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Politik

Arzneimittelgesetz soll systemische Probleme lösen

Donnerstag, 25. Mai 2023

/Bogdan, stock.adobe.com

Berlin – Der Bundestag hat gestern erstmals über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarznei­mitteln (Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz) beraten. Nach der Aussprache überwiesen die Abgeordneten die Vorlage zur Beratung in den Gesundheitsausschuss.

„Wir sind mittlerweile mit Lieferengpässen für mehr als 450 Arzneimittel konfrontiert“, fasste Bundesgesund­heitsminister Karl Lauterbach (SPD) die aktuelle Lage zusammen. Dies sei ein „nicht akzeptabler Zustand“, den man viel zu lange habe gewähren lassen.

Mit dem Gesetz wolle man nun die systemischen Probleme angehen und beispielsweise einen Teil der Arznei­mittelproduktion wieder nach Europa zurückholen. Zudem werde man insbesondere bei den Kindern Sofort­maßnahmen ergreifen und die Festbeträge und Rabattverträge bei Kinderarzneimitteln aussetzen.

Fachleute zeigen sich davon bisher nur wenig überzeugt. So greife es zu kurz, bei Debatten über Arzneimittel­engpässe stets nur diejenigen Produktgruppen herauszugreifen, bei denen es gerade Probleme gebe, und da­gegen mit Ad-hoc-Maßnahmen anzugehen, kritisierte David Francas, Professor für Daten- und Lieferketten­analyse an der Hochschule Worms, heute bei einem Briefing des Science Media Center.

Hauptgrund für die Engpässe seien Probleme im Produktions- oder Lieferkettenbereich. Die Wirkstoffproduk­tion zurückholen zu wollen, sei zwar ein hehres Anliegen, aber strukturell und finanziell kaum realistisch.

Frankreich beispielsweise rühme sich zwar damit, Paracetamolproduktion zurückgeholt zu haben. Faktisch werde besagte Anlage in Roussilon aber nur den letzten chemischen Prozessschritt durchführen – die Vor­produkte dafür kämen weiter aus China, wodurch sich an der Abhängigkeit in Wirklichkeit nichts ändere, erklärte Ulrike Holzgrabe, Seniorprofessorin für pharmazeutische und medizinische Chemie am Institut für Pharmazie und Lebensmittelchemie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.

Auch die vorgesehene Diversifizierung der Bezugsquellen sei zwar ein hehres Anliegen, sagte Francas. „Wenn es aber nur zwei Hersteller gibt und die beide in Asien sitzen, dann kann ich da nicht viel diversifizieren.“ Es handele sich schlicht um eine Form von Marktversagen, „eine Form von Monopolisierung, die so nicht ge­wünscht sein kann“.

Deshalb sei es auch wenig konstruktiv, wenn man den Engpässen mit mehr Arzneimittelimporten begegnen will, betonte Torsten Hoppe-Tichy, Leiter der Apotheke des Universitätsklinikums Heidelberg: „Importe aus an­deren Ländern sind auch ethisch und moralisch ein Problem für uns, denn wir kaufen damit andere Märkte leer. Was wir dann haben, fehlt dann in Frankreich oder Belgien.“

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht auch vor, dass beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medi­zin­produkte (BfArM) ein Frühwarnsystem eingerichtet wird, um künftig frühzeitig Lieferengpässe zu erkennen.

Francas und Holzgrabe plädieren dafür, das Thema politisch auf höherer Ebene anzugehen, da es ein globales Problem sei, dem man mit nationalstaatlicher Regulierung kaum begegnen kann. „Das im Gesetz vorgesehene Früherkennungssystem ist richtig, aber wir brauchen mehr. Wir müssen das mindestens auf europäischer Ebe­ne machen, wenn nicht sogar mit den Amerikanern zusammen“, forderte Francas.

Die Bundesregierung will außerdem eine Pflicht zur mehrmonatigen Lagerhaltung einführen, um so tempo­rä­re Störungen in der Lieferkette oder kurzfristigen Mehrbedarf bei patentfreien Arzneimitteln ausgleichen zu können. Für nicht verfügbare Arzneimittel sind dem Entwurf zufolge zusätzliche vereinfachte Austauschre­gelungen in der Apotheke geplant.

Paula Piechotta (Grüne), Berichterstatterin für Arzneimittel, betonte, die Neuaufstellung der Lieferketten stelle auch im Arzneimittelbereich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe dar. „Man kann sie nicht allein an die 90 Prozent Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung outsourcen, die eben gerade nicht zu den Top-Verdienern in diesem Land gehören.“

Die wirksameren Hebel der EU-Kommission zu diesem Thema müssten möglich zügig europäische Realität werden. Man könne aber in der GKV Fehlanreize für wenig stabile Lieferketten und unnötig komplizierte Verfahren in Praxis und Apotheken beseitigen.

„Nur wenige Lösungen werden kurzfristig wirksam sein. Das müssen wir uns einfach eingestehen. Die Prob­leme sind langfristig entstanden, und wir werden sie auch nur über einen längeren Zeitraum wieder lösen können“, sagte Gesundheitspolitiker Lars Lindemann (FDP).

Kritik an den Inhalten des Gesetzentwurfes äußerte die Opposition. Man habe seitens der CDU/ CSU-Fraktion hartnäckig darum geworben, einen Pharmagipfel einzuberufen, kommentierte Georg Kippels (CDU) die Pläne.

Allein „das Drehen an der Rabattschraube“ werde die hochkomplexen Produktionsprozesse nicht befördern, weshalb gemeinsam mit allen Fachkundigen ein Lösungskonzept hätte entwickelt werden müssen. Zudem stelle das im letzten Herbst beschlossene GKV-Finanzstabilisierungsgesetz „ein falsches Signal in Richtung der forschenden Pharmaindustrie“ dar, so Kippels.

Kathrin Vogler (Linke), bezeichnete ein Gesetz gegen Lieferengpässe als „absolut überfällig“. Der vorliegende Gesetzentwurf werde jedoch „der riesigen Herausforderung“ nicht gerecht. © aha/lau/aerzteblatt.de

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