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Techniker Krankenkasse: Pharmaindustrie trickst bei Multipler Sklerose

Freitag, 26. Mai 2023

/dpa

Berlin – Der Trend zur Preissteigerung bei patentgeschützten Arzneimitteln hält an. Einem aktuellen Bericht der Techniker Krankenkasse zufolge haben sich die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) dafür in den vergangenen fünf Jahren fast verdoppelt. Vor allem bei der Indikation Multiple Sklerose (MS) trickse die Pharmaindustrie kräftig, um den Gewinn zu steigern.

Die Bruttoausgaben für patengeschützte Arzneimittel gehen demnach weiter kontinuierlich nach oben. Betru­gen sie im Jahr 2018 laut TK noch 14,6 Milliarden Euro waren es 2022 bereits 28 Milliarden. Das entspreche fast der Hälfte aller GKV-Arzneimittelausgaben – während gerade einmal sechs Prozent des Gesamtver­brauchs nach definierten Tagesdosen auf diese Gruppe entfällt.

2021 hatten Arzneimittel mit 46,6 Milliarden Euro den zweiten Platz hinter den 85 Milliarden Euro hohen Aus­gaben für Krankenhausbehandlung, aber vor den ärztlichen Honoraren in Höhe von 44,8 Milliarden be­legt. Für das Jahr 2022 werde ein zusätzliches Wachstum von etwa fünf Prozent prognostiziert, das maßgeb­lich vom Kostenwachstum für patentgeschützte Medikamente getrieben werde, hieß es.

Besondere Kostentreiber waren demnach Onkologika, auf die im vergangenen Jahr 18,2 Prozent beziehungs­weise 10,4 Milliarden Euro der Gesamtausgaben entfielen. Es folgten Immunsuppressiva mit 15,3 Prozent beziehungsweise 8,7 Milliarden Euro. Ganze 6,7 Milliarden Euro seien auf Orphan Drugs entfallen, hier habe der Betrag 2018 noch bei 2,9 Milliarden Euro gelegen.

Zwar sei es gesamtgesellschaftlich unstrittig, dass Innovationen honoriert und gefördert werden müssten, und dass für Arzneimittel, die einen therapeutischen Fortschritt darstellten und deren Zusatznutzen nachge­wiesen sei, entsprechend höhere Preise berechtigt seien.

„Nichtsdestotrotz können diese Preissteigerungen langfristig nicht vom deutschen Gesundheitssystem ge­tra­gen werden“, heißt es im TK-Report. In Anbetracht des Gewinns vor Zinsen und Steuern, also der EBIT-Margen der pharmazeutischen Industrie von bis zu über 40 Prozent müsse die Frage erlaubt sein, ob die aktuellen Preise für patentgeschützte Arzneimittel in einem Solidarsystem angemessen und fair sind.

Außerdem stelle sich bei sehr vielen Arzneimitteln die Frage, ob sie wirklich eine Innovation seien. Denn die Pharmaindustrie wisse mit vielerlei Tricks ihre Einnahmen zu erhöhen, so der Report. Die bekanntesten darunter sind demnach Slicing, MeToo und Evergreening.

So würden beim Slicing, auch Orphanisierung genannt, aus häufigeren Erkrankungen durch genaueres Defi­nieren seltene gemacht, um von einem Orphan Drug-Status inklusive hoher Arzneimittelpreise profitieren zu können. Bei Me-Too-Präparaten handelt es sich um solche, die eigentlich weitestgehend wirkstoffgleich mit bereits für andere Indikationen zugelassenen sind. Statt einer Indikationserweiterung setzen die Unterneh­men also auch minimale Veränderung zu Zweck der Neuzulassung.

Beim Evergreening wiederum handelt es sich um eine Marktstrategie, bei der der Patentschutz durch gering­fügige Änderungen verlängert wird. „Die Wirksamkeit verändern diese kleinen Änderungen aber nicht wesent­lich", sagte der TK-Vorstandsvorsitzende Jens Baas.

Typische Beispiele dafür seien kleinste Veränderungen an einzelnen Molekülen oder die Änderung der Darrei­chungsform. „Statt in die Vene wird unter die Haut gespritzt, der Wirkstoff bleibt dabei gleich und die Neue­rung kommt kurz vor Patentablauf auf den Markt. Es ist nicht gerechtfertigt, hier von neuen Innovationen zu sprechen und entsprechende Preise anzusetzen“, kritisierte Baas.

Besonders in einer Indikation setzt die Pharmaindustrie der TK zufolge in den vergangenen Jahren auf künst­lich forcierte Gewinnsteigerung: Multiple Sklerose. So gebe es dort mit Ocrelizumab einen deutlichen Fall eines Me-Too-Präparats, hieß es.

Denn als Rituximab sei das MS-Mittel bereits lange in der Onkologie zugelassen gewesen. Als sich in ersten Studien gezeigt habe, dass der Wirkstoff auch gegen MS wirke, hätte der Hersteller keine weiteren Studien für eine Zulassung in der Indikation MS in Auftrag gegeben, sondern etwas später unter dem Namen Ocrelizumab einen leicht abgewandelten Wirkstoff neu auf den Markt gebracht, der dann im Gegensatz zu Rituximab dem Patentschutz unterlag.

Auch hätten sich besonders schwerwiegende Fälle von Evergreening zugetragen, bei denen onkologi­sche Wirkstoffe nach geringfügigen Änderungen in der Indikation MS neu zugelassen worden seien – und dann ein Vielfaches des Preises abgerufen worden sei. So sei der Presi von Aemtuzumab um das 42-fache und der von Ofatumumab um das 23-fache gestiegen.

„Dass all diese Vorgehensweisen legal sind, steht außer Frage“, heißt es im Report. „Ob ihre Ausschöpfung aus ethischer und moralischer Sicht in einem Solidarsystem vertretbar ist, muss man zu mindestens aus Sicht der Versichertengemeinschaft bezweifeln dürfen.“ © lau/aerzteblatt.de

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