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Suizidprävention: Taten statt nur Worte gefordert

Dienstag, 5. September 2023

/Pixel-Shot, stock.adobe.com

Kassel – Beratungsangebote zur Prävention von Suiziden müssen endlich ausreichend finanziert wer­den. Das haben das Nationale Suizidpräventionsprogramm (NaSPro), die Bundesärztekammer (BÄK), die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband (DHPV) und die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) heute in Kassel angemahnt. Anlass ist der Welttag der Suizidpräven­tion am 10. September.

Die in den laufenden Haushaltsverhandlungen für 2024 bislang angedachten 800.000 Euro reichen nach An­sicht der Verbände und Organisationen nicht aus, um den weiteren Ausbau, die Vernetzung und auskömmliche Finanzierung qualifizierter regionaler suizidpräventiver Angebote zu finanzieren.

„Es ist an der Zeit, die Suizidprävention finanziell ausreichend auszustatten“, sagte Reinhard Lindner vom Na­tio­nalen Suizidpräventionsprogramm (NaSPro) heute vor der Presse. Es dürfe nicht bei Konzepten bleiben, for­derte er eindrücklich. Dabei verwies er auf den im Juli vom Bundestag mit großer Mehrheit angenommenen Entschließungsantrag zur Suizidprävention. Dieser sei „ein Zeichen der Hoffnung“.

Aktiv werden und Hoffnung schaffen – so auch das Motto des diesjährigen Welttages der Suizidprävention – könnte sich als Entwicklung abzeichnen, sagte Lindner. „Wir wünschen uns dabei einen intensiven Dialog.“ Die Entwicklung einer Suizidpräventionsstrategie für Deutschland sollte fortlaufend durch diejenigen erfolgen, die die fachliche Expertise seit Jahren haben.

„Dabei verstehen wir das Votum des Bundestages als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die sich auch in finan­ziellem Engagement niederschlagen müsste“, betonte Lindner. Bewährte Angebote und Strukturen dürften nicht aus finanziellen Gründen aufgegeben werden und eine Nationale Informations- und Koordinationsstelle zur Suizidprävention nicht an den Finanzen scheitern. Der Bundestag möge in Konsequenz seines Entschlie­ßungs­antrages dafür sorgen, dass zur Umsetzung seiner Entschließung auch die benötigten Mittel zur Ver­fügung stehen.

Zur Erinnerung: Dass die Suizidprävention in Deutschland gesetzlich gestärkt werden soll, hatte das Parla­ment am 6. Juli nahezu einstimmig beschlossen. Die Suizidbeihilfe bleibt dagegen vorerst weiterhin ungere­gelt. Bei Abstimmung der beiden vorgelegten Gesetzentwürfe zu einer Neuregelung der Hilfe zur Selbsttötung fand dagegen keiner die notwendige Mehrheit.

Der vom Parlament verabschiedete Antrag zur Stärkung der Suizidprävention fordert die Bundesregierung auf, innerhalb eines Jahres einen Gesetzentwurf und eine Strategie für die Suizidprävention vorzulegen. Die Rege­lung soll unter Einbeziehung etwa der Telefonseelsorge oder sozialpsychiatrischer Dienste einen bundes­wei­ten Suizidpräventionsdienst etablieren.

Menschen mit Suizidgedanken wie auch ihren Angehörigen soll rund um die Uhr online und unter einer bun­deseinheitlichen Telefonnummer ein sofortiger Kontakt mit geschulten Ansprechpartnern ermöglicht werden. Darüber hinaus soll die Forschung ausgebaut werden.

„Viele unserer Eckpunkte zur Suizidprävention sind in dem Entschließungsantrag berücksichtigt worden“, sagte Lindner. Dazu zählten die Forderungen, dass die bereits bestehenden Angebote zur Intervention bei suizidalen Krisen besser unterstützt werden müssten und unter Einbeziehung bestehender Strukturen, wie der Telefonseelsorge, sozial- psychiatrischer Dienste und projektfinanzierter Beratung, einen deutschlandweiten Suizidpräventionsdienst zu etablieren.

Zugleich fordern die Verbände und Organisationen eine intensive Beteiligung der Fachleute der Suizidpräven­tion vor Ort und der langjährig in diesem Feld tätigen Organisationen. Besonders wichtig seien der Ausbau, die Vernetzung und die auskömmliche Finanzierung qualifizierter regionaler, niedrigschwelliger suizidprä­ven­ti­ver Angebote, betonte Ellen Lundershausen, Vizepräsidentin der Bundesärztekammer.

Essenziell sei das auch für Hinterbliebene nach Suizid und Angehörige suizidaler Menschen, da bei Suizidali­tät oft unbeantwortete Fragen zurückblieben. „Bei Suizidalität läuft alles auf die Frage hinaus, ob Menschen miteinander in einer unterstützenden Beziehung einen Weg aus der Sackgasse des Suizids finden.“

Lundershausen verwies darauf, dass es bereits bewährte Institutionen gebe, in denen Menschen Beratung, Hilfe und Unterstützung in suizidalen Krisen finden könnten. „Diese Angebote müssen aber flächendeckend und nachhaltig gefördert werden, sonst werden die vorgesehenen bundesweit organisierten Kampagnen zur Suizidprävention ins Leere laufen“, sagte sie heute.

Zudem müsse sich mehr politische Aufmerksamkeit auf das immer noch tabuisierte Thema richten. Es gehe um das Vermitteln von Hoffnung, nicht um beschleunigte Verfahren zur Suizidassistenz.

Auch Stefan Schumacher, Beauftragter für die Suizidprävention der TelefonSeelsorge Deutschland, erhofft sich von der geplanten Strategie zur Suizidprävention eine Verbesserung der Erreichbarkeit in Krisensituationen.

„Wir können statistisch sehen, dass Menschen in suizidalen Krisen nicht immer schnell genug Kontakt zu einer Hotline oder ein Onlineangebot erhalten“, sagte er. Bislang reichten die Kapazitäten nicht aus. „Wir stoßen immer wieder an unsere Kapazitätsgrenzen und können Nachfrage kaum decken“, berichtete er.

Denn flächendeckende Versorgung gebe es bislang nur im Bereich der Psychiatrie, bestätigte der Sprecher der Deutschen Akademie für Suizidprävention, Georg Fiedler. Menschen in Lebenskrisen, die keine psychiatrische Diagnose hätten, würden nicht erreicht und hätten auch gar keine niedrigschwellig erreichbare Anlaufstelle.

Helfen soll nach Willen des Gesetzgebers eine bundesweite Koordinierungsstelle. Diese könne nach Ansicht von Schumacher strukturell und finanziell bestehende Initiativen darin unterstützen, ihre Netzwerke zu stär­ken, zu erweitern und die niederschwellige Erreichbarkeit zu verbessern.

Keinesfalls dürfe diese als Konkurrenz zu anderen Angeboten verstanden werden, sondern diese vernetzen, betonte Barbara Schneider vom NaSPro. Die zentrale Koordinationsstelle sollte nach ihrer Meinung ein Regis­ter mit allen lokalen Beratungsstellen enthalten sowie eine Hotline bereitstellen, die 24 Stunden täglich er­reichbar ist.

„Wir fordern eine umfassende gesetzliche Verankerung der Suizidprävention im Rahmen eines Suizidpräven­tions­gesetzes in Verbindung mit dem weiteren Ausbau der Hospizarbeit und Palliativversorgung“, erklärte heute Claudia Bausewein, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin.

Nicht alle Menschen, die Hospiz- und Palliativversorgung brauchen, hätten auch einen Zugang dazu. Die Be­völkerung sei über die Möglichkeiten der Palliativmedizin noch immer nicht ausreichend informiert. „Das gilt sowohl für Menschen, die keinen anderen Weg mehr für sich erkennen, als auch für ihnen Nahestehende, die sich Sorgen machen oder Angst haben, jedoch nicht wissen, mit wem sie darüber sprechen können.“

Im Palliativ- und Hospizbereich bestehe viel Erfahrung mit schwerkranken Menschen mit Todeswünschen. Ge­nerell im Gesundheitsbereich bestünden aber noch große Unsicherheiten beim Personal. „Wir brauchen Fort­bildungsangebote im Umgang mit solchen Wünschen“, forderte sie.

Der Welttag der Suizidprävention ist nach Ansicht der Organisationen ein Anlass, über das noch immer tabui­sier­te Thema Suizidalität zu informieren. Dieser Tag wird seit 2003 jährlich am 10. September mit öffentlichen Veranstaltungen, Aktionen und Diskussionen zum Thema Suizid auseinandergesetzt. Dazu gehören öffentliche Informations-, Diskussions- und Kulturveranstaltungen oder die Aufforderung am Abend eine Kerze ins Fenster zu stellen, um an die durch Suizid Verstorbenen zu erinnern.

Auch in Deutschland sind zahlreiche Veranstaltungen in vielen Städten und Gemeinden geplant. Die zentrale Veranstaltung findet in Berlin an der Gedächtniskirche statt, bei der auch BÄK-Vizepräsidentin Lundershausen sprechen wird. © ER/aerzteblatt.de

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