsamkeit, sozialen Ängsten oder auch Armut begleitet, die ent­scheidend für die medizinische Versorgung sind“, sagte Christoph Heintze, Direktor des Instituts für Allge­mein­medizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin.

Für ihn sind die Erfahrungen aus England und anderen Ländern „ermutigend“. Sie zeigten, dass Link Worker, die konsiliarisch in Hausarztpraxen tätig werden, Patientinnen und Patienten vor Ort durch Beratungsgespräche unterstützen, um individuelle Lösungen für diese komplexe Probleme zu finden.

Für eine Implementierung in Deutschland sieht Herrmann allerdings drei große Herausforderungen: Erstens gebe es inzwischen zahlreiche sich teils überlappende Ansätze, soziale Probleme in der medizinischen Versor­gung anzugehen. Zwar habe Social Prescribing den Vorteil, bestehende Strukturen zu nutzen. „Jedoch ist un­klar, wer die Link Worker bezahlen würde.“

Herrmann ist jedoch optimistisch, dass es sich für gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) lohnen würde, Link Worker zu finanzieren, um damit die Inanspruchnahme des Gesundheitssystems und die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage zu senken.

Die dritte Herausforderung sei, dass es bisher noch keine Link Worker in Deutschland als Berufsbild gebe. „Jedoch konnten die Kollegen in anderen Ländern dieses Problem mit Schulungen gut lösen, so dass ich da optimistisch bin“, sagte er.

Auch Simone Borchardt (CDU) hält als Mitglied des Gesundheitsausschusses des Bundestages den Ansatz des Social Prescribing für Deutschland als „hervorragend geeignet.“ Das Konzept von Social Prescribing sei aus mehreren Gründen sehr zu begrüßen. Es mache Hoffnung, dass gerade durch niedrigschwellige Angebote die Gesundheit und daraus folgend, die Teilhabe gerade von älteren Menschen am gesellschaftlichen Leben ver­bessert werden könne.

„Als Leiterin einer Pflegeeinrichtung erfahre ich in Gesprächen immer wieder, wie wertvoll die Zeit am Patien­ten ist. Darüber hinaus hat die Pandemie uns gelehrt, wie wichtig der Kontakt zu Menschen für die eigene Ge­sundheit ist. Wir müssen als Gesellschaft wieder begreifen, dass Miteinander mehr in den Fokus zu rücken“, sagte sie. Das könne die Zeit am Patienten sein oder auch ehrenamtliche Strukturen.

Großes Potenzial sieht Borchardt auch im Bereich der Prävention. „Durch frühzeitige Angebote sozialer Inter­ak­tion die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger nachhaltig zu stärken, wäre für mich ein noch innovative­rer Ansatz. Die Möglichkeiten einer Implementierung der zugrunde liegenden Idee im Präventionsgesetz wäre zu prüfen“, erklärte sie.

Zusätzliches Geld und Personal seien angesichts der angespannten Finanzlage bei den Kassen und des Fach­kräftemangels sicherlich Hürden, räumte sie. Daher sei ein anderer Ansatz nötig: Angebote müssten so zuge­schnitten werden, dass diese weitestgehend im Stadium der Prävention greifen. Nur so könne ein echter Mehr­wert für die Gesellschaft geschaffen werden und sogar Kosten eingespart sowie eine Entlastung für die Beschäftigten im Gesundheitsbereich erreicht werden.

Eine mögliche Implementierung müsse nach Ansicht der Politikerin in jeden Fall bürgernah und lokal gedacht werden. Auch ein Andocken des Angebots an die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte hält sie für geeignet. „Wir müssen die Rolle des Allgemeinmediziners neu definieren und auch die Gelder an solche Stellen geben, wo sie effektiver sind“, sagte sie. Angebote von Seiten der GKV hält sie für weniger zielführend.

Auch Maike Grube von der Diakonie Deutschland hält eine Integration des Konzepts in multiprofessionelle Primärversorgungszentren für sinnvoll. Auch Gesundheits­kioske könnten wichtiger Anknüpfungspunkt sein. „Ein Link Worker sollte eine Tür neben dem Hausarzt sitzen“, sagte sie.

Die Finanzierung könnte nach ihrer Ansicht über einen Bundesfonds oder über die GKV erfolgen. Zu bedenken sei jedoch, dass nicht alle Menschen Zugang zur gesundheitlichen Regelversorgung in Deutschland hätten. Da müssten gesetzliche Regelungen geschaffen werden.

Anja Thiemann, Vorstandsmitglied des Hausärzteverbands Berlin und Brandenburg (BDA), wies insbesondere auf den Benefit von Link Workern in ländlichen Regionen hin. Momentan müssten Patientinnen und Patienten viel selbst organisieren. „In der Hausarztpraxis können wir da nur bedingt unterstützen“, sagte sie.

Die Hauptaufgabe sei die flächendeckende Primärversorgung. Um eine „Aufsplittung des Personals“ zu ver­meiden, müssten Link Worker nach ihrer Ansicht in das Praxispersonal integriert werden. © ER/aerzteblatt.de

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