Politik
„Wir müssen die Legalisierung als ein natürliches Experiment betrachten“
Freitag, 5. Mai 2023
Berlin – Die Legalisierung von Cannabis ist eines der Themen, das sich die Ampelkoalition für die bestehende Legislatur auf die Agenda gesetzt hat. Die ursprünglichen Pläne hat die Europäische Kommission bereits kritisch bewertet. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) muss nun in einem Gesetz nachbessern, damit die neue Drogenpolitik Bestand haben kann.
Helfen soll dabei ein wissenschaftliches Gutachten, das in dieser Woche vorgelegt worden ist. Das Deutsche Ärzteblatt sprach mit Projektleiter Jakob Manthey vom gemeinnützigen Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD Hamburg), der die Untersuchung geleitet hat.
5 Fragen an Jakob Manthey, ISD Hamburg
Erwarten Sie auf Basis der Studienergebnisse einen Anstieg von Psychosediagnosen nach einer Cannabislegalisierung?
Es ist wichtig festzuhalten, dass die Zahl der Krankenhausaufenthalte mit einer cannabisinduzierten Psychose als Hauptdiagnose seit mehreren Jahren ansteigt. Laut Destatis lag die Zahl der Hospitalisierungen für ICD-10 F12.5 im Jahr 2012 bei 10.142 und bereits bei 17.145 im Jahr 2021 – mit einem Höhepunkt kurz vor der COVID-19 Pandemie (19.846 im Jahr 2021).
Vor diesem Hintergrund nehme ich nehme an, dass wir auch weiterhin eine Zunahme sehen werden – egal ob etwas an der Gesetzgebung für Cannabis verändert wird oder nicht. Um den genauen Einfluss der Legalisierung abzuschätzen, lohnt ein Blick nach Nordamerika.
Die meines Erachtens robusteste Studie aus den USA zeigt, dass die Häufigkeit von Psychosediagnosen nicht signifikant durch die dortige Legalisierung angestiegen ist. Da Deutschland sich nicht an amerikanischen Modellen orientiert, sondern restriktiver regulieren wird, gehe ich davon aus, dass sich die Entkriminalisierung oder Legalisierung hierzulande nicht auf die Häufigkeit von Psychosediagnosen auswirken wird.
Laut Ihrer Studie gibt es Anzeichen, dass Menschen nach einer Legalisierung geringere Hemmungen haben, sich mit Problemen an medizinisches Fachpersonal zu wenden. Kann eine Cannabisfreigabe die psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung von Menschen mit problematischem Konsum stärken?
Nein, die Zahl der Notaufnahmen und Hospitalisierungen für akute und chronische Probleme bei Erwachsenen ist in einigen Studien leicht angestiegen. Was sich allerdings nicht verändert hat, ist die Zahl der Personen, die von selbst aktiv Therapie oder Beratung suchen – also jene Personen, die nicht von Strafverfolgungsbehörden zu Therapien gezwungen werden.
Tatsächlich gibt es auch Jahre nach der Legalisierung immer noch Anzeichen dafür, dass viele Personen Schwierigkeiten damit haben ihren Cannabiskonsum mit medizinischem Fachpersonal zu besprechen. Das liegt mitunter auch daran, dass über Jahrzehnte hinweg Cannabiskonsum grundsätzlich als gesundheitsschädigend abgelehnt wurde.
Um die derzeitige Stigmatisierung von Cannabiskonsum zu überwinden, braucht es öffentliche Informationskampagnen, die darüber informieren, was ein risikoreicher Konsum ist. Die Kampagnen sollten zielgruppengerecht gestaltet werden und das geht am besten, wenn die Zielgruppen bei der Erstellung mitwirken. Grundsätzlich würde ich mir wünschen, dass die Stimmen der Betroffenen mehr Gewicht bekommen.
Das umfasst sowohl diejenigen, die Cannabis seit Jahren konsumieren und keine Probleme entwickelt haben, als auch diejenigen, die eine Cannabisabhängigkeit entwickelt haben. Wenn sich diese Expertinnen und Experten mit Kommunikationswissenschaftlern an einen Tisch setzen, bin ich zuversichtlich, dass eine wirksame Kampagne zur Vermittlung der wissenschaftlichen Erkenntnisse entstehen kann.
Auch eine Fortbildung von Ärztinnen und Ärzten zu diesem Thema wäre sicherlich hilfreich, damit sie Konsumierenden helfen können ihren Konsum risikoarm zu gestalten.
Worauf sollten sich Psychotherapeuten bei der Legalisierung von Cannabis als Genussmittel einstellen und wie können sie sich vorbereiten?
Ich denke, dass der Gesetzgeber zuallererst die entsprechenden Grundlagen schaffen muss. Die ambulante Psychotherapie für eine Cannabisabhängigkeit wird derzeit zu selten praktiziert, da Patientinnen und Patienten einen Abstinenznachweis erbringen müssen. Das erhöht nicht nur die Hürden zur Aufnahme einer Therapie, sondern kann auch trotz Abstinenz aufgrund der langen Nachweiszeiten von THC zu einem Abbruch der Therapie führen.
Dieser Umstand führt dazu, dass viele Therapeutinnen und Therapeuten keine Patientinnen und Patienten mit einer Cannabisabhängigkeit aufnehmen. Das ist insofern problematisch, da die ambulante Psychotherapie aufgrund der minimalen somatischen Komorbiditäten eine geeignete Versorgungsoption für die Betroffenen darstellt.
Unabhängig davon existieren evidenzbasierte, manualisierte Programme zur psychotherapeutischen Behandlung von Cannabisabhängigkeit – etwa candis-projekt.de – und es bestehen Optionen zur Weiterbildung für interessierte Therapeutinnen und Therapeuten.
Wäre es aus Sicht des Gesundheitsschutzes besser gewesen, direkt einen regulierten Verkauf – möglicherweise mit staatlichem Monopol – einzuführen, statt zuerst die geplanten Cannabis Social Clubs?
Nein, die Legalisierung von Cannabis Social Clubs ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung und erlaubt Konsumierenden die Möglichkeit Cannabis legal und von sicheren Quellen zu beziehen. Das gleiche Ziel hätte ein staatliches Verkaufsmonopol.
Sicher hat letzteres gewisse Vorteile, wie etwa zentrale Planung der Verfügbarkeit und Preiskontrolle, aber Cannabis Social Clubs bieten auch Chancen zur Schadensminderung. Wichtig ist, dass Cannabis aufgrund der gesundheitlichen Risiken nicht als gewöhnliches Konsumgut betrachtet wird und daher auch entsprechende Regulierungen erforderlich macht. Die gleiche Geisteshaltung würde ich mir im Übrigen für Alkohol wünschen – hier wäre ein staatliches Verkaufsmonopol sehr zu begrüßen.
Welche Eckpunkte hätte eine Cannabislegalisierung, wenn es ausschließlich nach Ihnen ginge?
Als Gesundheitswissenschaftler schlage ich auf Basis der Erkenntnisse aus Nordamerika restriktive Regulierungsansätze vor, die sich vor allem am Gesundheitsschutz orientieren. Dazu gehört zum Beispiel eine Beschränkung kommerzieller Angebotsoptionen, wie zum Beispiel durch die Begrenzung von Verkaufslizenzen und ein umfassendes Verbot von Marketing.
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Natürlich gibt es aber auch viele andere wichtige Blickwinkel, die bei einer Legalisierung berücksichtigt werden sollten, zum Beispiel juristische, kriminologische, und wirtschaftliche Perspektiven.
Damit die Legalisierung wirklich gelingt, würde ich Expertinnen und Experten verschiedener Fachrichtungen an einen Tisch holen. In so einem demokratischen Expertenrat darf auch die Perspektive der Betroffenen nicht fehlen, denn die Cannabisprohibition hat zu vielen sozialen und rechtlichen Problemen geführt.
Unabhängig von den Eckpunkten, über die wir jetzt diskutieren, ist es ausschlaggebend, dass wir die Legalisierung als ein natürliches Experiment betrachten, welches nicht nach wenigen Jahren abgeschlossen ist. Die Industrialisierung im Rahmen eines legalen Marktes wird vermutlich zu neuen Produkten führen, die wir kritisch evaluieren und entsprechend regulieren müssen. Dieser Umstand erfordert also eine umfassende wissenschaftliche Begleitung dieses Vorhabens. © lau/may/aerzteblatt.de

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