NewsHochschulenMissbrauchsskandal an Uniklinik: Kommission für Entschädigungen
Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...

Hochschulen

Missbrauchsskandal an Uniklinik: Kommission für Entschädigungen

Donnerstag, 25. Mai 2023

/picture alliance, BeckerBredel

Kirkel/Homburg – Nach dem Skandal um sexuellen Missbrauch von Kindern am Universitätsklinikum des Saar­landes (UKS) hat sich eine Expertenkommission für eine finanzielle Entschädigung der Opfer ausge­spro­chen. Für erlittenes Unrecht sollten Betroffene je nach Schwere der Belastung Summen von 5.000 bis 50.000 Euro erhalten, teilte die Unabhängige Aufarbeitungskommission (UAK) gestern in ihrem Abschlussbericht mit.

Zu­dem sollten Betroffene und Angehörige einen leichten Zugang zu dauerhaften therapeutischen Hilfen be­kommen, empfahl die Kommission nach ihrer rund zweijährigen Analyse. Auch Angehörige, die bis heute teils unter dem Geschehen litten, sollten finanziell berücksichtigt werden. „Es gibt Mütter, die sich massive Vor­würfe machen“, sagte ein Sprecher. Die meisten Kinder waren zur Tatzeit fünf bis acht Jahre alt.

Der Skandal um mutmaßlichen Missbrauch an Kindern in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am UKS in Homburg von 2010 bis 2014 war erst im Jahr 2019 öffentlich geworden. Täter soll ein 2016 gestorbe­ner Assistenzarzt gewesen sein, der die Kinder bei Untersuchungen missbraucht haben soll. Die Staatsanwalt­schaft hatte damals wegen 34 Verdachtsfällen ermittelt – das Verfahren aber nach dem Tod des Arztes einge­stellt. Die Eltern der betroffenen Kinder waren über Jahre nicht informiert worden.

Die Aufarbeitungskommission unter dem Vorsitz des früheren Präsidenten des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, hat laut Bericht mehr als 80 Missbrauchsverdachtsfälle registriert. Für die Aufarbeitung seien mehr als 800 Schreiben an möglicherweise betroffene Familien gegangen, 52 hätten schriftlich geantwortet. Von 30 mutmaßlich betroffenen Familien sei bisher keine Rückmeldung gekommen, hieß es. Die UAK habe sieben Fälle mit besonders hoher Belastung festgestellt.

Für diese Personen habe die Kommission dem Aufsichtsrat des UKS einen Betrag von je 50.000 Euro vorge­schlagen. In 31 Fällen mit Belastungen seien Summen von 5.000 bis 30.000 Euro empfohlen. Eine unabhängi­ge Stelle sollte nun rasch die Empfehlungen umsetzen und Kontakt zu den bisher bekannten Betroffenen auf­nehmen.

„Das Vertrauen der betroffenen Menschen im Saarland in das Universitätsklinikum hat durch die Ereignisse schweren Schaden genommen“, teilte die UAK mit. Wesentliche Ursache dafür sei vor allem „die ausgeblie­be­ne Information der Angehörigen nach der internen Aufdeckung der Verdachtsumstände im UKS“ gewesen.

Verantwortlichkeiten für die Versäumnisse konnte auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss von 2020 bis Anfang 2022 nicht klären, personelle Konsequenzen gab es keine, wie die Kommission mitteilte. Ein Disziplinarverfahren gegen den Leiter der Klinik, in dem „der mutmaßlich pädosexuelle Arzt“ beschäftigt war, wurde eingestellt. Viele Menschen seien „nach den Jahren des fruchtlosen öffentlichen Streits über Verant­wortung und Konsequenzen“ enttäuscht und müde geworden, teilte die UAK mit.

Im Oktober 2022 hatte sich die ärztliche Direktorin am UKS bei den Betroffenen und Angehörigen für erlitte­nes Leid entschuldigt. Zudem übernahm sie die institutionelle Verantwortung für sexuellen Missbrauch und für Verletzungen von Kindern im OP der Hals-Nasen-Ohren-Klinik in Homburg.

Laut Kommission gingen die Versäumnisse mit dem Umgang der Ereignisse auch „auf strukturelle Mängel“ am Klinikum zurück. „Für Ärzte als mutmaßliche Täter, die Patienten missbrauchten, fehlte jegliche Vorstellungs­kraft und damit auch jegliche Prävention“, teilte die UAK mit. Auch die Führungshierarchie habe „keine Kratzer am eigenen Image“ zugelassen. „Eine gelebte Fehlerkultur, die Kritik belohnt und nicht bestraft, war nicht er­kennbar.“

Auch außerhalb des Krankenhauses sei der Schutz der Kinder nicht hinreichend gesichert gewesen, teilten die Experten mit. Es habe „einen Kreislauf der Nichtverantwortlichkeit und Unzuständigkeit“ unter anderem von Staatsanwaltschaft, Polizei, Jugendamt und Ärztekammern gegeben.

Die UAK empfahl daher, dass der saarländische Gesetzgeber sich auf Bundesebene dafür einsetzen sollte, dass die Jugendämter künftig „als Zentralstellen für die Aufgabenwahrnehmung bei Kindeswohlgefährdungen“ die­nen sollten. Bei ihnen sollten alle Informationen zusammenlaufen und sie sollten gesetzlich auch Dritte ein­schalten können, um Gefährdungen abzuwenden.

Zu den 39 Empfehlungen des rund 700 Seiten starken Abschlussberichts an den Aufsichtsrat gehört auch eine grundsätzliche Reform der Organisation mitsamt Unternehmenskultur und Binnenklima. Ziel müsse „eine wertschätzende Fehlerkultur im UKS sein“, hieß es.

Die Kommission würdigte die Anstrengungen des Klinikums und ihrer Beschäftigten, Konsequenzen aus den Vorfällen zu ziehen – vor allem, das Schutzkonzept für Kinder weiterzuentwickeln. Als Grundlage für ein Früh­warnsystem seien zudem Risikoanalysen und Qualitätssicherung wichtig, schrieben die Experten.

Das UKS kündigte an, den Abschlussbericht durchzuarbeiten, um anschließend konkrete Maßnahmen für die Umsetzung der Empfehlungen abzuleiten. Diese sollten dann im Juli vorgestellt werden.

„Menschen haben Leid erfahren, das nach allem, was wir heute wissen, vermeidbar gewesen wäre. Sie haben Antworten verdient und eine gründliche Aufarbeitung, die nach menschlichem Ermessen sicherstellt, dass so etwas heute nicht noch einmal geschehen kann“, teilte der Aufsichtsratsvorsitzende am UKS und Chef der Staatskanzlei des Saarlandes, David Lindemann (SPD), mit. © dpa/aerzteblatt.de

Kommentare

Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.
LNS
LNS LNS

Fachgebiet

Stellenangebote

    Weitere...

    Aktuelle Kommentare

    Archiv

    NEWSLETTER