Ärzteschaft
Gelber Schein für Lauterbach: Protest gegen Budgetierung und Bedarfsplanung
Mittwoch, 13. September 2023
Lahnstein – Mit einer symbolischen Krankschreibung des ambulanten Gesundheitswesens an die Adresse von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) protestierten heute geschätzt rund 800 Ärzte, Psychotherapeuten und Praxismitarbeiter in Lahnstein gegen die Rahmenbedingungen in der ambulanten Medizin. „Schluss mit Budgetierung und Bedarfsplanung“, lautete ihre Forderung.
„Die Politik tut so, als könne sie immer so weitermachen“, rief der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Rheinland-Pfalz, Peter Heinz, den Protestierenden zu. Dabei hätten sich die Rahmenbedingungen für die Versorgung grundlegend verändert. An die Praxismitarbeiter gewandt sagte er: „Wir schämen uns, wie schlecht wir Sie bezahlen müssen.“
„Wir wollen mit der Veranstaltung heute das Bewusstsein erzeugen, dass die Budgetierung ein Zwangsrabatt ist – nur 90 Prozent der Leistungen in den Praxen werden bezahlt – allein in Rheinland-Pfalz beläuft sich der Zwangsrabatt auf rund 183.000 Euro pro Tag.“ Peter Heinz, Vorstandsvorsitzender der KV Rheinland-Pfalz
Die KV hatte im Rahmen der Kampagne „Wir sehen schwarz“ zu der Protestaktion nach Lahnstein geladen. In der Stadt südlich von Koblenz war 1992 unter Federführung des damaligen Bundesgesundheitsministers Horst Seehofer (CSU) das Gesundheitsstrukturgesetz auf den Weg gebracht worden. 1993 wurden damit die Ausgaben unter anderem für ärztliche Behandlungen und Arznei- und Heilmittel gedeckelt, um die Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung zu stabilisieren.
An selber Stelle forderten die vertretenen KVen nun in einem gemeinsamen Grundsatzpapier „Lahnstein23“ die Abschaffung der Budgetierung und eine Reform der Bedarfsplanung. „Wenn nichts passiert, kann die Versorgung für viele Menschen auf Dauer nicht mehr sichergestellt werden“, warnte Heinz.
„Schluss mit der Budgetierung“ lautet die erste zentrale Forderung der Protestierenden. Weil aus der Ärzteschwemme längst ein Ärztemangel geworden sei, versorgten niedergelassene Ärztinnen und Ärzte immer mehr Patienten, erhielten dafür aber nicht die volle Vergütung.
„Ich möchte, dass Ärzte und Ärztinnen mehr Zeit für ihre Patienten haben. Die sprechende Medizin sollte mehr Gewicht bekommen.“ Ellie Bender, Praxismitarbeiterin in einer hausärztlichen Praxis in Nastätten
„Wir wollen mit der Veranstaltung heute das Bewusstsein dafür erzeugen, dass die Budgetierung ein Zwangsrabatt ist – nur 90 Prozent der Leistungen in den Praxen werden bezahlt – allein in Rheinland-Pfalz beläuft sich der Zwangsrabatt auf rund 183.000 Euro pro Tag“, sagte Heinz am Rande der Veranstaltung dem Deutschen Ärzteblatt.
Dass Leistungen unterfinanziert seien und nur in Teilen vergütet würden, sei nicht nur eine unzumutbare Ungleichbehandlung der Ärzte- und Psychotherapeutenschaft gegenüber anderen selbstständigen Berufsgruppen. Sie schade auch der Patientenversorgung.
Das unterstrich auch Thomas Czihal, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung, in einem Fachvortrag auf der Veranstaltung.
„Wir stehen vor riesigen Herausforderungen durch den Fachkräftemangel und die Demografie in Deutschland. Budgetierung und Bedarfsplanung sollten als klares Signal für die Niederlassung abgeschafft werden. Im Augenblick kommt aus der Politik aber viel Demotivation.“ Gundolf Berg, Vorstandsvorsitzender des Berufsverbandes für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland
Im Gesundheitswesen komme eine doppelte demografische Entwicklung zum Tragen: Eine überalterte Ärzteschaft treffe auf einen Versorgungsbedarf, der unter anderem wegen des steigenden Alters der Bevölkerung ebenfalls zunehme. Das Angebot an Versorgungsleistungen nehme also ab, während die Nachfrage immer weiter steige. „Entbudgetierung bedeutet Versorgung zu ermöglichen“, erklärte Czihal.
Grundsätzlich offen für eine Entbudgetierung zeigte sich Erwin Rüddel (CDU) aus dem Gesundheitsausschuss des Bundestages, auf dem Treffen – dies sei aber ein weiter Weg, schränkte er ein.
Eng verbunden mit der Budgetierung ist die Bedarfsplanung, die laut dem Grundsatzpapier schon lange am veränderten Bedarf vorbeigeht. „Die Bedarfsplanung in der heutigen Form ist ein Modell von vorgestern, das Zulassung verhindert und bedarfsgerechte Versorgungsstrukturen blockiert“, erläuterte Andreas Bartels, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KV Rheinland-Pfalz, in dem Grundsatzpapier. Diese müsse daher rasch reformiert werden.
„Wir sind hier, weil wir die kinderärztliche Versorgung gefährdet sehen. Wir fordern ein Ende der Pauschalmedizin.“ Sebastian Bartels aus Montabaur für den Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ)
Grundsätzlich gehe es darum, die Niederlassung attraktiver zu machen. „Wertschätzung und Anerkennung müssen gefördert, Qualifizierung und Weiterbildung von Fachkräften ausgeweitet, wirtschaftliche Anreize, lohnende Honorierungen und bürokratische Entlastungen der Praxen geschaffen werden“, heißt es in dem Grundsatzpapier.
Die Politik sei aufgerufen, neben der Aufhebung der Budgetierung und Reformierung der Bedarfsplanung einen attraktiven, motivierenden Rahmen für die Niederlassung junger Ärztinnen und Ärzte zu schaffen.
Das unterstrich auch Martin Degenhardt, Geschäftsführer des Falk-Bündnis verschiedener KVen auf dem Treffen: „Sie haben einen der schönsten Berufe der Welt, aber er wird Jahr für Jahr kaputtreguliert“, kritisierte er. Die ambulante Medizin habe dennoch eine Zukunft – wenn denn die Rahmenbedingungen reformiert werden.
Davon zeigte sich Sibylle Steiner aus dem Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) überzeugt. Sie erinnerte an das Treffen von KV-Vertretern und anderen Mitte August in Berlin und an den dort abgestimmten Forderungskatalog an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).
Die Entbudgetierung zählt auch hier zu den zentralen Punkten – neben der Amublantisierung, einer sinnvollen Digitalisierung, mehr Weiterbildung in Praxen, weniger Bürokratie, keinen Regressen und allgemein einer tragfähigen Finanzierung. © hil/aerzteblatt.de

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