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Forschende schlagen neue Definition für den Begriff Embryo vor

Freitag, 18. August 2023

/Krakenimages.com, stock.adobe.com

Wien – Ab welchem Entwicklungsschritt sollte ein Embryonenmodell einem natürlich gezeugten Embryo gleichgestellt werden? Mit dieser Frage beschäftigen sich derzeit viele Forschende. Eine internationale Gruppe um Nicolas Rivron vom Institute of Molecular Biotechnology der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA) schlägt in einem nun in einem „Perspective“-Beitrag in Cell eine neue Definition vor (2023: DOI: 10.1016/j.cell.2023.07.028).

Im vergangenen Jahrhundert wurde klar, dass Embryonen nicht nur durch Befruchtung entstehen, sondern auch durch die Übertragung des Zellkerns einer adulten Zelle in eine Eizelle. Embryonen entstehen aber auch, indem eine Eizelle mit zwei Sätzen des mütterlichen Genoms ausgestattet wird oder indem man Gameten direkt aus Stammzellen bildet und sie in vitro befruchtet.

Anlass der aktuellen Debatte sind die zahlreichen Publikationen zu Embryonenmodellen in den vergangenen Sommermonaten. Diversen Gruppen aus den USA, England, Israel und China war es gelungen, embryonenähnliche Strukturen, teilweise auch Embryoide genannt, entweder aus humanen embryonalen Stammzelllinien (hESC) oder humanen induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPSC) herzustellen. Die Modelle wiesen Eigenschaften von bis zu 14 Tage alten Embryonen auf. Das Deutsche Ärzteblatt hat berichtet.

Pluripotente Stammzellen: Erste humane Embryonenmodelle

Im Juni kündigte eine britische Tageszeitung „bahnbrechende Fortschritte“ bei der Erzeugung „künstlicher Embryonen“ an. Seitdem überschlagen sich die Publikationen. Eine Debatte über Preprints und eine längst überfällige Reform des Embryonenschutzgesetzes ist entfacht. Gleich zwei Preprints zu frühen humanen Embryonenmodellen auf Basis pluripotenter Stammzellen (PSC) aus Israel und dem Vereinten

Obwohl sie aufgrund ihrer derzeitigen Unfähigkeit, Föten und schließlich Neugeborene zu bilden, nicht als Embryonen gelten, stellen diese Modelle eine neue Möglichkeit zur Untersuchung der Entwicklung dar, erklären die Wissenschaftler vom IMBA in Wien. Sie schlagen eine neue Definition vor, wonach es sich dann um einen Embryo handelt, wenn das Embryonenmodell auch Gewebeelemente umfasst, die extraembryonale und Funktionen der Gebärmutter erfüllen und die zusammen das Potenzial haben, einen Fötus zu bilden.

Michele Boiani, Leiter der Arbeitsgruppe „Mouse Embryology“ am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster hält die neue Definition für „valide und überfällig“. „Es muss endlich erkannt werden, dass die alte Definition – ein Embryo entsteht aus der Verschmelzung des Spermiums mit der Eizelle – nicht mehr zeitgemäß oder zumindest ausreichend ist. Wir brauchen eine neue Definition, die die funktionalen Fähigkeiten auf Augenhöhe mit dem Ursprung aus den Geschlechtszellen stellt.“ Boiani merkt aber auch an, dass die Argumente bereits 2007 von Gruppe aus Australien publiziert wurden (Human Reproduction; DOI: 10.1093/humrep/del467).

Embryonenschutzgesetz erfasst keine Embryonenmodelle

Und auch Rüdiger Behr vom Deutschen Primatenzentrum GmbH – Leibniz-Institut für Primatenforschung (DPZ) in Göttingen stimmt mit den Autoren überein, dass ab dem Punkt, an dem bekannt ist, dass die Embryomodelle tatsächlich eigenständig lebensfähige Individuen hervorbringen können, diese auch als Embryo (inklusive des individuellen Schutzstatus) anerkannt werden – ungeachtet ihrer individuellen Entstehung – also ob aus Stammzellen geklont oder durch natürliche Befruchtung erzeugt.

Der Begriff Modell sei derzeit aber noch gerechtfertigt, da niemand das aktuelle tatsächliche Entwicklungspotenzial dieser aus Stammzellen hergestellten Embryonenmodelle kenne, so der Leiter der Abteilung Degenerative Erkrankungen.

Generell kann gesagt werden, dass die vorgeschlagene Definition eines Embryos in starkem Gegensatz zur aktuellen Definition eines Embryos laut deutschem Embryonenschutzgesetz steht. Rüdiger Behr, Deutschen Primatenzentrum, Göttingen

Die veröffentlichte Arbeit sieht Behr auch als einen Hilferuf der Wissenschaft an die jeweiligen Gesetzgeber, in diesem so wichtigen Forschungsfeld zu einem von der gesellschaftlichen Mehrheit getragenen und möglichst breiten Konsens zu kommen.

„Generell kann gesagt werden, dass die vorgeschlagene Definition eines Embryos in starkem Gegensatz zur aktuellen Definition eines Embryos laut deutschem Embryonenschutzgesetz steht“, sagt Behr. Wichtig sei, dass der Gesetzgeber die neuen Embryomodelle überhaupt erst einmal rechtlich klar miterfasse – und unter Abwägung von Chancen und Risiken der neuen Möglichkeiten rechtliche Leitlinien aufstelle.

Der Stammzellforscher und Reproduktionsbiloge aus Göttingen äußert aber auch Bedenken: „Diese Embryo-Definition ist sehr eng gefasst, und der Embryo wird der Beliebigkeit menschlichen Handelns unterworfen. In Zeiten, in denen künstliche Uteri entwickelt werden, könnte ein solcher künstlicher Uterus, der die Entwicklung eines Embryos unterstützt, einfach abgeschaltet werden.“

Durch das Abschalten dieses ‚Elements‘ würde der Embryo seinen Status als Embryo verlieren. „Generell ist es für mich überraschend, wie selbstverständlich hier über das reproduktive Klonen mittels der noch als Embryomodelle bezeichneten Stammzellgebilde gesprochen wird. “ Bisher sei das reproduktive Klonen von Menschen in den meisten Kulturen ein Tabu, so Behr.

Alternativen zur Bestimmung des Wendepunkts der Entwicklung zu einem Fötus

Um tatsächlich herausfinden zu können, ab welchem festlegbaren Entwicklungsschritt – hier als „tipping point“ bezeichnet – sich ein Embryonen-Modell zu einem Fötus und damit wie ein natürlicher Embryo entwickeln kann, müsste dieses in eine Gebärmutter transplantiert werden. Diesen Schritt verbietet allerdings die Internationale Gesellschaft für Stammzellenforschung (ISSCR).

Deshalb schlagen die Forschenden um Rivron in ihrem Definitionsversuch zwei alternative Ansätze zur Bestimmung dieses „tipping points“ in der Entwicklungsfähigkeit vor. Erstens könnten landesspezifische ethische und rechtliche Rahmenbedingungen einen Zeitpunkt festlegen, ab dem Embryonenmodelle das Potenzial beweisen, „sich in vitro effizient und getreu der normalen Entwicklung“ zu entwickeln.

Zweitens könnte nach Ansicht der Autorinnen und Autoren aber auch der Vergleich mit „gleichwertigen“ Tiermodellen herangezogen werden, aus denen sich nachweislich „lebende und fruchtbare Tiere“ entwickelt haben, um daraus auch für menschliche Embryonen ein solches Entwicklungspotenzial abzuleiten. © gie/aerzteblatt.de

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