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Politik

Gesetzesänderung bei Notfallversorgung sorgt für Debatte

Freitag, 26. Mai 2023

/picture alliance, Lars Klemmer

Berlin – Vertragsarztpraxen und medizinische Versorgungszentren (MVZ) sollen künftig keine direkte Überwei­sungs­stelle mehr für Patienten sein, die in die Notaufnahme eines Krankenhauses gegangen sind – und dort nicht als Notfall eingestuft werden. Eine Weiterleitung oder Verweisung wäre nur noch an Notdienstpraxen in oder am jeweiligen Kranken­haus möglich. Das hat der Bundestag heute mit den Stimmen der Ampelkoalitio­nen beschlossen.

Umsetzen soll die Vorgaben der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in seinen Richtlinien. Bei der Inter­pre­tation der Regelung scheiden sich die Geister. Die Vertragsärzte sehen das als Verbot, die FDP bewertet das anders.

Hintergrund ist, dass der Bundestag heute das Pflegeunterstützungs- und -entlastungs­gesetz (PUEG) in 2./3. Lesung verabschiedet hat. Darin enthalten war auch ein Änderungs­antrag zur Notfallreform, den die Ampel­koalition sehr kurzfristig eingebracht hatte. Eine ausführliche Debatte dazu fand nicht statt.

SPD, Grüne und FDP begründeten den Vorstoß in ihrem Antrag mit Vorschlä­gen der Regierungskommission Krankenhaus. Mit dem Vorhaben wolle die Ampel eine Inanspruchnahme der Notaufnahmen und eine Weiter­leitung der Hilfe­suchenden von dort in die Vertragsarztpraxen möglichst vermeiden, wie es heißt. Der Auf­wand solle dadurch sowohl für die Bürger als auch für das Personal im Gesundheitswesen verringert werden.

Vor diesem Hintergrund sei eine Verweisung an die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte sowie medizinische Versorgungszentren „nicht mehr sachgerecht“, schreiben SPD, Grüne und FDP in dem Papier. In den Richtlinien des G-BA solle daher künftig eine solche Ver­wei­­sung „nicht mehr vor­gegeben wer­den“. Im Ergebnis sei im ambulanten Bereich nur noch eine Weiterlei­tung oder Verweisung an Notdienstpra­xen in oder an dem jeweiligen Krankenhaus möglich, heißt es weiter in der Begründung.

Krankenhäuser sollen Patienten ohne sofortigen Behandlungsbedarf darüber hinaus nur noch in der Notauf­nahme versorgen dürfen, wenn keine Not­dienstpraxis an oder in dem jeweiligen Krankenhaus bereitsteht. Das soll auch Auswirkungen auf die Vergü­tung der Kliniken haben. „Wird kein sofortiger Behandlungsbedarf festge­stellt, erfolgt eine Vergütung der am­bulanten Leistung eines Kran­kenhauses nur dann, wenn eine Notdienst­praxis in oder an dem jeweiligen Kran­kenhaus nicht verfügbar ist“, schreibt die Ampel.

Bislang sah die Reform der Notfallversorgung eine Intensivierung der Patientensteuerung vor. Nach einer qualifizierten Ersteinschätzung sollten Patienten je nach Schwere und Dringlichkeit ihrer Erkrankung in die Versorgungsebenen vermittelt werden: Vertragsarztpraxen, integrierte Notfallzentren oder stationäre Notauf­nahmen. Eine Richtlinie für dieses Ersteinschätzungsverfahren hat der damit beauftragte G-BA be­reits erar­beitet und steht kurz vor der Beschlussfassung. Diese müsste dann erneut überarbeitet werden.

Erhebliche Kritik kam gestern von Haus- und Fachärzten sowie auch dem Zentralinstitut für die kassenärztli­che Versorgung (Zi). Zi-Vorstandsvorsitzende Dominik von Stillfried bemängelte, der Gesundheits­­ausschuss habe „überraschend Fakten geschaffen“, die die Fortschritte bei der Verbesserung der Akut- und Notfallversor­gung von 73 Millionen Bürgern erschwerten.

Aus seiner Sicht müssten sich eigentlich die Leitungen der großen Notaufnahmen kritisch zu Wort melden. Aus vertragsärztlicher Sicht sei zu beklagen, dass damit eine Fehlsteuerung verstetigt werde, zu deren Lösung künftig auf die Arbeitszeit der niedergelassenen Ärzte als Verfügungsmasse zurückgegriffen werden solle, anstatt ressourcensparende Lösungen zu ermöglichen.

„Das passt eigentlich nicht mehr in ein Gesundheitswesen, das absehbar unter massiven Personalengpässen in allen Bereichen leidet. Damit wird eine vorausschauende und nachhaltige Gesundheitspolitik völlig ad absurdum geführt“, so von Stillfried.

Mit großem Unverständnis und deutlicher Kritik reagierte heute der Vorstand der Kassenärztlichen Vereini­gung Baden-Württemberg (KVBW). Es herrsche völliges Unverständnis dafür, dass für Patienten, die unge­steuert eine Krankenhausnotaufnahme aufsuchten, die Option einer Weiterleitung in die ambulante Regel­versorgung nun nicht mehr vorgesehen sei, sagte der KVBW-Vorstandsvorsitzende Karsten Braun.

Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), bezeichnete das Ver­fah­ren um den kurzfristig eingebrachten Änderungsantrag heute als „fragwürdig“ und „von der Wirkung ver­hee­rend“. „Die Bundesregierung konterkariert damit ihre eigenen Pläne für eine gemeinsame Notdienstreform mit den Ländern. Das ist ein sehr fragwürdiges Politikverständnis“, sagte Gassen.

Zugleich belege das Vorgehen der Regierungskoalition zum wiederholten Male deutlich, dass sie kein Inter­esse daran habe, dass Know-how und die Erfahrungen derjenigen einzubinden, die Versorgung können und tagtäglich leisteten, nämlich die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen in den Praxen, erklärte der stellvertretende KBV-Vorstandsvorsitzende, Stephan Hofmeister.

„Die Politik wirft mal eben im Vorbeigehen ihren eigenen Auftrag an den Gemeinsamen Bundesausschuss über den Haufen, der bis 1. Juli dieses Jahres eine Richtlinie erarbeiten soll, die festlegt, nach welchen Kriterien Hilfesuchende im Krankenhaus in die richtigen Versorgungsebenen gesteuert werden sollen. Mit der Erarbeitung sind wir sehr weit vorangeschritten und eigentlich auf der Zielgeraden gewesen“, sagte KBV-Vorstandsmitglied Sibylle Steiner.

Alle drei Vorstände betonten, dass die Regierungskoalition auch den Ärzten in den Krankenhäusern einen Bärendienst erwiesen hätte. Anstatt weniger würden nun noch viel mehr Patienten in den Notaufnahmen sein, die dort eigentlich nicht hingehörten.

„Wir müssen leider konstatieren, dass Politik, die ohnehin an ihre Grenzen angelangte ärztliche Arbeitsbelas­tung in den Krankenhäusern unzumutbar erhöht, anstatt sie zu senken, wie es eigentlich zu recht geplant war. Das ist eine geradezu groteske Situation“, sagte der KBV-Vorstand.

Die FDP kann in der Novellierung der Notfallversorgung kein Verbot für eine Überweisung an Vertragsärzte aus der Notaufnahme eines Krankenhauses erkennen. Im Bundestag hatte der Arzt und gesundheitspolitische Sprecher der FDP im Bundestag, Andrew Ullmann, betont, dass auch weiterhin an die Vertragsarztpraxen ver­wiesen werden könne.

Es sei weiterhin „auch ganz normal möglich an eine normale KV-Praxis zu überwei­sen“, sagte er im Parlament. Man müsse zwischen Verboten und dem, was nicht in einer G-BA-Richtlinie stehe, unterscheiden. „Verboten ist hier gar nichts“, sagte Ullmann. Auf Nachfrage wiederholte er: „Sofern keine KV-Notdienstpraxis am Kranken­haus vorhanden ist, kann weiterhin an niedergelassene Ärztinnen und Ärzte verwiesen werden.“

Bereits gestern hatte Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, die Initia­tive auf Anfrage des Deutschen Ärzteblattes verteidigt. „An vielen Klinikstandorten in Deutschland bestehen bereits KV-Notdienst- beziehungsweise Bereitschaftspraxen“, sagte er.

In einem ersten Schritt gehe es jetzt darum eine Richtlinie für die Ersteinschätzung in den Kliniken einzu­führen, um Patienten sicher und zuverlässig aus Notaufnahmen in Notdienstpraxen weiterzuleiten. „In Ab­hängigkeit von den Öffnungszeiten wird zukünftig dann dort, statt in der Notaufnahme, die ambulante Not­dienstversorgung durch die KV erfolgen.“

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) unterstützte die Novelle. Der DKG-Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß beteuerte darüber hinaus, dass die Krankenhäuser auch in Zukunft Patienten, die nicht unmittelbar be­handlungs­be­dürf­tig seien, an die vertragsärztlichen Praxen verweisen würden. „Die Sorge, dass die Notdienst­praxen der KVen in Zukunft überlastet werden könnten, ist daher absolut unbegründet“, sagte er. © may/aerzteblatt.de

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