Politik
Bundestag beschließt Pflegeentlastungsgesetz
Freitag, 26. Mai 2023
Berlin – Der Bundestag stimmte heute dem Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz zu. Mit den beschlossenen Regelungen sollen Pflegebedürftige entlastet und zugleich die Einnahmen der sozialen Pflegeversicherung stabilisiert werden. Für das Gesetz votierten in namentlicher Abstimmung 377 Abgeordnete, mit Nein stimmten 275 Abgeordnete, zwei enthielten sich.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verteidigte das Gesetz vor der Abstimmung gegen Kritik. Zwar stelle das Maßnahmenbündel „kein perfektes Gesetz“ dar, man werde aber „deutliche Verbesserungen“ für die Pflege umsetzen. Lauterbach verwies beispielhaft auf das Entlastungsbudget. Weitere Schritte, etwa zur nachhaltigen Finanzierung der Pflegeversicherung, sollen aber folgen.
CDU-Gesundheitspolitikerin Diana Stöcker warf der Bundesregierung „ein dürftiges Auf-Sicht-Fahren“ vor. Die Reform sei „wieder mal der kleinste gemeinsame Nenner.“ Die Dynamisierung der Pflegeleistung für die Betroffenen falle „mager“ aus und auch ein Inflationsausgleich sei nicht enthalten. Insgesamt habe die Ampelkoalition den Chance für einen „großen Wurf“ verpasst und bleibe hinter den Inhalten des eigenen Koalitionsvertrages zurück.
Man habe sich im Koalitionsvertrag „mehr vorgenommen“, gestand Heike Baehrens (SPD) ein. Die dort enthalten Inhalte würden aber weiterhin gelten. Dies betonte auch Kordula Schulz-Asche (Grüne). Es bleibe „noch viel zu tun“, das Gesetz gehe aber erste wichtige Bausteine an.
Die großen Sozialverbände haben sich von der Pflegereform enttäuscht gezeigt. Lobenswert sei zwar das Ziel, die häusliche Pflege zu stärken; das vorliegende Gesetz werde aber kaum zu einer spürbaren Entlastung der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen beitragen – so der Tenor der Kritik. „Die Reform ist noch weit entfernt von einer echten Verbesserung“, erklärte etwa die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele.
Zwar sei das zuletzt noch in den Gesetzentwurf aufgenommene Modell eines Entlastungsbudgets für die Kurzzeit- und Verhinderungspflege richtig, erklärte Bentele. Generell sei die Reform von Bundesgesundheitsminister Lauterbach aber „eine Niete für die Nächstenpflege“. Die Wartezeit zur Einführung des Entlastungsbudgets zum 1. Juli 2025 sei „viel zu lang“. Auch dass das Pflegegeld für die häusliche Pflege lediglich um 4,5 Prozent angehoben werde, sei „angesichts der hohen Inflation nicht richtig“.
Der Sozialverband SoVD wies vor allem auf steigende finanzielle Belastungen für Beitragszahler hin. „Das Gesetz bringt vor allem eines: eine gepfefferte Beitragssatzanhebung“, kritisierte SoVD-Chefin Michaela Engelmeier. Die „überfälligen kostenentlastenden Maßnahmen“ aus Steuermitteln würden aber ausbleiben.
Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerats (DPR), kritisierte, mit dem Gesetz sei nur eine „kurzfristige, notdürftige Rettung des Systems“ erfolgt. Dringend notwendige Verbesserungen würden „weitestgehend“ unterbleiben.
Kassenverbände mit Kritik
Auch die Krankenkassen äußerten sich enttäuscht. Gernot Kiefer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes, begrüßte das Entlastungsbudget als „kleine Verbesserung für die Pflegebedürftigen“. „Der Preis ist allerdings hoch, denn im Gegenzug hat die Regierung die Anhebung der Leistungsbeträge in der ambulanten Pflege gekürzt.“ Dies zeige einmal mehr, wie sehr die Finanzen der Pflege „auf Kante genäht sind“.
Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann, erklärte, die Erhöhung des Pflegegelds um 4,5 Prozent reiche nicht aus. „So werden ambulante Pflegeleistungen sukzessive entwertet.“ Damit werde die Pflege- und Unterstützungsbereitschaft der pflegenden Angehörigen „aufs Spiel gesetzt“.
Der Dachverband der Betriebskrankenkassen erklärte, die Reform bringe leichte Verbesserungen für pflegende Angehörige und Pflegekräfte, von einer nachhaltigen und stabilen Finanzierung der Pflegeversicherung könne aber weiterhin „keine Rede“ sein. Die Koalition müsse „die gesamtgesellschaftlichen Aufgaben, die derzeit die Pflegeversicherung trägt, dauerhaft mit Steuermitteln unterstützen“, forderte die Vorständin des BKK Dachverbands, Anne-Kathrin Klemm.
Laut Gesetz wird der Pflegebeitrag zum 1. Juli 2023 um 0,35 Punkte auf 3,4 Prozent des sozialversicherungspflichtigen Einkommens angehoben, was Mehreinnahmen von rund 6,6 Milliarden Euro pro Jahr bringen soll. Der Arbeitgeberanteil liegt bei 1,7 Prozent.
Die Bundesregierung wurde außerdem dazu ermächtigt, den Beitragssatz künftig durch Rechtsverordnung festzusetzen, falls auf einen kurzfristigen Finanzierungsbedarf reagiert werden muss. Eine solche Verordnung darf aber nur unter bestimmten Voraussetzungen und bis zu einer bestimmten Größenordnung genutzt werden. Zudem muss die Verordnung dem Bundestag zugleitet werden, der sie ändern oder ablehnen kann.
Der Pflegebeitragssatz wird, ebenfalls zum 1. Juli 2023, nach der Zahl der Kinder weiter ausdifferenziert. Der Beitragszuschlag für Kinderlose steigt von derzeit 0,35 auf 0,6 Beitragssatzpunkte. Für Mitglieder ohne Kinder gilt damit künftig ein Pflegebeitragssatz in Höhe von vier Prozent.
Bei einem Kind sinkt der Beitragssatz auf 3,4 Prozent. Ab zwei Kindern wird der Beitrag bis zum 25. Lebensjahr des Kindes um 0,25 Punkte je Kind bis zum fünften Kind weiter abgesenkt. Bei Familien mit fünf oder mehr Kindern liegt der Beitrag künftig bei 2,4 Prozent.
Pflegegeld und die ambulanten Sachleistungen werden zum 1. Januar 2024 um fünf Prozent angehoben. Zudem sollen zum Jahresbeginn 2025 und 2028 die Geld- und Sachleistungen regelhaft und in Anlehnung an die Preisentwicklung automatisch dynamisiert werden. Das Pflegeunterstützungsgeld können Angehörige nach dem Willen der Regierung künftig pro Kalenderjahr für bis zu zehn Arbeitstage je Pflegefall in Anspruch nehmen und nicht nur einmalig.
Gestaffelt angehoben werden mit Jahresbeginn 2024 die Zuschläge der Pflegekassen an die Pflegebedürftigen in vollstationären Pflegeeinrichtungen. Das sogenannte Entlastungsbudget wird zum 1. Juli 2025 wirksam. In der häuslichen Pflege können dann Leistungen der Verhinderungspflege (bisher bis zu 1.612 Euro) und Kurzzeitpflege (bisher bis zu 1.774 Euro) im Gesamtumfang von 3.539 Euro flexibel kombiniert werden.
Schließlich soll die Reform auch zu besseren Arbeitsbedingungen beitragen. So soll in der stationären Pflege die Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens durch die Vorgabe weiterer Ausbaustufen beschleunigt werden. Vorgesehen ist ferner ein Kompetenzzentrum Digitalisierung und Pflege. Das Förderprogramm für digitale und technische Anschaffungen in Pflegeeinrichtungen im Volumen von rund 300 Millionen Euro soll ausgeweitet und bis Ende des Jahrzehnts verlängert werden. © aha/afp/aerzteblatt.de

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