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Medizin

COVID-19: Labordaten führen zu unterschiedlicher Einschätzung der Variante BA.2.86

Montag, 11. September 2023

/Leo Altman, stock.adobe.com

Berlin – Die in den vergangenen Wochen überraschend aufgetauchte neue Omikron-Variante BA.2.86, die sich durch mehr als 30 Mutationen von seinem Vorläufer BA.2 unterscheidet, hat weltweit für eine erhöhte Auf­merksamkeit bei Virologen gesorgt. Die bisherigen Laborergebnisse führen zu unterschiedlichen Bewertungen.

Im Sommer war es zu einem deutlichen Rückgang der Infektionen gekommen. Doch jetzt steigen die Zahlen wieder. Die meisten Infektionen werden derzeit von den Varianten EG.5 („Eris“) und FL 1.5.1 („Fornax“) ausge­löst, die sich von der Variante XBB.1.5 ableiten.

Diese stand in der letzten Welle im Vordergrund – und ist deshalb auch Grundlage des Boosters, der in den nächsten Wochen verimpft werden soll. Der Booster und auch vorange­gan­gene Infektionen sollten vor diesen Varianten schützen, was für einen milden Verlauf der nächsten Krankheitswelle spricht.

Doch Mitte Juli ist mit BA.2.86 (Pirola) eine neue Variante aufgetaucht, die diese Einschätzung infrage stellt. BA.2.86 ist nicht aus XBB.1.5 entstanden, sondern aus BA.2. Was nicht weiter besorgniserregend wäre, weil bei­de Varianten sich ähneln.

Doch BA.2.86 unterscheidet sich in der Aminosäuresequenz seines Spike-Proteins an mehr als 30 Stellen von BA.2, und viele dieser Veränderungen haben das Potential eines Immunescapes. Damit steht der Erfolg der Boosterimpfung plötzlich infrage.

Noch ist unklar, wie verbreitet BA.2.86 ist. Bis zum 7. September 2023 wurde BA.2.86 nur in 68 Sequenzen ge­funden, was trotz der nachlassenden Zahl von Sequenzierungen nicht viel ist. Doch die Meldungen stammen aus verschiedenen Ländern in Europa, Nordamerika und Afrika, was darauf hindeutet, dass sich BA.2.86 uner­kannt weltweit ausgebreitet haben könnte. Dies wäre leicht möglich, weil die Viren in den meisten Ländern nur noch sehr sporadisch sequenziert werden.

Insgesamt fünf Labore aus den USA, Schweden, Südafrika, Japan und China haben untersucht, ob die Immunität der Bevölkerung ausreicht. Das am nächsten gelegene Labor am Karolinska Institut in Stockholm hat unter­sucht, wie die Seren von Blutspendern auf BA.2.86 reagieren. Eine Gruppe von Seren stammt aus der 39. Woche des letzten Jahres, also aus der Zeit vor dem Auftreten der XBB-Varianten. Diese Seren waren kaum in der Lage, BA.2.86 zu neutralisieren.

Bereits mit XBB.1.5 taten sie sich schwer. Die Seren vom August diesen Jahres zeigten dagegen eine hohe neu­tralisierende Wirkung gegen XBB.1.5., was Daniel Sheward und Mitarbeiter auf die hohe Immunität der Bevöl­ke­rung durch Infektionen und Impfungen zurückführen.

Diese Seren waren auch in der Lage BA.2.86 abzuwehren, auch wenn die Titer geringen waren als gegen XBB.1.5. Alle untersuchten monoklonalen Antikörper – Tixagevimab und Cilgavimab aus Evusheld, LY-CoV1404 aus Bebtelovimab und S309 aus Sotrovimab blieben jedoch gegen BA.2.86 wirkungslos (bioRxiv 2023; DOI: 10.1101/2023.09.02.556033).

Auch das Labor von Dan Barouch vom Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston kommt zu einer eher günstigen Einschätzung. Die US-Virologen haben die Seren von Personen untersucht, die im Herbst des vergan­genen Jahres einen bivalenten Booster erhalten hatten.

Die Antikörper-Titer gegen BA.2.86 waren sogar tendenziell höher als gegen EG.5 („Eris“) und FL 1.5.1 („For­nax“), vor allem bei Personen, die in den vergangenen sechs Monaten eine natürliche Boosterung durch eine Corona-Infektion erhalten hatten, und dies war mit 70 % bis 73 % der Teilnehmer die Mehrheit.

Weniger günstig war die Situation bei den Personen, die im vergangenen Jahr auf den bivalenten Booster ver­zich­tet hatten. Diese Personen sollten nach den Labordaten von Baruch den diesjährigen Termin wahrnehmen (bioRxiv 2023; DOI: 10.1101/2023.09.04.556272).

Das Team um Yunlong Cao von der Universität Peking kommt dagegen zu dem Ergebnis, dass BA.2.86 der Im­mu­nität durch eine Infektion mit XBB entgeht. Die Seren stammten von Personen, die dreifach mit einer inak­tivierten Vakzine geimpft waren, was sie aber nach der Aufgabe der Null-COVID-Strategie im Dezember letzten Jahres nicht vor einer Infektion geschützt hat.

Die chinesischen Forscher haben auch die Infektiosität von BA.2.86 untersucht. Die ausgesuchte Zelllinie HEK293T-hACE2 wurde durch BA.2.86 deutlich schwächer attackiert als durch XBB.1.5 oder EG.5. Die chinesi­schen Forscher vermuten, dass BA.2.86 seine Immunevasion nur auf Kosten einer verminderten Infektiosität steigern konnte. Wenn das Team recht behält, würde sich BA.2.86 im Herbst nicht gegen die XBB-Varianten durchsetzen können (bioRxiv 2023; DOI: 10.1101/2023.09.01.555815).

Auch das Team um Kei Sato von der Universität Tokio kommt zu dem Ergebnis, dass die Infektiosität von BA.2.86 vermindert ist. Die Immunevasion war jedoch stärker als bei den anderen Forschergruppen. Auch Seren von Personen, die den bivalenten BA.5-mRNA-Impfstoff erhalten hatten, zeigten nur sehr geringe oder keine antivirale Wirkungen gegen BA.2.86.

Darüber hinaus zeigten die drei monoklonalen Antikörper Bebtelovimab, Sotrovimab und Cilgavimab, die noch gegen den Stamm-BA.2 wirkten, keine antivirale Wirkung gegen BA.2.86. Für Sato gehört BA.2.86 zu den bisher immunevasivsten Varianten (bioRxiv 2023; DOI: 10.1101/2023.09.07.556636, The Lancet Infec. Dis. DOI: 10.1016/S1473-3099(23)00575-3).

Khadija Khan vom Africa Health Research Institute in Durban/Südafrika sieht dagegen keine Gefahr für die dortige Bevölkerung, weil BA.2.86 sich weniger stark von anderen B.2.-Varianten unterscheidet als auf den anderen Kontinenten.

Die Unterschiede zum jüngsten gemeinsamen Vorfahren betrugen nur 1 bis 7 Mutationen. Bei den meisten Mitte August entnommenen Proben waren es 3 bis 5 Mutationen. Vor dem Hintergrund, dass SARS-CoV-2 etwa 15 Mutationen pro Jahr anhäuft, könnte die Variante im Mai 2023 in Südafrika entstanden sein (medRxiv 2023; DOI: 10.1101/2023.09.08.23295250). © rme/aerzteblatt.de

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