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Politik

„Wir müssen zu einer neuen Fehlerkultur kommen“

Donnerstag, 11. Mai 2023

Berlin – Die Organisation von Patienteninteressen ist in Deutschland sehr vielschichtig. Neben vielen Verbän­den, Vereinen, einzelnen Aktivistinnen und Aktivisten gibt es seit 2004 gesetzlich festgelegt einen Patienten­beauf­tragten der Bundesregierung.

Seit Januar 2022 hat Stefan Schwartze (SPD) dieses Amt inne. Im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt spricht er über seine Aufgabe sowie die Pläne für ein neues Patientenrechtegesetz, das noch in dieser Legis­latur auf den Weg gebracht werden soll.

5 Fragen an Stefan Schwartze (SPD), Patientenbeauftragter der Bundesregierung

Wenn man auf die unterschiedlichen Ebenen der Vertretung von Pa­tienteninteressen schaut – welche Rolle haben Sie als Patientenbe­auftragter der Bundesregierung?
Das Amt des Patientenbeauftragten ist per Gesetz beschrieben. Dem­nach vertrete ich die Interessen von Patientinnen und Patienten in­nerhalb der Bundesregierung und versuche sie auch in die parla­mentarischen Prozesse einzubringen.

Das ist eine wichtige Rolle, dessen Bedeutung in unserem Gesund­heitssystem durch die gesetzliche Verankerung noch einmal ver­deutlicht wird. Ich verstehe mein Amt auch als Ansprechpartner für Selbsthilfegruppen, Patientenorganisationen oder Betroffene und versuche, auch deren Anregungen in die Politik einzubringen. Deshalb bildet der Austausch mit den Patientenorganisationen einen Schwerpunkt meiner Arbeit.

Viele Patientenorganisationen, seien es die im G-BA oder auch klei­nere Organisationen, haben das Problem mit der Ehrenamtlichen Arbeit im Gesundheitssystem. Sie haben aus ihrer Sicht kaum Möglichkeiten, sich in ihrer Freizeit adäquat in die Gesundheitspolitik einzumischen. Ande­ren fehlen schlicht die finanziellen Mittel, sie greifen dann auf die Unterstützung von pharmazeutischen Unternehmern zurück. Kann Politik hier Verbesserungen herbeiführen?
Im kommenden Jahr feiern wir 20 Jahre Beteiligungsrechte und Patientenvertretung im G-BA. Das wollen wir zum Anlass nehmen, die Patientenvertretung zu stärken. Das ist auch im Koalitionsvertrag so vereinbart. Allein im G-BA sind über 280 Patientenvertreterinnen und -vertreter in 80 Ausschüssen tätig, die von elf Hauptamtlichen koordiniert werden. Eine ohne Frage professionelle Struktur, aber keine besonders große.

Verbesserungen bedarf es deshalb an mehreren Stellen: Wir brauchen eine Stärkung der hauptamtlichen Struktur, die die Ehrenamtlichen besser als bisher unterstützen kann und dabei hilft, die hoch komplexe Arbeit in den Gremien zu koordinieren und zu bewältigen.

Die häufig im Ehrenamt tätigen Patientenvertreterinnen und- vertreter können gar nicht die Zeit aufbringen, die eine hauptamtlich tätige Person oft zur Verfügung hat. Außerdem brauchen wir eine Stärkung bei den Weiterbildungs- und Schulungsangeboten, mit einem Schwerpunkt auf die Einarbeitung zu den Strukturen bis hin zu den politischen Rahmenbedingungen.

Herausfordernd sind dabei auch die methodisch wissenschaftlichen Fähigkeiten, die in den Bewertungspro­zessen des G-BA sehr nötig sind. Wir müssen die Patientenvertretung stärken, damit Sie auch in Zukunft eine unabhängige Sicht der Patientinnen und Patienten einbringen kann. Nur kurz am Rande: ich kenne auch Gruppen, die mit ihrer finanziellen Abhängigkeit transparent und kritisch umgehen.

Das Patientenrechtegesetz ist nun zehn Jahre alt. Vieles wurde seitdem auf dem Weg gebracht. Nun soll es eine Novelle geben, hat Gesundheitsminister Lauterbach angekündigt. Wie weit sind die Arbeiten daran?
Vor zehn Jahren war das Patientenrechtegesetz ein Meilenstein. Der Behandlungsvertrag ist immerhin der zweithäufigste Vertrag, der in Deutschland geschlossen wird. Nach einem Jahrzehnt sollten nun Verbesserungen angegangen werden. Es gibt beispielsweise die Ausgangslage, dass Betroffene nachweisen müssen, dass für den gesundheitlichen Schaden allein der Behandlungsfehler ursächlich ist und zwar mit der Wahrscheinlichkeit der vollen richterlichen Überzeugung – das sind mehr als 90 Prozent.

Wir diskutieren derzeit darüber, wie man dieses Beweismaß reduzieren kann. In der gesundheitlichen Versor­gung werden immer Fehler passieren, denn wo Menschen arbeiten, kommt es zu Fehlern. Mir als Patienten­beauftragter geht es daher um eine möglichst hohe Patientensicherheit.

Wir müssen zu einer neuen Fehlerkultur kommen, in der offen über Fehler gesprochen werden kann. Nur so kann daraus gelernt und vor allem die Strukturen auf ihre Fehleranfälligkeit überprüft werden. Daher wollen wir ein Never-Event-Register für besonders gravierende Fehler einführen, in dem diese Fälle anonymisiert erfasst und daraus Lehren für das ganze System gezogen werden können.

Wir wollen nicht einzelne Personen, Häuser oder Praxen an den Pranger stellen. Vielmehr sollten diejenigen, denen ein Fehler passiert ist, in dieser Situation nicht alleine gelassen werden. Sie sollten Unterstützung bekommen, damit der Fehler nicht noch einmal passiert. Das ist ein wichtiger Punkt, durch den die Patientensicherheit nachhaltig gestärkt wird und damit auch die Patientenrechte.

Der Anspruch auf eine Behandlung nach dem aktuellen medizinischen Standard beinhaltet auch, dass sie fehlerfrei ist. Für Gerichtsverfahren möchte ich deshalb, dass die Informations- und Einsichtsrechte verbessert werden. Aus der Patientenakte muss ersichtlich werden, wann welcher Eintrag gemacht, was geändert wurde und was vorher dort stand.

Für ein Gerichtsverfahren sollten auch alle Dienstpläne, OP-Pläne, Hygienepläne bis hin zu technischen Protokollen für unsere hochmoderne Gerätemedizin zur Verfügung stehen, wenn dies entscheidungsrelevant ist. Diese Informationen können bei der Bewertung helfen, ob überhaupt ein Gerichtsverfahren angestrebt wird.

Als weiteren Punkt diskutieren wir einen geplanten Härtefallfonds mit gedeckelten Ansprüchen. Eins vorweg: Es soll damit nicht das Haftungsrecht abgeschafft werden, er soll also nicht haftungsersetzend sein. Nach meiner Vorstellung soll der Fonds insbesondere in dem Zeitraum zwischen den ersten Auswirkungen eines möglichen Behandlungsfehlers bis zu einer gerichtlichen Entscheidung in Anspruch genommen werden können.

Ist die gerichtliche Entscheidung getroffen und es ist klar, dass es einen Behandlungsfehler gab, dann muss der Verursacher auch den Aufwand des Härtefallfonds tragen. Kommt das Gerichtsurteil zu dem Ergebnis, dass der Schaden schicksalhaft war, übernimmt der Härtefallfonds.

Dieser sollte aber auch die Härten auffangen, die einen Menschen treffen, wenn der Beruf nicht mehr ausge­übt werden kann oder eine Umschulung notwendig wird. Letztlich werden wir aber auch darüber diskutieren müssen, ob die Gelder für den Härtefallfonds aus Steuermitteln oder aus der gesetzlichen Krankenversiche­rung finanziert werden.

Wie sieht ihr Zeitplan für das Gesetz aus?
Wir, meine Geschäftsstelle und ich als Patientenbeauftragter, planen nach dem Auftakt am 27. Februar 2023 weitere Fachveranstaltungen zu spezifischen Patientenrechten, auch um Öffentlichkeit herzustellen. Und wir üben da auch freundlich, ruhig und gelassen Druck auf die Bundesministerien, mit der Novelle weiterzukommen.

Wie bewerten Sie das Engagement der Ärzteschaft in den letzten zehn Jahren seitdem das Patientenrechte­gesetz in Kraft ist?
Man hat in der Ärzteschaft definitiv dazugelernt, aber es gibt auch Verbesserungsmöglichkeiten. Nur ein Bei­spiel: Betroffene berichten mir immer noch, dass es weiterhin schwierig ist, Einsicht in die Patientenakte zu erlangen, obwohl das Einsichtsrecht klar gesetzlich geregelt ist.

Ich wünsche mir, dass sich auch bei der Fehlerkultur etwas ändert und sie besser wird. Die Offenheit und Kommunikation im Falle eines Fehlers muss gefördert werden. Das stärkt aus meiner Sicht das Vertrauen, das Miteinander zwischen Ärzteschaft und Patientinnen und Patienten sowie die Patientenzufriedenheit. Und auf Dauer stärkt das auch unser Gesundheitssystem. © bee/aerzteblatt.de

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