Ärzteschaft
Junge Ärztinnen und Ärzte wollen im Team arbeiten
Montag, 15. Mai 2023
Essen – Die Zukunft liegt in einer interprofessionellen und teamorientierten Patientenversorgung. Darin waren sich heute die Teilnehmenden beim „Dialogforum Junge Ärztinnen und Ärzte“ im Vorfeld des 127. Deutschen Ärztetages in Essen einig.
Angesichts der Herausforderungen in der medizinischen Versorgung – Zunahme chronischer Erkrankungen, Multimorbidität, Pflegebedürftigkeit – sei diese Teamarbeit nach Ansicht vieler mittlerweile sogar unabdingbar, wie bei der von der Bundesärztekammer organisierten Veranstaltung „Besser (be)handeln im Team“ deutlich wurde.
So wünscht sich ein Großteil der nachwachsenden Ärztegeneration verstärkt kooperative Formen der Zusammenarbeit und eine Arbeitsteilung mit anderen im Gesundheitswesen tätigen Berufsgruppen in Teammodellen.
Ihre Ansichten und Meinungen zu integrieren, sei ein wesentliches Anliegen für die Bundesärztekammer und nicht nur ein „Feigenblatt“, betonte Ellen Lundershausen, Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, die als Schirmherrin das jährlich stattfindende Dialogforum eröffnete.
Eine Live-Umfrage unter den etwa 150 Teilnehmenden vertiefte diesen Ansatz. Ihr zufolge können sich 65 Prozent der angehenden und jungen Ärztinnen und Ärzte medizinische Versorgungsangebote durch Physician Assistants (PA) oder Community Health Nurses im Vorfeld einer ärztlichen Versorgung vorstellen.
Sogar 71 Prozent wären bereit, zur ärztlichen Entlastung Aufgaben auch dauerhaft an andere Berufe abzugeben, gab Pedram Emami, Präsident der Ärztekammer Hamburg, bekannt, der das Forum als Moderator leitete. Und auf die Frage an die Teilnehmenden, ob Veränderungsbedarf bei der Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen in ihrem persönlichen Arbeitsumfeld bestehe, erhielt er von 87 Prozent der Befragten Zustimmung.
Kompetenzen und Verantwortlichkeiten festlegen
Mira Faßbach, Mitglied im Ausschuss „Junge Ärztinnen und Ärzte, ärztliche Arbeitsbedingungen“ der Ärztekammer Nordrhein und Mitglied im Bündnis junger Ärztinnen und Ärzte, überraschen solche Ergebnisse nicht. „Interdisziplinäre, teamorientierte Zusammenarbeit ist im Klinik- und Praxisalltag längst Realität. Damit sind wir groß geworden“, sagte sie. Es müsse aber bekannt sein, wer welche Kompetenzen und Verantwortlichkeiten habe. „Dies muss festgelegt und auch klar kommuniziert werden.“
Zum Bedauern der jungen Ärzte gibt es derzeit jedoch nur wenige Konzepte und Strukturen, die die interprofessionelle Zusammenarbeit im Gesundheitswesen regeln. Hinderlich sei oft auch das traditionell gewachsene Hierarchieverständnis, kritisierte Melissa Camara Romero, Co-Vorsitzende des Ausschusses „Junge Ärztinnen und Ärzte, ärztliche Arbeitsbedingungen“ der Ärztekammer Nordrhein. Bei der jüngeren Ärztegeneration seien die Hierarchien flacher geworden, man duze sich mit den Angehörigen der anderen Gesundheitsberufe und schaue, wie die jeweiligen Kompetenzen am besten umgesetzt werden könnten.
„Wir lernen interprofessionelle Zusammenarbeit in der Regel durch Vorbildfunktionen in den vielen Praktika, angefangen vom Pflegedienstpraktikum über die Famulaturen und das Praktische Jahr“, sagte Camara Romero. Doch häufig fehlten diese Rollenbilder noch. Sie persönlich könne sich sowohl in der Aus-, als auch in der Weiter- und Fortbildung gemeinsame Module mit anderen Gesundheitsfachberufen vorstellen. So könnten Hierarchien weiter abgebaut, das gegenseitige Verständnis vertieft und der persönliche Austausch gefördert werden.
Vor allem für junge Ärztinnen und Ärzte sei es allerdings schwer im Alltag abzuschätzen, was die verschiedenen Gesundheitsfachberufe an Kompetenzen mitbringen würden, so Camara-Romero. „Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit braucht man aber eine Idee, was der andere selbstständig erledigen kann und wo die Grenzen liegen.“ „Wir müssen aus den alten Denkstrukturen raus“, betonte auch Faßbach. Zwar müssten die Ärzte den „Hut aufhaben“, aber auch alle anderen Gesundheitsberufe müssten ihre Kompetenzen einbringen können.
Zentral ist eine gute Kommunikation
Wesentlich ist in einem interprofessionellen Team die Kommunikation. Auch darin waren sich die Diskutierenden einig. „Als zentrale Rolle im interprofessionellen Team muss der Arzt oder die Ärztin nicht nur mit den Patientinnen und deren Angehörigen kommunizieren, sondern eben auch im Team“, sagte Camara-Romero. Techniken könnten bereits im Studium vermittelt werden. „Grenzen entstehen immer dort, wo Uneinigkeit besteht“, erklärte sie.
Im interprofessionellen Team trage der Arzt oder die Ärztin die Endverantwortung und müsse so bei Uneinigkeit den Entscheidungsprozess moderieren und im Zweifel die Entscheidung treffen. „Dabei ist es wichtig, alle Sichtweisen mit einzubeziehen und gleichberechtig zu hören“, sagte sie.
Auch für Steffen Veen, ebenfalls Ko-Vorsitzender des Ausschusses „Junge Ärztinnen und Ärzte, ärztliche Arbeitsbedingungen“ der Ärztekammer Nordrhein, ist dies unerlässlich. Für ihn ist klar, dass Ärzte auch hinsichtlich des Fachkräftemangels in Zukunft mehr mit anderen Gesundheitsberufen zusammenarbeiten müssen. „Es wird wahrscheinlich keine Zukunft geben, in der auf einmal 5.000 Medizinstudienplätze in den nächsten Jahren geschaffen werden“, so Veen.
Entscheidend werde aber die Ausgestaltung der interprofessionellen Zusammenarbeit sein. Als Risiko sieht Veen vor allem die Ökonomisierung, wenn es etwa billiger sei, dass gewisse Tätigkeiten von Nicht-Ärzten übernommen werden. „Die Weiterbildung leidet immer als erstes unter der Ökonomie in den Kliniken“, warnte er.
Fünf Thesen zur Weiterentwicklung der Weiterbildung, die eng mit der Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsfachberufen verknüpft sind, stellte deshalb Henrik Herrmann, Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein und Co-Vorsitzender der Ständigen Konferenz „Ärztliche Weiterbildung“ der Bundesärztekammer, auf.
Erstens brauche es eine neue Weiterbildungs- und Feedbackkultur. Ein „Weiter so“ der vergangenen zehn bis 20 Jahre dürfe es nicht geben, so Herrmann. Damit verbunden sollte zweitens eine bessere Vorbildfunktion der Weiterbildungsbefugten sein. Dies sei in der Vergangenheit teilweise verlorengegangen. „Wir brauchen ärztliche Haltungen, um unser Rollenverständnis klarer auszuarbeiten“, sagte Herrmann.
Zudem forderte er drittens eine Reduzierung der fachlichen Inhalte der Weiterbildung. Stattdessen sollten mehr soziale, kommunikative sowie Führungskompetenzen in der Weiterbildung aufgebaut werden. Dies würde auch die Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen erleichtern.
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Viertens brauche es in der Weiterbildung auch verstärkt Simulationstrainings, in denen möglichst interdisziplinär verschiedene Situationen geübt werden können. Damit könnten auch Führungsrollen trainiert werden, bevor man in den Realbetrieb geht. Fünftens würden andere Gesundheitsberufe den ärztlichen Bereich entlasten können und Ressourcen und den Raum dafür schaffen, den Ärzte für die Weiterbildung benötigen.
Herrmann sieht andere Gesundheitsfachberufe wie den Physician Assistant (PA) zudem nicht als Konkurrenz, sondern als gute Unterstützung des ärztlichen Teams. Dies sieht auch der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke, so: „Bange vor Konkurrenz muss in unserem Beruf niemand sein“, beruhigte er. Er glaubt, dass Ärztinnen und Ärzte in Zukunft eher froh sein werden, wenn es Menschen geben wird, mit denen sie sich bestimmte Aufgaben teilen können.
Klare Aufgabenteilung notwendig
Voraussetzung sei aber, dass diese Aufgabenteilung klar abgestimmt werde, so Henke. Bei einem Punkt dürfe es keinen Kompromiss geben. „Es darf keine schleichende Veränderung des ärztlichen Berufsbildes geben, die dazu führt, dass uns der zentrale Punkt unserer Rolle – die Mittlerrolle zum Patienten – genommen wird“, betonte der Präsident der einladenden Kammer des diesjährigen 127. Deutschen Ärztetages.
„Wir sind in einer Zeit, in der wir fast alle 14 Tage von einem neuen Gesundheitsberuf hören“, sagte er. „Wir denken uns immer, das wird schon dazu beitragen, dass die Versorgung hochwertiger wird.“ Aber die Entstehung neuer Gesundheitsberufe bringe auch manchmal Probleme mit sich, etwa aufgrund von Schnittstellen, die neuen Abstimmungsbedarf zwischen den verschiedenen Berufsgruppen auslösten. Das wiederum habe auch Auswirkungen auf die ärztliche Praxis und die Weiterbildung.
Mit der Aufgabenteilung und Zusammenarbeit der Berufe im Gesundheitsbereich hat sich auch bereits die Bundesärztekammer beschäftigt, wie Erik Bodendieck, Präsident der Sächsischen Landesärztekammer und Vorsitzender einer Arbeitsgruppe „Zukünftiges Rollenverständnis der Ärzteschaft in einer teamorientierten Patientenversorgung“, auf dem Forum erläuterte. So seien im August 2020 Thesen zur Kooperation zwischen Ärzteschaft und Gesundheitsfachberufen verabschiedet und auf dem 125. Deutschen Ärztetag vorgestellt worden.
Die Entwicklungen der vergangenen Jahre, wie die Akademisierung von Gesundheitsfachberufen oder die Entstehung neuer Berufe, seien unumkehrbar, so Bodendieck. Durch Aktualisierungen der Berufsgesetze sowie der Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen käme es an vielen Stellen zu Erweiterungen der Kompetenzen bestehender Berufe. Grundsätzlich stehe die Ärzteschaft dem positiv gegenüber, sie dürfe aber ihre zentrale Rolle in der Patientenversorgung nicht vergessen.
Im Fokus aller an der Patientenversorgung beteiligten Berufsgruppen müssten evidenzbasiertes und qualitätsgesichertes Handeln zur Gewährleistung einer hohen Patientensicherheit stehen, betonte er. „Die Qualität steht über allem.“ © ER/cmk/aerzteblatt.de

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