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Medizin

„Die RNA-Technologie könnte das Versprechen der Gentherapie erfüllen“

Sonntag, 7. Mai 2023

Philadelphia/Mainz – Durch die Coronapandemie sind Arzneimittel, die auf der RNA (Ribonukleinsäure)-Technologie basie­ren, in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Besonders die Boten- oder messenger (m) RNA steht dabei im Fokus, da sie die Grundlage für die am meisten verwendeten COVID-19-Impfstoffe bildet. Doch nicht nur für Schutzimpfungen ist die RNA-Technologie geeignet, auch zum Beispiel Krebs- oder gene­tische Erkrankungen können oder könnten künftig Einsatzgebiete darstellen.

Eine der Wegbereiterinnen der RNA-Technologie ist Katalin Karikó, von Penn Medicine an der University of Pensylvania und externe Beraterin von Biontech. Sie forscht seit vielen Jahren daran und hat durch ihre Arbeit maßgeblich zu der Entwicklung von mRNA-Impfstoffen beigetragen. Das Deutsche Ärzteblatt hat mit ihr über den Weg dahin und mögliche weitere Anwendungen der RNA-basierten Arzneimittel über die Impfungen hinaus gesprochen.

5 Fragen an Katalin Karikó zu der RNA-Technologie und ihren Anwendungsmöglichkeiten

Durch die Coronapandemie hat die Entwicklung von Arzneimitteln, die auf der mRNA-Technologie basieren, einen deutlichen Schub erhalten. Innerhalb eines knappen Jahres standen COVID-19-Impfstoffe bereit. Wie war diese schnelle Entwicklung möglich?
Die Entwicklung der mRNA-basierten COVID-19-Impfstoffe geschah nicht über Nacht. Es gab einen sehr langen Vorlauf mit etwa 60 Jahren intensiver Forschungsarbeit. So versuchte man 20 Jahre lang mRNA zu isolieren und ihre Struktur herauszufinden.

Forschende an der Harvard University in Boston waren 1984 erstmals in der Lage, RNA im Labor herzustellen. Damit war ein wichtiger Schritt getan und im Verlauf der nächsten 20 Jahre wurden Experi­mente zur Entwicklung von Impfstoffen durchgeführt.

Vor circa 10 Jahren nutzten Wissenschaftler die mRNA-Technologie erstmals für einen Tollwutimpfstoff, der in Studien mit Menschen eva­luiert wurde. Durch Anwendung von Lipidnanopartikeln und weiteren Anpassungen der Vakzine ließ sich die Menge des benötigten Impfstoffes reduzieren.

Zu weiteren bereits am Menschen untersuchten mRNA-basierten Vakzinen zählten etwa Impfstoffe gegen die Vogelgrippe oder das Zikavirus. Beide waren dem späteren COVID-19-Impfstoff vergleichbar.

So waren wir Anfang 2020 bei der Entwicklung von mRNA-basierten Impfstoffen so weit, dass Studien zur Evaluierung der COVID-19-Impfstoffe mit Menschen starten konnten. Bis dahin hatte es Jahre gedauert, die präklinischen Studien waren abgeschlossen.

Für welche weiteren Infektionskrankheiten könnten mRNA-basierte Impfstoffe entwickelt werden?
Aktuell laufen Phase-3-Studien zum Einsatz von mRNA-basierten Impfstoffen etwa gegen Infektionen mit dem respiratorischen Synzytialvirus (RSV). Weiterhin werden mRNA-Vakzine gegen Influenza ebenfalls in Phase-3-Studien untersucht. Andere untersuchte Impfstoffe richten sich beispielsweise gegen das humane Immundefizienzvirus (HIV) oder das Herpes-simplex-Virus (HSV).

Weiterhin wird an mRNA-basierten Impfungen gegen Infektionen mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) und dem Zytomegalievirus (CMV) geforscht, für beide Impfstoffe haben klinische Studien begonnen. Darüber hinaus wird an einem Vakzin gegen das Nipahvirus gearbeitet, das vor allem in Südostasien verbreitet ist.

Doch nicht nur Viren stehen im Fokus der mRNA-Impfstoffforschung. So sollen Untersuchungen zu Vakzinen gegen Tuberkulose und Malaria starten. In präklinischen Studien, im Tiermodell, werden Impfstoffe gegen Borrelien, die die Lymeerkrankung hervorrufen, oder gegen Yersinia pestis evaluiert – mit vielversprechenden Ergebnissen.

Ein weiterer interessanter Aspekt sind multivalente Impfstoffe gegen Zeckenstich. Forschende nutzen hierbei 19, für verschiedene im Zeckenspeichel vorhandene Proteine kodierende mRNA. Diese Proteine helfen den durch Zecken übertragenen Erregern, sich im Wirtskörper auszubreiten. Als Tiere damit geimpft wurden, zeig­ten sich nach dem Zeckenstich Rötungen an der Einstichstelle, aber die Immunreaktion unterband die Aus­brei­tung der Erreger sofort.

Welches Potenzial bietet die mRNA-Technologie für die Therapie von Krebserkrankungen?
Derzeit wird ein mRNA-Vakzin in Kombination mit einer Immuntherapie zur adjuvanten Therapie des malig­nen Melanoms untersucht. Dabei handelt es sich um einen individuell zugeschnittenen Impfstoff, der spezi­fisch für die Betroffenen hergestellt wird, basierend auf dem Nachweis spezifischer Neoantigene im operativ entfernten Tumorgewebe.

Das können bis zu 34 spezifische Neoantigene sein. Die Produktion dieser personalisierten Vakzine kann zwi­schen 6 bis 7 Wochen dauern. Erste Ergebnisse eine Open-Label-Phase-2-Studie zeigen, dass das rezidivfreie Überleben verglichen mit Kontrollen ohne Impfung verlängert werden konnte. Phase-3-Studien sind not­wendig, aber die vorliegenden Ergebnisse geben Anlass zur Hoffnung. Wichtig ist, dass hierbei die Ursachen der Krebserkrankungen im Fokus stehen. Denn viele Krebserkrankungen beruhen auf gemeinsamen Tumorantigenen.

Weiterhin ließen sich zum Beispiel Proteine identifizieren, die normalerweise in den Tight Junctions vorhan­den sind und daher von Immunzellen nicht erkannt werden können. Aber sie werden von vielen Tumorzellen exprimiert. Diese Proteine bieten sich als Zielstruktur von Antikörpern an. Aktuell laufen zwei Humanstudien mit mRNA-Wirkstoffen, die für einen derartigen Antikörper beziehungsweise einen bispezifischen Antikörper ko­dieren. Letzterer bindet sowohl an T-Zellen als auch an Tumorzellen. Dadurch wird das Immunsystem aktiviert, sich gegen den Tumor zu richten.

Ein weiterer Ansatz ist die intratumorale Injektion von mRNA, die für Zytokine kodiert. Dieses Prinzip wurde in Tiermodellen erfolgreich getestet und es laufen derzeit Studien mit Menschen. Geeignet sind palpable und auf der Körperoberfläche befindliche Tumore, zum Beispiel maligne Melanome und Kopf-Hals-Tumore. Die injizierte mRNA führt zur lokalen Bildung der Zytokine, die wiederum das körpereigene Immunsystem gegen die Krebszellen aktiveren. Die Kombination aus der intratumoralen mRNA-Injektion und einem Checkpoint­inhibitor könnte die Immunantwort weiter verstärken.

Auch für die CAR (chimärer Antigenrezeptor)-T-Zelltherapie bietet die RNA-Technologie interessante Ansätze. So kann eine Kombination aus autologen, gegen das Protein Claudin-6 gerichteten CAR-T-Zellen und einem Claudin-6-kodierenden mRNA-Impfstoff, die CAR-T-Zellen verstärken. Dazu gibt es erste ermutigende Ergeb­nisse.

Gibt es neben den Schutzimpfungen und der Onkologie noch weitere mögliche Einsatzgebiete für Wirkstoffe, die auf der RNA-Technologie beruhen?
Die Einsatzmöglichkeiten RNA-basierter Substanzen scheint sehr vielfältig zu sein. So gibt es Arzneimittel, die eine für den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor (VEGF) A kodierende mRNA enthalten. Diese werden etwa für die Behandlung von nekrotischen Wunden bei Patienten mit Diabetes überprüft. Studienergebnissen zufolge unterstützen sie die Gefäßbildung und verstärken die Wundheilung.

Eine andere Anwendung ist die Injektion einer für VEGF-A kodierenden mRNA in den Herzmuskel von Patien­ten mit Herzinsuffizienz während einer Bypassoperation – mit Hinweisen auf eine bessere Herzfunktion ver­glichen mit Placeboinjektionen. Zudem gibt es Untersuchungen an Tiermodellen mit RNA-basierten Substan­zen zur Therapie der Erdnussallergie.

Darüber hinaus sind besonders genetische Krankheiten mögliche Einsatzgebiete von RNA-basierten Subs­tanzen. Bereits 2015 haben Drew Weissman und ich geschrieben, dass die RNA-Technologie das Versprechen der Gentherapie erfüllen könnte.

Zu den möglicherweise therapierbaren Erkrankungen gehören unter anderem die Propionazidämie und die Methylmalonazidämie – seltene angeborene Krankheiten. Weiterhin konnten Patienten mit hereditärer Trans­thyretinamyloidose erfolgreich behandelt werden. Durch die einmalige Injektion von mRNA, die für das Genomediting verwendete Enzym Cas9 und eine Leit-RNA kodiert, produzieren von dieser Amyloidose Betroffene nicht mehr das fehlgefaltete toxische Protein und scheinen nun seit zwei Jahren geheilt zu sein.

Welche Nachteile sind durch die Anwendung von RNA-Technologien möglich? Welche Nebenwirkungen können auftreten?
Es bestehen Bedenken hinsichtlich der Stabilität. Es gibt Anstrengungen, die Stabilität auch bei höheren Temperaturen zu erhalten – während der COVID-19-Pandemie zunächst ein wichtiges Thema. Da gab es viele Diskussionen. Letztlich ist eine Lagerungstemperatur von minus 70 Grad Celsius nur notwendig, wenn der mRNA-Impfstoff über viele Jahre aufbewahrt werden soll.

Die meisten Nebenwirkungen sind durch den Lipidanteil bedingt. Wieviel davon benötigt wird, hängt von der Menge der RNA ab. Wenn wir also in der Lage sind, mit weniger RNA mehr Protein zu erzeugen, sind weniger Lipidnanopartikel notwendig. Damit lässt sich auch die Rate an Nebenwirkungen senken.

Aber auch die Immunreaktion kann zu Aktivierung von bereits vorhandenen Problemen führen. So verstärken sich möglicherweise bereits bestehende Gelenkschmerzen durch eine Impfung mit einem mRNA-Vakzin. Als Gegenreaktion auf die Aktivierung des Immunsystems kann es zu einer Suppression des Abwehrsystems kommen, was, zwar selten, zum Beispiel die Entstehung einer Gürtelrose fördern kann. © aks/aerzteblatt.de

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