Ärzteschaft
Medizinische Fakultäten wollen zukunftsfähige Strukturen und zügige Reformen
Donnerstag, 8. Juni 2023
Jena – Die Universitätsmedizin drängt auf Reformen im Gesundheitssystem. Seit Jahren stünden bislang immer noch nicht umgesetzte hochschul- und gesundheitspolitische Initiativen auf der politischen Agenda, kritisierte Matthias Frosch, Präsident des Medizinischen Fakultätentags (MFT), zur Eröffnung des 84. Ordentlichen Medizinischen Fakultätentages (oMFT), der heute und morgen in Jena stattfindet.
Frosch verwies dabei auf das kompetenzorientierte Medizinstudium und die überfällige Novellierung der Ärztlichen Approbationsordnung sowie die Digitalisierung im Gesundheitsbereich und die anstehende Krankenhausstrukturreform – alles auch Themen, die an den beiden Tagen des diesjährigen Treffens der Vertreterinnen und Vertreter der medizinischen Fakultäten in Jena diskutiert werden.
Die geplanten gesetzlichen Neuerungen seien in vielfältiger Weise inhaltlich und strukturell mit Forschung und Lehre in der Medizin verknüpft, so Frosch. „Wir arbeiten intensiv an diesen Themen und bringen unsere Vorschläge und Forderungen in den politischen Diskurs ein“, betonte er. Dies geschehe im Schulterschluss mit den Universitätskliniken. Der 1. Vorsitzende des Verbands der Universitätsklinika Deutschlands (VUD), Jens Scholz, unterstrich dies. Die bestehende enge Kooperation mit dem MFT sei notwendig, um auch in Zukunft das Zusammenwirken von Krankenversorgung, Forschung und Lehre zu sichern.
Politisch hofft die Universitätsmedizin auf ein Umsetzen der Krankenhausstrukturreform und diesbezüglich positive Effekte nach der Sommerpause. Die Grundidee der Krankenhausreform, mit Levels und Leistungsgruppen die Krankenhausversorgung zukunftsfest weiterzuentwickeln, bewerteten die Universitätskliniken positiv, stellte Scholz klar.
Eigenes Level für Hochschulmedizin
„Dabei kämpfen wir für die Etablierung eines eigenen Levels für die Universitätsmedizin. Denn diese ist eine Klasse für sich“, betonte er. International sei dies längst üblich. „Dass an den Standorten der Hochschulmedizin auch Forschung und Lehre stattfindet, hat Einfluss auf die Versorgung der Patientinnen und Patienten“, erklärte er. „Hier wird eine Spitzenversorgung gewährleistet. Die Hochschulmedizin ist die Champions-League in der Krankenhauslandschaft.“
Ein eigenes Level für die Hochschulmedizin sei auch nötig, um die regionale Versorgung zu koordinieren. „Gute Medizin ist heute interdisziplinär“, so der VUD-Vorsitzende. Auf regionaler Ebene gehe das nur durch die Zusammenarbeit in Netzwerken, innerhalb derer die Uniklinika als Koordinator fungieren könnten, um die Innovationen in die Fläche zu bringen. „Versorgung in Netzwerken – das muss in Zukunft dominieren“, so Scholz.
Unterstützung erhielten die Fakultäten und Universitätskliniken diesbezüglich von Irmtraud Gürkan, Mitglied der Regierungskommission zur Reform der Krankenhausfinanzierung. „Ein Jahrzehnt mit erheblichen Disruptionen liegt vor uns“, sagte sie. Die Regierungskommission schlage deshalb eine grundlegende Reform vor. Dies erfordere Veränderungsbereitschaft und Entscheidungsgeschwindigkeit. Es sei traurig, dass dies die Länder nicht als Chance begreifen würden.
„Die Regierungskommission ist jedenfalls hochmotiviert und wird weiterhin Vorschläge machen“, so Gürkan. Sie würde es begrüßen, wenn die Universitätsklinika mit ihren Sonderaufgaben ein Level 3U bekämen. „Level 3U – wenn es denn kommt – heißt aber nicht unbedingt mehr Geld“, mahnte sie. Unikliniken müssten jedoch die Rolle der Koordinatoren im Netzwerk einnehmen und kleinere Häuser unterstützen, erklärte sie.
Diese wiederum könnten sich im Verbund auch an der Aus- und Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten beteiligen, die bei einer Reform ebenfalls mitgedacht werden müssten. Gleichzeitig sollten sich Universitätsklinika mit dem Ausbau von ambulanten Strukturen beschäftigen, mahnte sie. Der Erwerb und Praxen und Medizinischen Versorgungszentren dürfe nicht privaten Investoren überlassen werden.
Nicht nur die Krankenversorgung, sondern auch die Lehre wird zukünftig noch stärker von diversen Akteuren in regionalen, stationären wie ambulanten Netzwerken getragen werden, ist sich der MFT-Präsident Frosch sicher. „Die Universitätsmedizin muss hier eine starke koordinierende Rolle einnehmen und neben der Sicherstellung einer hohen Versorgungsqualität und –sicherheit trotz der Dezentralisierung und Ambulantisierung weiterhin auch ein Medizinstudium auf universitärem Niveau gewährleisten“, betonte er.
Nach der EU-Anerkennungsrichtlinie müsse das Medizinstudium an einer Universität oder unter Aufsicht einer Universität stattfinden. „Das müssen wir in zukünftig mutmaßlich dezentraleren Strukturen weiterhin gewährleisten und können zu Lasten der Qualität des Studiums keine Einschränkungen hinnehmen“, stellte er klar.
Herausforderungen für Lehre
Svenja Caspers, Prodekanin für Lehre und Studienqualität der Düsseldorfer Medizinischen Fakultät, bestätigte dies. Nachdrücklich sprach zwar auch sie sich für einen Wandel in der Krankenhauslandschaft aus. Eine Herausforderung werde aber die theoretische und praktische Ausbildung der Studierenden, mahnte sie. Auch die Forschungsnähe müsse an die junge Generation weitergegeben werden. „Dazu muss es Lösungen geben.“
Die Studierenden seien grundsätzlich zuversichtlich, dass trotz eines Wandels der Krankenhauslandschaft weiterhin eine gute Lehre an den Uniklinika stattfinden könne, sagte Alexander Schmidt von der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd). Dazu sei jedoch gleichzeitig die Umsetzung der Reform der Ärztlichen Approbationsordnung dringend erforderlich.
Auf die Seite der Medizinstudierenden hatte sich zuvor auch der Wissenschaftsminister von Thüringen, Wolfgang Tiefensee (SPD), gestellt. Er verwies beim oMFT in Jena auf die Prioritäten, die die Länder setzen könnten, um der von Scholz erwähnten „Champions-League“ gerecht zu werden. Beispielsweise könnten die Länder mehr Studienplätze zur Verfügung stellen und die Studienbedingungen verbessern, so Tiefensee. Thüringen achte auf eine enge Verbindung des Universitätsklinikums Jena mit den universitären Angeboten für Forschung und Lehre. „Wir müssen Krankenversorgung, Forschung und Lehre zusammen denken“, so Tiefensee.
Als ein weiteres Schwerpunktthema wurde heute beim oMFT in Jena auch das Spannungsfeld von Kooperation und Wettbewerb diskutiert. Beides seien prägende Elemente des Wissenschaftssystems, so Frosch. Dabei verwies der Dekan der Medizinischen Fakultät Würzburg auf Best practice-Beispiele für kooperative Infrastrukturen in der Gesundheitsforschung wie die vom Bundesforschungsministerium (BMBF) geförderten Projekte Netzwerk Universitätsmedizin (NUM) und die Medizininformatik-Initiative (MII). Für diese Kooperationen sei essenziell, dass neu geschaffene Infrastrukturen partizipativ und integrativ sowie für alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler offen seien. Deren dauerhaftes Engagement könne nur erwartet werden, wenn diese Strukturen langfristig verlässlich zur Verfügung stehen, sagte er.
Katja Becker, Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), betonte, dass man sich zwischen Kooperation und Wettbewerb nur vermeintlich entscheiden müsse, eigentlich seien beide eng miteinander verknüpft. „Es geht darum, die Spannung zwischen beiden Polen in positive Energie umzuwandeln“, sagte sie. Dies sei eine Aufgabe der DFG, die den Wettbewerb zwischen den Forscherinnen und Forschern begleite. Die Förderprogramme würden Einfluss auf das Spannungsfeld nehmen, teilweise sei dabei die Kooperation auch ein explizites Programmziel. „Gemeinsames Forschen bietet unschlagbare Vorteile“, sagte Becker. Gerade im Rahmen der Pandemie sei dies deutlich geworden.
Tatsächlich sei in der Pandemie eine Vielfalt von strukturellen Veränderungen durch Kooperationen umgesetzt worden, bestätigte Veronika von Messling, Ministerialdirektorin im Bundesforschungsministerium. Sie sei sich sicher, dass die Universitätsmedizin auch in Zukunft Potenziale bündeln könne, betonte sie. Bei der standortübergreifenden Datennutzung zeige sich da bereits der kooperative Mehrwert. Wettbewerb dürfe natürlich trotzdem nicht fehlen. Die Förderinstrumente des BMBF umfassten deshalb sowohl kooperative als auch wettbewerbliche Elemente, um gemeinsam die großen Herausforderungen der Zukunft anzugehen. © ER/aerzteblatt.de

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